Die Digitalisierung begünstigt den Aufstieg der Neuen Rechten

Online mit rechten reden?

Durch die Digitalisierung entstehen abgeschottete Teilöffentlichkeiten. Das begünstigt den Aufstieg der Neuen Rechten.

»Gerade erleben wir in Echtzeit, wie eine Gesellschaft die Fundamente ihres Weltbilds ändert.« Ein Satz, der in seiner Einfachheit einen dramatischen Wandel beschreibt. Geschrieben hat ihn vor vielen Jahren Frank Schirrmacher, der langjährige Feuilletonchef und Mitherausgeber der FAZ, ein Vordenker der Digitalisierung. Bereits 2009 veröffentlichte er sein Buch »Payback«, in dem er sich damit auseinandersetzt, wie das Netz das Denken und die Meinungs­bildung beeinflusst. Seitdem beziehen sich auf ihn, der beileibe kein Linker war, auch progressive Debattenbeiträge.

Im Dezember vorigen Jahres ist im Suhrkamp-Verlag ein lesenswertes Büchlein zum Thema erschienen. Der Sammelband »Reclaim Autonomy – Selbstermächtigung in der digitalen Weltordnung« versammelt Beiträge von Rednerinnen und Redner des gleichnamigen Symposiums, das ein Jahr zuvor in Berlin zu Ehren Schirrmachers stattfand. Herausgegeben wird der Sammelband von Jakob Augstein und einge­leitet von Martin Schulz – auch nicht gerade Progressive, aber die Beiträge von namhaften Autorinnen und Autoren wie etwa Saskia Sassen und Evgeny Morozov gehen drängenden Fragen nach, die man auch innerhalb der Linken weiter diskutieren sollte.

Es vollzieht sich ein fundamentaler innerer Umbau der demokratischen Gesellschaft, obwohl sie dem äußeren Rahmen nach noch immer das zu sein scheint, was sie war. Die Auflösung der Demokratie geschieht im Rahmen der Demokratie.

Industrie 4.0, digitale Verwaltung, ­soziale Netzwerke und künstliche Intel­ligenz sind keine Randphänomene mehr, sondern bestimmen mehr und mehr den Alltag. Die Digitalisierung beeinflusst dadurch das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen in einer demokratischen Gesellschaft.

Ein grundlegender Aspekt, den Schirrmacher benannt hat und der auch im Suhrkamp-Sammelband Erwähnung findet, betrifft die Veränderung der ­Öffentlichkeit und Welterfahrung durch die Digitalisierung. Auf der einen Seite spiegeln uns soziale Medien vor, ständig mit allen verbunden zu sein und auf alle Informationen immer und kostenlos zugreifen zu können. Auf dieser Grundlage, so das Versprechen, könne eine globalisierte und vielleicht sogar demokratische Öffentlichkeit entstehen. Die Idee der alle Grenzen überwindenden und verbindenden Kommunikation hat aber einen Haken. Die Informationen, denen wir täglich im Netz begegnen, sind personalisiert und ganz und gar auf unser Verhalten zugeschnitten. Bei den Newsfeeds der sozialen Medien entscheiden nicht wir, was wir lesen und sehen, sondern eine künstliche Intelligenz. Die hat neue Machtver­hältnisse geschaffen: Algorithmen bestimmten, was für Netznutzer relevant ist.

Der Maßstab für Relevanz bei Facebook oder Twitter ist nicht die Wahrheit, sondern die Reichweite. Wenn genügend Menschen einen Hashtag, ein Bild oder eine Nachricht teilen, werden sie bedeutend, unabhängig von der ­Informationsquelle oder ihrem Wahrheitsgehalt. Die Konsequenz dessen sind die häufig debattierten Filterblasen und Teilöffentlichkeiten, die nur mehr dazu dienen, die Gruppen in ihrer jeweiligen Meinung zu bestätigen und sich daraus eigene Welten zu bauen. Abweichende oder oppositionelle Sichtweisen finden dort keinen Platz. Die heutige Gesellschaft teilt sich in immer mehr isolierte Untergruppen auf, zwischen denen es keinen Meinungsaustausch mehr gibt. Die Diskussion als zentraler Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft wird zurückgedrängt und durch Vereinzelung und Selbst­bestätigung ersetzt. Verschwörungsideologien treten in der digitalen Welt an die Stelle von journalistischer Ernsthaftigkeit, fake news werden zum Geschäftsmodell, mit dem gut verdient wird. Eine Entwicklung, die für die Demokratie zerstörerische Folgen ­haben kann.

Was verloren geht, ist die Wahrnehmung einer gemeinsamen Öffentlichkeit, die gestaltet werden kann und ­gewissen Spielregeln und Umgangsformen gehorcht. Es vollzieht sich ein fundamentaler innerer Umbau der demokratischen Gesellschaft, obwohl sie dem äußeren Rahmen nach noch immer das zu sein scheint, was sie war. Die Auflösung der Demokratie geschieht im Rahmen der Demokratie.

