Algorithmen und Filterblasen sind nicht an allem schuld

Das bisschen Facebook

Seite 2 – Das »Netzwerkdurchsetzungsgesetz«: doppelt kontraproduktiv
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Ein anderes Experiment führte die Gruppe »Algorithm Watch« durch. Sie bat um eine Datenspende: Man solle sich ein Plugin für den Browser herunterladen, das regelmäßig Suchanfragen stellt und die Ergebnisse an »Algorithm Watch« weitergibt. Die Gruppe kann dann untersuchen, in welchem Ausmaß die angezeigten Ergebnisse variieren, wenn verschieden Menschen etwa nach »Frauke Petry« oder »An­gela Merkel« googlen. Die Auswertung läuft derzeit noch, aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass von einem algorithmischen Filterblaseneffekt nicht die Rede sein kann. Zu sehr ähneln sich die Suchergebnisse verschiedener Menschen, und wo sie voneinander abweichen, weist wenig darauf hin, dass sie von Google weltanschaulich passend zusammengestellt werden.

Für Facebook gibt es noch keine solchen Untersuchungen, da sich der Konzern ungern in die Karten schauen lässt. Auf Facebook gibt es Gruppen, in denen man sich über alles Mögliche austauschen kann, entsprechend auch solche für Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker. Wer sich in diese Gruppen begibt, hat schnell neue Freunde. Zugleich ist Facebook aber auch das Netzwerk, in dem die Nutzer sich wahrscheinlich am wenigsten wegen gemeinsamer Interessen vernetzen. Oft bestehen Kontakte zwischen Nutzern vielmehr, weil diese verwandt sind oder sich vom ­Arbeitsplatz, der Schule oder aus anderen Kontexten kennen. Die Wahrscheinlichkeit, auf Inhalte außerhalb der eigenen Filterblase zu stoßen, weil sie der Schulfreund von damals oder der unangenehme Onkel verbreitet, ist auf Facebook deshalb sehr hoch.

Völlig unterbelichtet ist hingegen die Rolle, die andere Netzwerke wie 4chan, Reddit, V-Kontakte oder gab.ai bei der Verbreitung von fake news, Hassbotschaften und rechten Inhalten spielen. Diese Plattformen dienen als Rückzugsraum für Rechtsextreme, Frauenfeinde, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker. Ein großer Teil der rechtsextremen Inhalte entsteht dort und nur die aufregendsten oder vermeintlich witzigsten werden in ­andere Plattformen weitergetragen. Gelegentlich verabreden sich Rechte dort auch, um in anderen Netzen konzertiert zu trollen – zuletzt unter Ausnutzung des nun in Kraft getretenen »Netzwerkdurchsetzungsgesetzes«. Wie Vice ­Motherboard aufgedeckt hat, verabreden sich rechte Trolle gezielt, um ­Inhalte von Linken, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund auf Facebook und Twitter zu melden. So erweist sich dieses auf Facebook zu­geschnittene Gesetz als doppelt kontraproduktiv: Zum einen nutzen Rechte den Mechanismus gegen Linke. Zum anderen können sie sich öffentlichkeitswirksam über »Zensur« beklagen, wann immer mal ein Tweet einer ­AfD-Politikerin gelöscht wird.

Das Zensurgeschrei fällt auf fruchtbaren Boden. Denn das Gefühl, dass ­Politik und Medien nicht die ganze Wahrheit verbreiten, sondern bestimmte Inhalte unterdrücken, hat viel tiefere Wurzeln, als Filterblasen oder Werbe­algorithmen erklären können. Die Tatsache, dass Plattformen wie Wikileaks existieren und die geheimen Informationen, die sie veröffentlichen, wahrscheinlich überwiegend wahr sind, sehen viele als Grund, den Massen­medien und »der Politik« nicht mehr zu glauben. Maßnahmen wie das ­Netzwerkdurchsetzungsgesetz werden diese Haltung nur erhärten. Wer nicht mehr weiß, was man glauben kann, glaubt denjenigen, die verbreiten, was dem eigenen Weltbild entspricht, und beschimpft alle anderen als »Lügenpresse«. Gerade das verbreiten von Angst machenden Botschaften erleichtert oft den Umgang mit eigenen Ängsten. Sich öffentlich gemeinsam mit anderen ausmalen, wie es wäre, mit Fackeln und Heugabeln vor den Reichstag zu ziehen, um es »denen da oben« zu ­zeigen, verschafft mentale Erleichterung. Die Waffensammlungen vieler »Reichsbürger« lassen befürchten, dass es nicht bei der Phantasie bleibt.