Gesundheitsapps, Self tracking und Datenschutz

Dein Telefon weiß, wie’s dir geht

Mit dem Smartphone den eigenen Körper überwachen, fit bleiben und Krankheiten vorbeugen oder behandeln – dafür gibt es etwa 100 000 Gesundheitsapps. Sie können bisweilen sinnvoll sein, allerdings hapert es am Datenschutz.
Networld Von

Unter dem Begriff Gesundheitsapps versammeln sich die unterschiedlichsten Anwendungen. Vom Menstruationstracker bis zum Online-Yoga, vom ­Depressionstagebuch bis zur musikalischen Tinnitus-Behandlung. Dementsprechend ist von Scharlatanerie bis hin zu sinnvollen Apps alles vertreten. Nach Schätzungen gibt es etwa 100 000 Gesundheitsapps. Darunter die richtige zu finden, ist fast unmöglich, allerdings gibt es Orientierungshilfen: Für welchen Zweck suche ich eine passende App? Ist sie als medizinisches Hilfs­mittel in Deutschland zugelassen? Und von welchem Anbieter stammt sie?

Am bekanntesten sind sicherlich die klassischen Fitnessapps – Stichwort quantified self. Mit ihnen können Menschen die zurückgelegten Schritte vermessen, ihren Schlaf überwachen lassen oder protokollieren, wie viele Kalorien sie zu sich nehmen.

Natürlich spricht wenig dagegen, Kalorien per App statt mit Stift und Papier zu zählen.

Ein Problem ist, dass die üblicherweise in Smartphones und Smartwatches eingebauten Sensoren ungenau arbeiten. So liefern Schrittzähler verschiedener Hersteller für ein und dieselbe Strecke abweichende Ergebnisse. Wer ernsthaft Sport machen und beispielsweise für einen Marathon trainieren will, greift besser auf die etwas teureren professi­onellen Fitnesstracker aus dem Sportlerbedarf zurück. Ähnlich sieht es mit Apps aus, die den Schlaf überwachen. Eventuell lassen sich damit Anomalien im eigenen Schlafverhalten messen und man kann feststellen, ob man schnarcht – jedenfalls wenn man alleine im Bett liegt. Die umfangreichen ­Messungen im Schlaflabor können diese Apps jedoch nicht ersetzen, sie liefern höchstens Anhaltspunkte.

Ein weiteres Problem sind die Richtwerte, die solche Apps benutzen. So gibt es für die 10 000 Schritte, die man am Tag gehen soll, keine wissenschaft­liche Quelle. Wahrscheinlich geht die Zahl auf einen Marketing-Gag zurück: Zu den Olympischen Spielen 1964 brachte ein japanischer Hersteller einen Schrittzähler auf dem Markt, der den Namen Manpo-kei trug, was auf Deutsch in etwa »10 000-Schritte-Maß« heißt. Die Zahl wurde gewählt, weil sie einfach gut klang. Vergleicht man den durchschnittlichen Kalorienverbrauch pro Person im damaligen Japan mit dem heutigen in den westlichen Industrienationen, müssten jedenfalls wesentlich mehr Schritte absolviert werden. Das ist freilich egal, wenn solche Self-tracking-Apps Menschen überhaupt motivieren, sich mehr zu bewegen. Problematisch werden sie nur, wenn sie ihren Anwendern vorgaukeln, ein ­bestimmter Wert sei »normal« und alle müssten sich danach richten. Beispiel Schlaftracker: Manche Menschen brauchen weniger Schlaf als andere und die erforderliche Schlafdauer ändert sich auch noch im Laufe des Lebens. Wenn es einfach darum geht, die Leute dazu zu bringen, sich mehr zu bewegen, war wahrscheinlich sowieso »Pokémon Go« die erfolgreichste »Fitnessapp« – ganz ohne Schrittezählen.

Es gibt zahlreiche Menstruationskalender als App, die den Eisprung berechnet und zu einer ­Renaissance der Knaus-Ogino-Methode bei der Verhütung geführt haben.

Wer konsequent Daten über den eigenen Körper sammeln möchte, ist derzeit wahrscheinlich mit Apple am besten dran. Zwar ist die App Apple Health ohne zugehörige Apple Watch mit Pulsmesser und Schrittzähler nahezu unbrauchbar, allerdings hat Apple seinen Standard für viele Drittanbieter ge­öffnet. So gibt es Waagen, Thermometer, Blutdruckmessgeräte, Fahrradkilo­meterzähler und sogar Springseile und Tennisschläger, die Daten an die App liefern. Die Konkurrenten von Samsung bis Google können da im Moment nicht mithalten. Ein besonders interessantes Feature ist allerdings der Notfallpass. Muss ein Notarzt gerufen ­werden, kann er bestimmte Gesundheitsdaten direkt vom Sperrbildschirm des iPhones aus aufrufen und so Fehlbehandlungen vermeiden.

Eine ganz andere Form der Selbstvermessung ist für Frauen und ihre Sexualpartner interessant. Es gibt zahlreiche Menstruationskalender als App, die den Eisprung berechnet und zu einer ­Renaissance der Knaus-Ogino-Methode bei der Verhütung geführt haben. Allerdings sind Apps wie Clue, Daysyview oder Smartclave für sich genommen auch nicht viel sicherer als die alte Papier-und-Bleistift-Methode.