 

Das Chaos der Meinungen und das »Auswahlparadox«

»Na und?« könnte man sagen. Diesen Wandel hat Colin Crouch in »Post­demokratie« vor Jahren schon konstatiert. Ebenso ist das Gerede vom Verlust einer allgemeinen Öffentlichkeit falsch. So war es früher in der Bundes­republik üblich, dass sozialdemokratische Arbeiterinnen und Arbeiter Vorwärts lesen, während die CSU ihre Ansichten im Bayernkurier unter die Leute brachte.

Trotzdem erscheinen die jüngsten Veränderungen der politischen Kommunikation in einem neuen Licht, denn die Atomisierung und die Abschottung der Individuen im Zeitalter der Digitalisierung kann helfen, den Aufstieg der Neuen Rechten (im digitalen Raum) zu erklären.

Außerhalb des eigenen Newsfeeds herrschen Unübersichtlichkeit und Durcheinander. Das Chaos der Meinungen erscheint schwer zu ertragen: ­Ökonomen sprechen vom »Auswahlparadox«. Die schiere Anzahl der ­Medien kann überfordern – ebenso wie die Auswahl unter Dutzenden Marmeladensorten im Supermarkt. Eine mögliche Reaktion ist der Wunsch nach Ordnung und Klarheit, um ­Widersprüche nicht aushalten zu müssen: Man sucht nach einer Struktur und einer stabilen Gruppenzugehörigkeit abseits der vielfältigen und unübersichtlichen Außenwelt, nach einem Schwarzweiß-Schema von drinnen und draußen, in dem klar ist, wer Freund und wer Feind ist.

Filterblasen und Facebook-Gruppen versprechen in ihrer Selbstbezüglichkeit Homogenität und Eineindeutigkeit. Die Masse der atomisierten Individuen ist an­fällig für den Populismus, der diese Homogenität verspricht. Die sich selbst bestätigenden Einzelmeinungen werden zusammengebracht. Ordnung soll eine Autorität in Form einer Partei, einer Bewegung oder einer Person bringen, die sich an die Spitze der Masse setzt – auch in der digitalen Welt. Es ist also kein Zufall, dass Donald Trump vorzugsweise via Twitter kommuniziert.

Konzerne, die festlegen, was freie Meinungsäußerung ist, welche Kunst anstößig oder zensurwürdig ist und die auf Kosten von Minder­heiten Gewinne machen, können nicht für ein emanzipatorisches Projekt nutzbar gemacht werden.

Die Rechten scheinen die sozialen Medien also gut verstanden zu haben. Hetze, Falschinformationen, Dramatisierungen sowie Selbstviktimisierung und -darstellung bringen Reichweite und Aufmerksamkeit. Berichterstattung, die sich dieser Zuspitzung und Aufgeregtheit der Sprache nicht fügt, wird an den Rand gedrängt und als »Lügenpresse« diskreditiert.

In der Masse der atomisierten Einzelmeinungen herrscht der Kampf aller gegen alle vor. Jeder will recht behalten. Auseinandersetzungen werden ent­weder abgelehnt oder auf rohe Weise geführt. In den voneinander abgetrennten Teilöffentlichkeiten entscheidet dann am Ende die Gewalt – in der digitalen Welt erscheint sie als Cyber­mobbing und Hetzrede. Pluralität und Austausch als demokratische Prinzipien werden dabei obsolet. Dagegen vorzugehen, verlangt Unnachgiebigkeit und solidarisches Handeln.

Dabei auf die sozialen Medien zu hoffen, ist unbegründet. Sie sind private Unternehmen, die der Logik des Kapitals folgen und nicht einer ­demokratischen Öffentlichkeit und einem politischen Diskurs verpflichtet sind. Konzerne, die festlegen, was freie Meinungsäußerung ist, welche Kunst anstößig oder zensurwürdig ist und die auf Kosten von Minder­heiten Gewinne machen, können nicht für ein emanzipatorisches Projekt nutzbar gemacht werden.

Doch es gibt kein Zurück hinter die Digitalisierung. Was es also braucht, ist ein progressiver Umgang. Jede technologisch entwickelte Gesellschaft ­bedarf des kritischen Denkens, um Fakten von Fiktion unterscheiden zu ­können. Hierfür sind gemeinsamer Austausch, Diskussion und die Suche nach Wahrheit durch Widerspruch notwendig. Dies wird dann zu politischem Handeln, das allerdings nur mit anderen gemeinsam, nie allein, möglich ist. Doch kollektive und beständige Gruppen – von Gewerkschaften über Vereine bis hin zur selbstorganisierten Antifa-Gruppen – verlieren an Einfluss. Anstelle dessen haben die Lüge und das Gerücht Konjunktur und ­schicken sich an, unwidersprochen zu bestehen. Die inhaltliche Konfronta­tion und die Suche nach den Widersprüchen, sowohl offline als auch online, scheinen die beste Möglichkeit zu sein, um der Verrohung der Öffentlichkeit entgegenzuwirken.