Antisemitismus im deutschen Rap

Die Härte der Straße

Seite 2 – Wiederkehrende Motive

 

Es spricht viel dafür, dass Salomo recht hat: Schon 2007 machte der Historiker Jan Buschbom in einem Vortrag auf diverse Kleingruppen im deutschen Rap aufmerksam, die sich offen und vulgär antisemitisch äußerten, unter anderem die Berliner Gruppe Zyklon Beats. Solche eindeutigen Wortspiele haben die etablierten und erfolgreichen Rapper der Gegenwart nicht mehr nötig. Sie tarnen ihren Judenhass als salonfähige »Israelkritik« – so zum Beispiel der Integrationspreisträger Bushido, auf dessen Twitter-Profil seit Jahren eine Landkarte des Nahen Ostens zu sehen ist, auf der Israel gänzlich fehlt.

Betrachtet man, wer sich im Rap antisemitisch äußert, liegt die Vermutung nahe, dass es insbesondere muslimisch sozialisierte Rapper sind, die ein starkes Bedürfnis nach Solidaritätsbekundungen zu israelfeindlichen Terrororganisationen verspüren. Gestützt wird diese Annahme durch Äußerungen wie die des Rappers Haftbefehl, der meinte, er habe als Jugendlicher im türkisch-arabischen Milieu in Frankfurt am Main vermittelt bekommen, dass alles Reiche und Mächtige auf der Welt jüdisch sei.

 

Rap am Mittwoch

Ben Salomo: antisemitische Tendenzen sind im deutschen Rap nicht neu

Bild:
de.rap-am-mittwoch.wikia.com

 

Der Verweis auf die Herkunft aus einem Milieu reicht aber als Erklärung nicht aus. Auch Rapper wie Snaga, Prinz Pi oder Kollegah, die in Deutschland das Abitur gemacht haben und allenfalls zum Islam konvertiert sind, verlockt es zu antisemitischen Äußerungen.

Der Letztgenannte musste 2017 auf Druck des Zentralrats der Juden und anderer ­jüdischer Vereine einen Auftritt bei einem Stadtfest absagen. Der Zentralrat empörte sich über Kollegahs antisemitische, homophobe und misogyne Texte. Nach seiner erzwungenen Konzertabsage verteidigte der Rapper sich und sein Genre damit, dass Außenstehende Battle-Rap falsch verstünden, sprich: dass Schwulen-, Juden- oder Frauenhass zum harten Rap nun mal dazugehörten. Wer das zu ernst nehme, sei schlicht zu blöd, den Künstler von der Kunst zu trennen.

Dass genau diese Trennung im Battle-Rap bewusst verwischt wird, bewies er zuvor selbst. In einer einstündigen »Dokumentation« besuchte Kollegah ein palästinensisches Flüchtlingscamp, richtete dort eine Schule ein und verteilte Bargeld – immer fröhlich pendelnd zwischen seinem Rap-Image als gestählter »Anpacker« und schwerreicher »Zuhälter«, und seiner bürgerlich anmutenden Identität als Felix Blume, der zum Islam konvertiert ist und sich für Flüchtlinge engagiert.

Jede Gerechtigkeit ist ebenso personifiziert und handgemacht wie jede Ungerechtigkeit. Am Leid der Welt müssen also klar benennbare Täter schuld sein. Und wenn sich keine finden, werden sie erfunden, wie die Bilderberger oder ominöse Hintermänner.

Anpacken und Selbermachen: Wer dem Anti­semitismus im Deutschrap auf die Schliche kommen möchte, muss bei seinen wiederkehrenden Motiven nachhaken. In dem Genre, das sich aus den afroamerikanischen Ghettos in den USA entwickelte, erscheint die Welt hart und ungerecht: Nichts wird einem geschenkt, man muss sich selbst helfen, zur Not mit illegalen Mitteln. Die Geschichte vom Rapper, der im Loch lebte und sich mit Drogenhandel durchschlug, dann mit der Musik Erfolg hatte und sich nun eine Villa mit Fuhrpark leisten kann, ist das Grundthema dieser Musik. Hin und wieder verlaufen Rapper-Biographien tatsächlich so. Tun sie es nicht, wird das Image erfunden.

Die ungerechten Autoritäten wie Staat und Polizei hier, die selbstermächtigten Rapper da – was einem nicht gegeben wird, das muss man sich nehmen. Diese Weltsicht bezeichnete der Soziologe Marius Mocker als »Konkretismus der Straße«. In ihr ist kein Platz für abstrakte gesellschaftliche Zusammenhänge. Jede Gerechtigkeit ist ebenso personifiziert und handgemacht wie jede Ungerechtigkeit. Am Leid der Welt müssen also klar benennbare Täter schuld sein. Und wenn sich keine finden, werden sie erfunden, wie die Bilderberger oder ominöse Hintermänner. Es ist kein Zufall, dass eine ähnlich kurzschlüssige Denkweise sowohl bei linken »Kapitalismus­kritikern« als auch bei profanen Nazis zu den gleichen antisemitischen Ergebnissen führt. Die USA und Israel werden in klassisch antiimperialistischer Manier als Verbrecherstaaten dargestellt, die von der Ungerechtigkeit in der Welt profitieren. Erhebungen auf »der Straße« gegen die angeblichen Strippenzieher sind demnach per se gut und gerecht.

»Die Straße« gilt als Antagonist des Systems: Ein Ort des ehrlichen und ehrenhaften Kampfes zwischen Mann und Mann. Der Ehrenkodex dieser Weltsicht steht über den Gesetzen. Es sollte daher nicht verwundern, dass es vielen Rappern unwahrscheinlich wichtig ist, als »Ehrenmann« wahrgenommen zu werden, und dass sie die Nähe zum islamischen Ehren­kodex hin und wieder aktiv suchen, bis hin zur Konversion. Je ehrenhafter sich die Akteure geben, desto vorbildlicher werden sie für ihre Fans. Und wo es ehrbar ist, gegen Israel zu sein, ist »Jude« als Schimpfwort naheliegend.

Sicher ist: Battle-Rap lebt von der Übertreibung. Aber in der Übertreibung spiegelt sich eine reale Welt. Deswegen sollte klar sein, dass Antisemitismus niemals als Meinungsäußerung, Provokation oder gar Kunst getarnt bleiben darf, auch nicht im Rap.