Weniger Obsession, mehr amour fou. Ein Pladoyer für die Liebe

Shut up and kiss

Mindestens drei Probleme konnte der »Summer of Love« nicht lösen: Erwartungen, Weihnachten, Obsession. Alle drei schaden dem Ruf der Liebe. Zu Unrecht.

Erwartungen. Nicht überall, wo Sex ist, gibt es auch Gefühle. Sobald das Denken an Sex aber bestimmt wird vom Denken an Sex mit einer gewissen Person, sind Erwartungen nicht mehr fern. Wer verknallt ist, wartet auf ein Zeichen vom Schwarm. Diese Vorform der Erwartung existiert oft schon vor dem ersten sexuellen Kontakt. In Zeiten von Polyamorie allerdings eilt Erwartungen ein schlechter Ruf voraus. Als wäre es unmöglich, respektvoll miteinander in Beziehung zu treten und Autonomie zu wahren, wenn es Erwartungen gibt. Dabei sind sie immer schon da, wo es zwischenmenschliche, nicht rein zweck­gebundene Beziehungen gibt. Und wären Erwartungen ein exklusives Zeichen von Paarbeziehungen, dann müsste man sich nicht innerhalb einer Polybeziehung fit machen und für deren Abwesenheit trainieren.

Wenn ein Vorwurf an den Kapitalismus lautet, dass er egoistisch mache, so wäre das Hegen von Erwartungen und deren Erfüllung in Freundschaft und Liebe konstruktiv. Verlässlichkeit, Vertrauen, Rücksichtnahme und bedingungslose Anerkennung – all diese Ideale sind eng an die Erwartung geknüpft. Sie laufen der Logik des Kapitalismus, in dem alle sich gegeneinander behaupten müssen, und dem Imperativ der Flexibilisierung zuwider.

Weihnachten. Zeit der Konjunktur von Erwartungen; wenn Schmonzetten und Weihnachtskitsch Wirkung zeigen und man irgendwie doch nicht allein sein will; wenn man sich einigt, dieses Jahr nichts zu schenken, um nicht dem Diktat des Konsums zu gehorchen, und am Ende enttäuscht ist, weil es wirklich nichts gibt; wenn eine Platte von New Kids On The Block aufgelegt wird, obwohl man weiß, dass das Gelingen einer Liebe an keiner höheren Macht oder Santa Claus hängt: »I’m sure if all his reindeers/could arrange room on his sleigh/Then I’d receive a big bright package/And she’d be mine today.« Nun braucht es keine Linken, um das Weihnachtsmonster zu enttarnen. Frei nach Tim Taylor aus der Fernsehserie»Hör mal, wer da hämmert«: »Christmas is not about being with people you like. It’s about being with your family.« Indes lohnt es, an Weihnachten festzuhalten: Für zweieinhalb Tage Urlaub, für hervorragendes Essen und Abende mit Freundinnen und Freunden, für die Erkenntnis, dass es richtig war, Familie und Heimatort zu verlassen, für Wiedersehen, für exzellente Partys, für Schnee, wenn er kommt, und für Kitsch. Das aber führt zum dritten Problem.

Obsession. Die Linken und ihre Abneigung gegen die Liebe, die mit einer obsessiven Auseinandersetzung auf theoretischer und praktischer Ebene einhergeht. Je nach Stand der Diskus­sion werden verschiedene Beziehungsformen in Frage gestellt oder überhöht: Romantische Zweierbeziehung (RZB), friends with benefits, offene Be­ziehung und polyamouröse Verhältnisse. Die verschiedenen »Konzepte« er­fordern unterschiedliche »Kompetenzen« wie Nichtverlieben, Nichtmehr­liebenalsinderprimärbeziehung und Liebezugleichenteilenanalleverteilen. Kein Wunder, dass es da ein »Coaching« braucht. Derweil werden Romantik und Liebe als bürgerlich-konservative Relikte verpönt, weil sie für immer an überholte Vorstellungen von Paarbeziehungen gebunden seien. Noch schlimmer ist: Romantik und Liebe folgen keinem Prinzip, nach dem sie sich gerecht aufteilen ließen. Ein linkes Milieu ist nur so liberal oder spießig wie seine Protagonisten. Dem Wissen vom Anachronismus bürgerlicher Liebes­ideale stehen oft recht klägliche Alltagsskills gegenüber: Da wird Kim als »Freundin von« vorgestellt, wird Robin auf der Party gleich gefragt, ob die Flamme auch noch feiern kommt. Dabei kritisiert man kaum die Prämissen dieser Fragen: nämlich nur als Anhängsel wahrgenommen zu werden statt als Individuum sowie die An­nahme, man habe umfangreiches Wissen über alle Aktivitäten der anderen Person und wünsche sich stets deren Anwesenheit, statt das Vergnügen am Alleinunterwegssein in Betracht zu ziehen.

Es sollte nicht darum gehen, wie man romantische Liebe in einer linken Theorie und Praxis fassen kann. Wie vier, drei oder zwei Menschen eine Beziehung führen, geht in den meisten Fällen nur die Beteiligten etwas an. Weder Liebesideale noch sexuelle Vor­lieben lassen sich an politische Konzepte binden, ohne dass sie instrumentellen Charakter bekommen. Weniger Obsession, mehr amour fou. Lösen werden sich die genannten drei Probleme auch in den nächsten 50 Jahren nicht. Verliebtsein und Lieben werden trotzdem weiterhin fetzen.