Indiens Hauptstadt versinkt im Smog, die Regierung behindert Gegenmaßnahmen

Dicke Luft in Indien

Jeden Winter verschwinden die Metropole Delhi und weitere indische Großstädte im Smog. Die Stadtregierung versucht die gesundheitsschädliche Luftverschmutzung einzuschränken, wird jedoch von der Zentralregierung behindert. Denn dieser geht es einzig um Wirtschafts­wachstum und Energieerzeugung.

Nachdem die Cricketmannschaft Sri Lankas Anfang Dezember während ­eines Testspiels gegen die indische Auswahl in Delhi mit Mundschutz auf­gelaufen war, hatte die indische Presse eine wohlfeile Erklärung: Sie warf den Gästen vor, sie hätten einen Spielabbruch provozieren wollen, da sie aussichtslos zurücklagen. Doch am nächsten Spieltag übergaben sich nicht nur drei Spieler Sri Lankas auf dem Feld, auch der indische Werfer Mohammed Shami musste wegen Übelkeit aufgeben.

Der Grund für die Gesundheits­probleme der Sportler war ein Feinstaubwert von über 300 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Gemessen wurden dabei Partikel der Größe PM 2,5, die nicht größer als 2,5 Mikrometer im Durchmesser sind. Mitte November ­waren in Delhi sogar Werte von 1 000 Mikrogramm registriert worden. Die Schadstoffmenge, die bei einem solchen Wert an einem Tag in die Lunge gelangt, entspricht der von 44 gerauchten Zigaretten. Während die Medien ausschließlich Delhis Stadtregierung verantwortlich machten, weilte Arun ­­Kumar Mehta, Staatssekretär im Umweltministerium Indiens, im Urlaub am Meer in Goa und ließ von dort verlauten, es gebe keinen Grund zur Panik. Das mochte für Goa stimmen, doch fast der gesamte Norden Indiens war zu dieser Zeit von Smog eingehüllt.

In Delhi mit seinen etwa 20 Millionen Einwohnern sind daran nicht nur die zehn Millionen Kraftfahrzeuge schuld. Jedes Jahr im November brennen Bauern in den umliegenden Bundestaaten Punjab und Haryana die Stoppeln auf ihren Feldern ab, da sie es sich nicht leisten können, die Überbleibsel der Pflanzen auf umweltschonende Weise zu entsorgen. Zwischen 2010 und 2016 nahmen sich allein in sieben Distrikten des Punjabs 1309 Bauern und Landarbeiter das Leben, in 90 Prozent der Fälle war Überschuldung der Grund.

Schon 2016 hatte Arvind Kejriwal, der Regierungschef des Unionsterritoriums Delhi, vergeblich versucht, seine Amtskollegen in Haryana und dem Punjab dazu zu bewegen, das Abbrennen zu verhindern. Im vergangenen Jahr nahm Punjabs Regierungschef Amarinder Singh laut Kerjival nicht einmal den Telefonhörer ab.

2016 hatte Mercedes-Benz erfolgreich gegen die ­Anordnung der Stadtregierung geklagt, Dieselfahrzeugen mit einem größeren Hubraum als 2 000 Kubikzentimeter die Zulassung zu verweigern. 25 Prozent ­aller verkauften Fahrzeuge in Delhi stammen von dem Autobauer.

Dabei wollte Delhis Stadtregierung dem armen Bundesstaat Punjab Hilfe anbieten, um dessen Bauern finanziell zu unterstützen. Zudem hätte Singhs Kongresspartei ­zumindest aus strategischen Gründen Interesse daran haben können, mit Kerjivals linksliberaler Aam-Aadmi-Partei (AAP) zusammenzuarbeiten; schließlich ist die Kongresspartei äußerst unbeliebt beim indischen Premierminister Narendra Modi, dessen Bharatiya Janata Party (BJP) auf nationaler Ebene mit der Kongresspartei konkurriert.

Doch ein Blick auf die jüngsten Wahlen im Februar 2017 im Punjab erklärt einiges: Als dort einen Tag vor der Stimmab­gabe deutlich wurde, dass Modis BJP keine Chance auf einen Sieg haben würde, riefen die örtlichen Anführer der paramilitärischen, mit der BJP ­verbündeten RSS ihre Anhänger dazu auf, den vermeintlichen Erzfeind, die Kongresspartei, zu wählen, um Kejriwals Partei ein möglichst schlechtes Ergebnis zu bescheren. Die AAP war im Jahr 2012 aus einer Antikorruptionsbewegung hervorgegangen und hatte bei den Wahlen 2015 in Delhi 67 von 70 Sitzen gewonnen.

