Das Buch von Guillaume Paoli: »Die lange Nacht der ­Metamorphose. Über die Gentrifizierung der Kultur«

»Du hast keine Chance, aber nutze sie«

Seite 2 – Die literarische Moderne hat sich kaputtgesiegt

Paolis Denken ist zumeist erhellend, erfrischend und oft vergnüglich, bisweilen aber erscheint es als Rempelei um jeden Preis – etwa in Teilen seiner Ausführungen über die zeit­genössische Kultur. Zwar ist der Befund richtig, dass die beschriebenen Veränderungen sich auch in einem großen Teil des Kulturbetriebs durchgesetzt haben, aber Kunst, Literatur und Musik sind eben, gerade heutzutage, auch Felder, in denen der Postmodernismus kräftig angegangen wird.

Paolis Literaturkritik beispielsweise bleibt sehr an der Oberfläche und scheint einer ziemlich konservativen Ästhetik verpflichtet, dienen ihm doch Fjodor Dostojewski, Victor Hugo oder Thomas Mann als Gewährsmänner. Analog dazu heißt es für die Musik, seit Anton Webern und John Cage habe es nichts Innovatives mehr gegeben.

Die literarische Moderne, behauptet Paoli, habe sich kaputtgesiegt. Das ist schlicht zu negativ, denn heute entstehen durchaus noch innovative ästhetische Modelle, die indes gerade wegen der neoliberalen Zurichtung des Literaturmarktes oft eine Nischen­existenz führen müssen; experimentelle Lyrik beispielsweise, die Paoli gleich ganz außen vor lässt. ­­­Ob aktuelle »avantgardistische« Literatur eine Chance hat zu über­dauern, ist natürlich nicht klar – das war es aber bei Kurt Schwitters, ­Raoul Hausmann, selbst bei den von Paoli erwähnten Joyce und Kafka, auch nicht.

Nachdem Paoli die Postmoderne treffend kritisiert hat, bezeichnet er sie als eine historisch notwendige Entwicklung, zu der seine Intervention sich streng dialektisch als die »Negation der ­Negation« verhielte.

Für die Beschäftigung mit einem letztlich globalen Phänomen bleibt Paolis kulturkritische Argumentation im Übrigen zu stark auf Deutschland bezogen. In der restlichen Welt stellt sich die Lage häufig ganz anders dar. In den USA entsteht ununterbrochen formbewusste und gesellschaftlich engagierte Literatur, ebenso in osteuropäischen, asiatischen und afrikanischen Ländern.
Dass Paoli dann wiederum jenen, auch in Deutschland vorhandenen Kritikern der postmodernen self fiction einen »Vulgärmarxismus« ­unterstellt, zeugt zum einen von einer sehr selektiven Lektüre jener Texte, wie sie etwa im Umfeld der sogenannten Kessler-Debatte oder des Netzwerks »Richtige Literatur im Falschen« entstanden sind. Zum anderen wird man hier, wie auch an anderen Stellen im Buch, den Verdacht nicht los, es gehe Paoli ein wenig um das Alleinstellungsmerkmal, immer gegen alle zu sein, nur bloß mit niemanden gemeinsame Sache zu ­machen. Vorsätzlich stellt er sich abseits sämtlicher aktuellen Diskurse, um sie dann – wie ein Schlachtenmaler – aus einer für ihn sicheren ­Distanz kritisieren zu können. Das mag als methodische Linie funk­tionieren, taktisch aber geht es fehl. Es führt am Ende des Buches sogar zu einem Dilemma.

Nachdem Paoli die Postmoderne so treffend kritisiert hat, bezeichnet er sie als eine historisch notwendige Entwicklung, zu der seine Intervention sich streng dialektisch als die »Negation der ­Negation« verhielte. Dass dann guter Rat teuer ist bei der Frage, wie es konstruktiv weitergehen könne, nimmt nicht wunder. Ohnedies ist es immer der schwierigste Teil ­solcher Untersuchungen, am Ende irgendwelche Prognosen, Zukunftsaussichten oder gar Denk- und Handlungsweisungen zu formulieren.

Paoli versucht diese Schwierigkeit zu umschiffen, indem er den Globus als sowieso unrettbar verloren bezeichnet, was natürlich wenig tröstlich ist. Im Umkehrschluss könnte man dann sagen, wozu sich überhaupt noch mit Postmoderne, Neo­liberalismus und den damit verbundenen Ungerechtigkeiten herumquälen oder gar Bücher darüber schreiben, wenn es eh egal ist? Dann doch lieber Herbert Achternbusch: »Du hast keine Chance, aber nutze sie.«

 

Guillaume Paoli: Die lange Nacht der ­Metamorphose. Über die Gentrifizierung der Kultur. Matthes & Seitz, Berlin 2017, 220 Seiten, 20 Euro