Französische Rechtsextreme, denen der Front National zu wirtschaftsliberal ist, haben eine neue Partei gegründet

Nicht patriotisch genug

Der französische Front National gibt sich zurzeit in der Europapolitik gemäßigt und tendiert stärker zum Wirtschaftsliberalismus. Rechtsextreme, die mit dieser Politik unzufrieden sind, haben nun eine neue Partei gegründet.

In ungewohnter Umgebung präsentierten sich prominente rechtsextreme Funktionäre in der Woche vor Weihnachten der französischen Öffentlichkeit. Am Rand des weitläufigen Geländes des marché aux puces, des weltberühmten Flohmarkts, der auf dem Gebiet der nördlich an Paris grenzenden Vorstadt Saint-Ouen liegt, trat Florian Philippot vor der versammelten Presse auf. Dort soll künftig das Hauptquartier seiner jüngst gegründeten Partei »Les Patriotes« liegen, die im kommenden Februar ihren ersten Kongress abhalten will.

Saint-Ouen, das zu den ärmeren Kommunen mit relativ hohem Einwandereranteil zählt, ist eine ungewöhnliche Umgebung für ein Zentrum der extremen Rechten. Eingerichtet wurde die neue Parteizentrale zudem in einer vormaligen Privatwohnung, die einer der schillerndsten Gestalten des Pariser Stadtlebens gehört: Marcel Campion, der mitunter als »König der Schausteller« bezeichnet wird.

Die Gruppe um Campion, die überwiegend aus französischen Sinti besteht, hat seit einigen Monaten Probleme mit der Pariser Stadtverwaltung, die Campion die Genehmigung für einen Rummelplatz und einen Weihnachtsmarkt im Zentrum von Paris entzogen hat. Vorgeworfen werden ihm unter anderem Steuerhinterziehung, Verstöße gegen Ausschreibungsrichtlinien und Handgreiflichkeiten gegen Polizisten. Nun inszeniert Campion sich öffentlich als Rebell und posiert mal mit Gewerkschaftern, mal mit Rechtsextremen.

Am 21. September trat Philippot aus dem Front National (FN) aus, nachdem er in dessen Führungsgremien entmachtet worden war.

Der 36jährige war bis zum für den FN enttäuschenden Ausgang der Präsidentschaftswahlen im April und Mai eine Art Sonderberater der Vorsitzenden Marine Le Pen und maßgeblich verantwortlich für die damalige politisch-ideologische Linie der rechtsextremen Partei. Im Zentrum standen dabei soziale Demagogie – Philippot gibt sich oft antikapitalistisch, tatsächlich propagiert er einen nationalstaatlichen Keynesianismus, der wirtschaftlichen Aufschwung durch Protektionismus sowie Lohnerhöhungen bringen soll – und die Forderung nach einem EU-Austritt. Dieser sei unabdingbar, um wirtschafts- und sozialpolitische Vorhaben durchsetzen zu können, aber auch, um »wieder Herr über unsere Grenzsicherung zu werden«.

Nach dem Scheitern der Präsidentschaftskandidatur Marine Le Pens und ihrer immer noch in der Öffentlichkeit nachwirkenden Blamage bei der Fernsehdebatte mit Emmanuel Macron am 3. Mai wurde diese Politik verstärkt kritisiert. Die Forderung nach einem EU- und Euro-Austritt betrachten imm mehr im FN als unverantwortlich, da sie Konservative und Unternehmer aus der Mittelschicht abschrecke. Aber auch die soziale Demagogie wird immer stärker in Frage gestellt. Sie prägte das Auftreten des FN seit den neunziger Jahren, weil die Partei damals davon ausging, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verschwänden Marxismus und Klassenkampf, so dass die »soziale Frage« der nationalistischen Rechten überlassen bliebe. Nun aber heißt es immer häufiger, die Parteilinie sei »linkslastig«, verhindere die Annäherung an konservative Rechte und halte Unternehmerkreise auf Abstand. Hinzu kommt, dass zwar die Wählerschaft des FN sich zum Teil aus Angehörigen der Unterklasse, aus Lohnabhängigen und Erwerbslosen, zusammensetzt, die Mitgliedschaft hingegen sich wesentlich stärker aus der Mittel- und Oberschicht rekrutiert. Nicht erst seit den jüngsten Wahlen, sondern bereits nach den vom FN ebenfalls als Niederlage betrachteten Regionalwahlen im Dezember 2015 sind die innerparteilichen Konflikte aufgebrochen.

