Die ehemalige kolumbianische Guerilla Farc etabliert sich mit Schwierigkeiten als Partei

Mit den Waffen der Bürokratie

Bei der Umwandlung der einstigen kolumbianischen Guerilla Farc zur Partei läuft nicht alles wie erhofft.

»Haltet doch mal am nächsten Laden an und wir kaufen dort ein paar Bier«, sagt Cristian Guevara zu seinen Leibwächtern. Einer springt aus dem gepanzerten SUV und kommt wenige Augenblicke später mit einem Sixpack Dosenbier zurück. Die schwere Fahrzeugtür wird geschlossen, der Dieselmotor röhrt, die Dose zischt beim Öffnen. Feierabend.

Es ist wieder einmal spät geworden für den 30jährigen Guevara. Seit ­einem Jahr koordiniert er die Ausbildung von 1 200 ehemaligen Kämpfern der Guerilla Farc zu Personenschützern. Sie sollen die politischen Führungsfiguren der neuen Partei Farc schützen. Diese Umschulung war Teil der Friedensvereinbarungen von ­Havanna, die die Guerilla und die ­kolumbianische ­Regierung von Präsident Juan Manuel Santos im Dezember 2016 nach vier Jahren Verhandlungen unterzeichnet hatten. Seitdem ist viel geschehen. Die ehemals größte Guerilla Lateinamerikas ist zur Partei Fuerza Alternative Revolucionaria del Común (Farc) geworden. Guevara hat den Rang eines Kommandanten der 18. Front, die in den Bergen nördlich von Medellín operierte und unter anderem Steuern auf Drogentransporte erhob, gegen eine Karriere in der Bürokratie getauscht. Jetzt geht es nicht mehr um die Revolution, sondern um die möglichst getreue Umsetzung des Friedensvertrags. Dieser sieht sozialwirtschaftliche Maßnahmen zur Besserstellung von Kleinbauern vor: Staatlicher Landbesitz soll an sie verteilt, Entwicklungsprogramme für periphere Regionen und die Substitution des Kokaanbaus sollen realisiert werden. Gesetze und Vereinbarungen zur Wiedereingliederung der Guerilleras und Guerilleros, zu ihrer politischen Beteiligung, eine Sonderjustiz für den Frieden, die über die während des Konflikt begangenen Verbrechen urteilen soll, sowie die Einrichtung einer Wahrheitskommission sind vereinbart.

 

Friedensprozess in der Krise

Die Farc hätten den mehr als 300 Seiten starken Vereinbarungstext am liebsten in Stein gemeißelt. Doch das Verfassungsgericht und die Parlamentsabgeordneten haben die Unveränderbarkeit des Friedensvertrags nicht akzeptiert. Trotz eines gesonderten Schnellverfahrens wurde bislang nur rund die Hälfte der Gesetze vom Kongress ver­abschiedet. Gerade jene Vereinbarungen, die einen politischen oder wirtschaftlichen Machtverlust der regionalen Führungsschichten zur Folge haben könnten, kamen nicht durchs Parlament oder wurden aufgeweicht. Die zentrale Regelung zur Sonderjustiz, nach der sich auch Behördenmitglieder oder Privatpersonen vor ihr hätten ­verantworten müssen, kippte das Verfassungsgericht. Zudem behindert die staatliche Bürokratie, die von Korruption, Vetternwirtschaft und politischen Interessen bestimmt ist, die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben.

Die Regierung habe das Prinzip der Vertragstreue verletzt, sagt Jesús Santrich, ein Vorstandsmitglied der neuen Partei Farc, der bei den Kongresswahlen im März für das Repräsentantenhaus kandidiert, der Jungle World. »Die Umsetzung der Vereinbarungen hat sich in deren Nachverhandlung verwandelt. Das haben wir nicht unterschrieben«, sagt er und ruft die sogenannte internationale Gemeinschaft auf, die Regierung zur Einhaltung des Unterzeichneten anzuhalten. »Der Friedensprozess steckt in einer tiefen Krise«, so Santrich, denn die mangelnde Verwirklichung gehe einher mit enormer Unsicherheit. 25 Mitglieder der Farc und mehr als 100 soziale Aktivisten wurden im Lauf des vorigen Jahres ermordet. Eine Zahl, die auch der UN-Hochkommissar für Menschenrechte kürzlich zum wiederholten Mal als besorgniserregend bezeichnete.