Während in den Nachbarstädten Bhiwadi, Faridabad und Gurgao keine Maßnahmen gegen ähnlich hohe Feinstaubwerte getroffen werden, versucht sich Delhis Stadtregierung zumindest an der Linderung des Problems: Sie verbot für das Lichterfest Diwali, das bislang die gesamte Metropole für Tage in Rauchschwaden gehüllt hatte, im Oktober den Verkauf von Feuerwerk. Unter der Woche dürfen Fahrzeuge nur im tagesweisen Wechsel auf Delhis Straßen fahren, entweder diejenigen mit ungerader Anfangszahl auf dem Nummernschild oder diejenigen mit gerader. Alte Diesellaster wurden 2017 erst gar nicht in die Stadt gelassen, die Arbeiten auf Baustellen eingestellt.

 

2,5 Millionen Menschen sterben in Indien jedes Jahr an den ­Folgen der Luftverschmutzung

Die indische Zentralregierung sabotierte die Bemühungen auf ihre Weise: In zwei ­Stufen verdoppelte sie im vergangenen Jahr die Fahrpreise für die U-Bahn in Delhi, was zu einem Verlust von 300 000 Fahrgästen täglich und Protesten der Stadtregierung führte.

So sieht offenbar der Preis dafür aus, dass die politische Führung des aufstrebenden Landes den Fortschritt lediglich am Wirtschaftswachstum misst. Indien setzt dabei auf fossile Brennstoffe, die etwa 75 Prozent der Luft­verschmutzung verursachen.

Zudem hatte 2016 Mercedes-Benz erfolgreich gegen die ­Anordnung der Stadtregierung geklagt, Dieselfahrzeugen mit einem größeren Hubraum als 2000 Kubikzentimeter die Zulassung zu verweigern. 25 Prozent ­aller verkauften Fahrzeuge in Delhi stammen von dem Autobauer.

In Indien sterben mittlerweile 2,5 Millionen Menschen im Jahr an den ­Folgen der Luftverschmutzung. Deren Auswirkungen dürften auch noch in Jahrzehnten spürbar sein: In einer Studie kamen Ärzte des Vallabhbhai Patel Chest Institute 2017 zu dem Ergebnis, dass Kinder im Alter zwischen sechs und 17 Jahren in Delhi durchschnittlich eine etwa zehn Prozent kleinere Lunge haben als Gleichaltrige in US-amerikanischen Großstädten. Zudem war das Lungenwachstum der untersuchten Heranwachsenden in der indischen Stadt verlangsamt.

So sieht offenbar der Preis dafür aus, dass die politische Führung des aufstrebenden Landes den Fortschritt lediglich am Wirtschaftswachstum misst. Indien setzt dabei auf fossile Brennstoffe, die etwa 75 Prozent der Luft­verschmutzung verursachen. 60 Prozent des Energiebedarfs werden mit Kohle gedeckt. Obwohl Indien in erneuerbare Energien investiert, dürften diese bis Mitte dieses Jahrhunderts für höchstens zehn bis 17 Prozent des gesamten Bedarfs ausreichen – der sich bis dahin um 150 Prozent gegenüber heute erhöhen soll. So plant die derzeitige Regierung beispielsweise, den Kohleverbrauch bis 2020 zu verdoppeln.

Gegen die Politik der Zentralregierung opponiert etwa das Indian Social Action Forum (Insaf), eine Vereinigung von etwa 600 Nichtregierungsorganisationen in Delhi. Seit 2013 geht die Regierung bislang vergeblich gerichtlich gegen den Zusammenschluss vor, dem sie vorwirft, gegen nationale Interessen zu handeln. Etliche indische Medien, die finanziell abhängig von Konzernen und einflussreichen Personen sind, helfen dabei, Insaf zu diskreditieren. Wilfred d’Costa, der Vorsitzende der Dachorganisation, erläutert den Grund für die staatliche Repression: »Wir erinnern die Regierung daran, dass es ihre vorrangige Aufgabe ist, mitzuhelfen, dass die Bürger genug zu essen haben, und in eine Entwicklung für alle Bürger zu investieren. Dann hätten wir keine Luftverschmutzung, dreckigen Flüsse und Lärmterror.« Doch in Indien seien die Menschen immer noch überwiegend damit beschäftigt, ihr Überleben zu sichern. Deshalb, so d’Costa, bleibe ihnen keine Zeit, sich Wissen anzueignen und sich um die Umwelt zu kümmern.