Unternehmerinteressen kommen im FN wieder verstärkt zur Geltung, wie zuletzt in der wirtschaftsliberalen Periode der Partei in den achtziger Jahren. Am deutlichsten ist die Veränderung beim Thema Europapolitik. So sagte Marine Le Pen in einer Rede am 1. Oktober in Poitiers erstmals explizit, das Ziel ihrer Partei sei nicht länger der EU-Austritt, sondern »die EU von innen zu reformieren«.

Bei einem Fernsehauftritt am 19. Oktober, bei dem sie erstmals nur geringen Publikumserfolg hatte – die Zuschauerzahl lag unter zwei Millionen –, wollte die FN-Vorsitzende sich nicht zum Thema EU äußern: »Man wird sehen.« Einen Monat später schlug sie zudem Laurent Wauquiez, der im Dezember zum Vorsitzenden der konservativen Partei Les Républicains (LR) gewählt wurde, erstmals ein Bündnis vor. Im französischen Parlament lobte die parteilose, jedoch mit der Unterstützung des FN gewählte Abgeordnete Emmanuelle Ménard die EU-Fahne, da ihre zwölf Sterne den Bezug auf das christliche Abendland symbolisierten – Arsene Heitz, der sie 1955 entworfen hatte, hatte den Strahlenkranz von Mariendarstellungen als Inspiration benannt.

Philippot nutzt die versöhnliche Linie in der EU-Politik, um dem FN Verrat und »das Aufgeben sämtlicher Leitideen« vorzuwerfen. Zwar versucht der Vorsitzende von »Les Patriotes«, selbst Absolvent der Elitehochschule ENA, seine Partei als sachlich argumentierende, konstruktive Alternative zu einem polternden, konzeptlosen und primitiven FN darzustellen, beschuldigt diesen jedoch auch, sich vor allem in Sachen EU-Politik einem »antinationalen Mittelblock« anzuschließen.

Die Gründung von »Les Patriotes« erfolgte im November, die Partei behauptet, 5 500 bis 6 000 Mitglieder zu haben. Beim FN bezweifelt man das, es handele sich um maximal 500. Die eigene Mitgliederzahl gibt die Partei Marine Le Pens mit 80 000 bis 90 000 an, tatsächlich dürften es vorliegenden statistischen Informationen – dazu zählt die Mitgliederbeteiligung bei innerparteilichen Abstimmungen – zufolge etwa 50 000 sein.

Die neue Konkurrenz durch Philippots Partei, in der sich auch die betont »sozialpatriotische« Fraktion des FN gesammelt hat, ist allerdings nicht das einzige Problem. Ende November kündigte die bisherige Hausbank, die Société Générale, der rechtsextremen Partei alle Konten. Inzwischen hat die französische Zentralbank der Geschäftsbank bestätigt, dass sie nicht diskriminierend gehandelt habe, wie der FN ihr vorwirft. Die Hintergründe sind der Öffentlichkeit nicht vollständig bekannt, doch es dürfte um Vorwürfe der Geldwäsche im Zusammenhang mit einer intransparenten Finanzierung des FN aus russischen Quellen gehen.

Seit dem 12. Dezember läuft zudem eine Klage gegen die Partei wegen des Vorwurfs, Fraktionsgelder aus dem Europaparlament in Millionenhöhe zweckentfremdet zu haben. Das damit bezahlte Personal habe in Wirklichkeit rein inländische Funktionärsaufgaben erledigt. Die Arbeitszeit der betreffenden etwa 30 Mitarbeiter in der Parteizentrale in Nanterre wurde systematisch erfasst und die entsprechenden Angaben wurden gespeichert, so dass die ermittelnde Justiz die Dateien beschlagnahmen konnte.