Santrich gilt in der Farc als einer der größten Skeptiker des Friedensprozesses. Er warnt davor, dass die Gewalt weiter eskalieren könnte, wenn die ­Regierung nicht Wort halte. Gabriel Ángel, der dem Parteivorsitzenden Rodrigo Londoño Echeverri nahesteht, sagt ­hingegen: »Wir müssen auch mit 60 oder 70 Prozent zufrieden sein.« Er ­vertritt damit die Meinung vieler Parteigenossen und fordert mehr politische Initiative von der gesellschaftlichen Basis anstatt des Zentralismus, der für die vom Sowjetmarxismus geprägte Guerilla üblich war. Ob die Mischung aus institutionalisierter Partei und Bewegungspartei funktioniert, muss sich zeigen. Bislang waren die Farc als leninistische Organisation stark auf den Staatsapparat fixiert, die ihr nahestehenden zivilen Organisationen hatten vor allem eine Mittlerrolle. Zahlreiche Mitglieder der Sammelbewegung ­Marcha Patriótica, die vornehmlich Basisarbeit und den Protest auf der Straße organisiert und Studierende, Gewerkschafter, Bauern und Menschenrecht­ler vereint, haben sich mittlerweile den lokalen Ablegern der Partei Farc angeschlossen.

 

Von der Revolution ist weniger zu hören

Zehn Sitze stehen der Partei der Rose, wie die Farc wegen ihres neuen Symbols auch genannt wird, in den kommenden zwei Legislaturperioden im Kongress zu. Doch die Partei hofft auf mehr. Von ihr in Auftrag gegebene ­Studien sollen gezeigt haben, dass das Wählerpotential mit bis zu 1,5 Millionen Stimmen sehr groß ist. Selbstbewusst hat sich die Partei für ihre fünf Abgeordneten im Repräsentantenhaus, dessen Mitglieder auf Ebene der ­Departamentos gewählt werden, nicht ihre ländlichen Kernregionen im Süden ausgewählt, sondern jene mit den großen Metropolen wie Bogotá, ­Medellín und Cali. Auch hat man entgegen der ursprünglichen Pläne mit dem ehemaligen Oberkommandierenden Londoño einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt. Zwar existiert bislang kein Wahlprogramm, doch ist eine ideologische Neuausrichtung allmählich bemerkbar.

So ist aus Farc-Kreisen mittlerweile weniger von der Revolution als von ­Gegenhegemonie und Machtaufbau von unten zu lesen und zu hören. In programmatischen Schriften geht es nun um die Rücknahme der Kommerzialisierung von Gemeingütern, die Überwindung des Staats zugunsten einer »wirklichen Demokratie« und die Wahrung der Menschenrechte. Wirtschaftlich strebt man eine »neue pluralistische politische Ökonomie« an, in der »Sozi­alwirtschaften des Gemeinwesens, autonomes Wirtschaften der ethnischen Völker und bäuerlichen ­Gemeinschaften, Staats- und Privatwirtschaft« neben­einander und mit­einander existieren sollen, wie es in den programmatischen Statuten der Partei heißt.

Das alles hat mit dem Arbeitsalltag von Menschen wie Guevara wenig zu tun. Für ihn stehen statt Angriffen auf Armeeeinheiten oder Polizeistationen nun Anträge, Verordnungen und Diskussionen mit Behörden auf der ­Tagesordnung. Arbeitstage von 16 Stunden sind für ihn keine Seltenheit. »Krieg zu führen, war einfacher«, sagt er erschöpft, lehnt sich in den Ledersitz zurück und bittet darum, das Radio lauter zu drehen. Es läuft die Übertragung eines Fußballspiels.