In Cottbus müssen Flüchtlinge um ihr Leben fürchten

Cottbus schaut zu

In der Silvesternacht griffen mehrere Männer in der brandenburgischen Stadt Cottbus drei Flüchtlinge an und verfolgten sie bis in ihre Unterkunft. Die Opfer werfen dem dortigen Wachpersonal absichtliche Untätigkeit vor.

Wenn Ines Filohn ihre Stadt als »Universitätsstadt« bezeichnet, klingt es ein bisschen so, als sei das ein Prädikat oder zeuge von einem ambitionierten Selbstverständnis. Nicht zum ersten Mal muss die Sprecherin der Polizei Cottbus Fragen der Presse zu rassistischen Angriffen in der zweitgrößten Stadt Brandenburgs beantworten. Diesmal geht es um einen Vorfall in der Silvesternacht, von dem die Öffentlichkeit nur durch ein Statement der Bürgerinitiative »Cottbus schaut hin« erfuhr. Eine mindestens sechsköpfige Gruppe griff drei afghanische Flüchtlinge auf deren Weg in ihre Unterkunft im Stadtteil Sachsendorf an. Die Überfallenen wurden teils schwer verletzt, einer erlitt einen Kieferbruch. Das Wachpersonal der Unterkunft soll die Bitte der Angegriffenen ignoriert haben, die Polizei zu ­rufen, stattdessen ließen die Bediensteten die Angreifer in die Unterkunft. Nach über 20 Minuten habe das Wachpersonal dann die Angreifer informiert, dass gleich die Polizei komme, und so die Flucht ermöglicht. Zudem habe der Sicherheitsdienst der Polizei gegenüber falsche Angaben über die Fluchtrichtung der Angreifer gemacht, berichtete »Cottbus schaut hin«.

Zusätzliche Brisanz erhielt das Statement der Initiative durch weitere von ihr betriebene Recherchen auf Facebook. Über Kai D., Inhaber der in der Unterkunft von der Stadt Cottbus eingesetzten Sicherheitsfirma, fand »Cottbus schaut hin« heraus, dass er diversen Seiten folge und in Gruppen Mitglied sei, die gegen »Scheinasylanten«, »Asylbetrüger« oder gegen die Errichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung am östlichen Rand Brandenburgs hetzten. Auch bei der »Unbequemen Jugend Cottbus« habe er »Gefällt mir« geklickt. Bei dieser Gruppe handelt es sich um eine Art Jugendorganisation der Nazi-Hooligangruppe »Inferno Cottbus«, die sich 2017 formell auflöste – und damit vermutlich einem Verbot als kriminelle Vereinigung zuvorkam.

Nicht zum ersten Mal muss die Sprecherin der Polizei Fragen der Presse zu rassistischen Angriffen
in der zweitgrößten Stadt Brandenburgs beantworten.

Ob eine solche Firma die geeignete Wahl für den Schutz von Flüchtlingen ist? Der Sprecher der Stadt Cottbus, Jan Gloßmann, sagte der Jungle World, dass das Unternehmen in Chemnitz angemeldet sei, für die Grundüberprüfung sei man dort zuständig. ­Außerdem hätten diese Informationen zum Zeitpunkt der Vergabe nicht vorge­legen. Zu prüfen sei auch, ob es sich um strafbare Facebook-Aktivitäten handle oder diese vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt seien. Zwei Tage vor dem Gespräch mit der Junge World sagte Gloßmann dem RBB, es gebe »keine Hinweise auf ein Fehlver­halten« der Sicherheitsfirma.

In Cottbus herrscht kein Mangel an Wachschutz- und Sicherheitsunter­nehmen. Der RBB zählt 52 solcher Firmen mit etwa 2 000 Beschäftigten und spricht von einer rechten Unterwanderung dieser Branche. Der Sender berichtete auch, dass die Stadt Cottbus vergangenes Jahr die Firma eines wegen einer Messerstecherei vorbestraften Führungsmitglieds der örtlichen »Hells Angels« mit der Betreuung ihres Stadtfestes beauftragt habe. Die inten­siven »internen Prüfungen«, die man Gloßmann zufolge nun angesichts des Angriffs in der Silvesternacht zu erwarten habe, waren anscheinend vorher nicht sehr effektiv.

Zuletzt war Cottbus im April 2017 in die Schlagzeilen geraten. Eine ägyptische Gaststudentin wurde spätabends überfahren, Zeugen sagten aus, der Fahrer habe zuvor den Wagen beschleunigt und Mitfahrer hätten aus dem Auto die schwerverletzte Frau am Tatort rassistisch beschimpft. Die 22jährige starb später im Krankenhaus. Die ägyptische Partneruniversität der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) in Cottbus veranlasste daraufhin den Umzug einiger ihrer Schutz­befohlenen nach Berlin. Polizei und Staatsanwaltschaft haben bislang die Frage nach dem Motiv des Fahrers nicht beantwortet.

Polizeisprecherin Filohn denkt ­ungern an 2015 zurück. Damals musste die Polizei eine Notunterkunft für Flüchtlinge gegen einen rassistischen Mob verteidigen. Es habe in jener Zeit mehr und teilweise kürzer fristige Anmeldungen von Kundgebungen und Demonstrationen gegeben als gegenwärtig, so Filohn. Daran beteiligt war unter anderem die damals noch relevante NPD, die auf ihrer Website vor ­einer »Verwestlichung« der Stadt warnte.

Heutzutage geht es geordneter zu. Die Initiative »Zukunft Heimat« versammelt besorgte Bürger und stramme Neonazis gleichermaßen bei ihren relativ regelmäßig abgehaltenen Kundgebungen in Cottbus. Auf ihrer Website feierte sie den Wahlerfolg der AfD. Von der sei sie unabhängig, so die Initiative, doch auf den Kundgebungen sprachen stets auch Redner der Partei. Durch diese Bündelung in einem »Bürgerbündnis« sei es in Cottbus etwas ruhiger geworden, findet Filohn.

Luise Meyer von der antifaschistischen Initiative »Cottbus nazifrei« sagte der Jungle World, dass sie genau das für kein gutes Zeichen halte. Meyer rechnet mit einer Verfestigung von rechts­extremen Strukturen und Netzwerken in der Region.