Wesentlich besser eignen sich Apps wie Trackle, die per Vaginalsensor die Temperatur messen und explizit zu Zwecken der Verhütung angeboten werden.
Neben solchen Apps, die derzeit die ganz große Mehrheit im Markt stellen, gibt es noch zahlreiche ­andere ­Gesundheitsapps für Menschen mit Erkrankungen. Wer etwa von Migräne ­geplagt wird, kann M-Sense ausprobieren. Die App sammelt Wetter- und ­Körperdaten und muss manuell um Angaben wie Kaffee- oder Alkohol­konsum ergänzt werden. Nach einer Lernphase kann sie Migräneattacken vorhersagen oder bei der Therapie helfen, die Auslöser der Attacken einzugrenzen, die bei den Patienten sehr unterschiedlich sein können.

Auch in der Psychotherapie werden immer häufiger Apps eingesetzt. Sie können zwar keine Therapie ersetzen, aber dennoch hilfreich sein, wenn es im Rahmen einer Therapie darum geht, regelmäßig Fragebögen zur eigenen Befindlichkeit auszufüllen oder Aufgaben für den Alltag gestellt zu bekommen. Die Dunkelziffer von Patienten, die versuchen, sich mit solchen Apps selbst zu therapieren, ist wahrscheinlich sehr hoch. Experten sehen das ambi­valent: Einerseits gibt es eine gewisse Hemmschwelle, wegen des Verdachts auf eine psychische Störung eine Therapie anzufangen und die Wartezeit sehr lang, so dass Patienten sich zumindest in der Anfangsphase damit selbst behelfen können. Andererseits wird befürchtet, dass dadurch ein Arztbesuch hinausgezögert wird.

 

Die Qualität ist schwer zu beurteilen

 

In anderen Ländern bieten solche Apps oft auch die Möglichkeit eines Feedbacks per Chat oder E-Mail von Ärzten oder Therapeuten, was in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen illegal ist. Das ist der Grund, warum die Entwickler der App Klara auf den US-amerikanischen Markt ausgewichen sind. Klara bietet die Möglichkeit, per Smartphone-Foto Hautkrebs zu diagnostizieren. Dahinter steckt keine künst­liche Intelligenz zur Bilderkennung, sondern der Kontakt zu einem Arzt, was gegen das deutsche Fernbehandlungsverbot verstößt. Der berechtigten ­Sorge, dass Erkrankungen unerkannt bleiben oder falsch diagnostiziert werden, steht der Nutzen gegenüber, unnötige Arztbesuche einzusparen. Systeme wie Klara könnten sehr sinnvoll sein, wenn sie im richtigen ­Moment die Empfehlung aussprechen, einen Arzt aufzusuchen.

Ein junges Start-up mit einer guten Idee, das auf dem deutschen Markt Fuß fassen will, hat es schwer und sieht sich einem Konglomerat aus Gremien von Krankenkassen, Ärztekammern, Klinikverbänden und Apothekern gegenüber.

Einiger­maßen sicher sein, dass die eigenen Gesundheitsdaten nicht bei irgend­welchen Datenhändlern landen, kann man sich nur bei teuren Bezahlapps oder solchen, die über das Gesundheitssystem finanziert werden.

Zugleich ist es fast unmöglich, den Markt für Gesundheitsapps sinnvoll zu regulieren. Eine Behörde müsste erst einmal die nach Schätzungen derzeit 100 000 auf dem Markt befindlichen  Gesundheitsapps prüfen. Selbst wenn das machbar wäre, würde ein mögliches Prüfsiegel nur für eine dann schon veraltete Version einer App gelten.

Urs-Vito Albrecht vom Institut für Medizinische Informatik der TU Braunschweig hat versucht, die Qualität von Gesundheitsapps zu bewerten. Seine 2016 herausgegebene Studie »Chancen und Risiken von Gesundheitsapps« kam zu einem ernüchternden Ergebnis. Für Anbieter von Apps gibt es weder einheitliche Standards noch Prüfkriterien und in fast allen angebotenen Apps mangelt es an medizinischer Evidenz ihrer Wirksamkeit.

Völlig undurchsichtig ist derzeit der Datenschutz. Bei zahlreichen Billig-Schrittzählern und Apps muss davon ausgegangen werden, dass die Daten gesammelt und verhökert werden. Bei Google Fit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gesundheitsdaten mit Suchverlauf und Bewegungsprofil aus Google Maps zusammengeführt werden. Apple hingegen ist nicht am Verkauf von Daten interessiert, stellt aber die Daten aus Apple Health unentgeltlich und anonymisiert Forschungseinrichtungen zur Verfügung. Einiger­maßen sicher sein, dass die eigenen Gesundheitsdaten nicht bei irgend­welchen Datenhändlern landen, kann man sich nur bei teuren Bezahlapps oder solchen, die über das Gesundheitssystem finanziert werden. Übrigens: Krankenkassen, die ihren Mitgliedern Fitnesstracker anbieten, machen das nur, um diese zu mehr Bewegung anzuregen. Die Daten selbst dürfen sie nicht verwenden.

Weder Laien noch Experten können derzeit die Qualität einer bestimmten App sinnvoll beurteilen. Das ist auch ein Problem für Ärzte. 46 Prozent sind nach einer Umfrage des Ärztenachrichtendienstes schon einmal mit Daten aus Gesundheitsapps in Berührung gekommen, aber nur 16 Prozent kennen sich nach eigenen Angaben gut damit aus und 24 Prozent glauben, dass die Angaben aus den Apps die Patienten eher verwirren. Falls die überhaupt noch zum Arzt gehen und sich nicht gleich per Homöopathie-App ein paar Symptome zusammenklicken und die von der App genannten Globuli im Internet bestellen.