Kryptowärungen sind Glaubenssache

New Kids on the Blockchain

Der Hype um Kryptowährungen hat enorme Ausmaße angenommen, es herrscht Goldgräberstimmung. Wie sie das Geld- und Zahlungswesen langfristig verändern werden, kann aber noch niemand sagen.

Noch vor kurzem waren lediglich ­einigen Nerds Begriffe wie Blockchain oder Bitcoin vertraut. Nun vergeht kaum ein Tag, an dem diese Begriffe nicht in den Wirtschaftsnachrichten auftauchen. Gerne werden dabei bunte Geschichten kolportiert, etwa jene von dem sagenhaften Blockchain-Erfinder Satoshi Nakamoto.

Welche Person oder Gruppe sich hinter diesem Namen verbirgt, ist völlig unklar. Oder die Geschichte der 7 500 Bitcoins von James Howells, einem IT-Techniker aus Wales, der die digitalen Münzen auf seinem Computer schlicht vergaß. Das Gerät landete irgendwann auf dem Müll. Mittlerweile ist seine Festplatte über 100 Millionen Euro wert, und Howells versucht, seine Heimatstadt zu überzeugen, die gesamte Mülldeponie umzugraben.

Nicht oft erlebt ein Spekulationsobjekt in so kurzer Zeit eine solche immense Wertsteigerung. Noch vor fünf Jahren entsprach eine Bitcoin gerade mal ein paar US-Cents. Anfang 2017 kletterte der Kurs auf rund 1 000 US-Dollar, im vergangenen Dezember lag er kurzfristig bei 20 000 US-Dollar, bevor er wieder sank. Viele versuchen nun, den Erfolg zu kopieren. Mittlerweile gibt es über 1 400 Kryptowährungen, ein Ende des Booms ist nicht in Sicht.

Den Erfolg verdanken die digitalen Währungen einem einfachen Gedanken, der an die Anfänge des Internets erinnert. Bislang wird jede Währung durch die Zentralbank eines Landes oder ­eines Währungsraumes kontrolliert. Den Zahlungsverkehr übernehmen Banken oder Dienste wie Paypal, die dafür Gebühren verlangen. Bei Bitcoin und anderen Kryptowährungen entfallen diese Instanzen.

Die Währung besteht aus Zahlencodes, die sich bei jeder Transaktion neu ­verschlüsseln und dadurch sehr fälschungssicher sind. Dahinter steckt eine dezentrale Datenbank, die Blockchain, die alle Bezahlvorgänge der Digitalwährung verschlüsselt und dokumentiert. Sie ist ein kollektives Buchhaltungssystem aller Bitcoin-Transaktionen, die ­jemals getätigt wurden. Die Datenkette verlängert sich mit jeder Transaktion um ein weiteres Datenpaket und aktualisiert sich laufend selbst. Die Währungs­souveränität wird damit von den ­Banken auf alle an den Transaktionen beteiligte Personen übertragen.

Setzte sich das Modell durch, würde es das gesamte Geldsystem radikal ­verändern. Banküberweisungen wären dann nur noch ein Relikt. Die neuen Währungen, die das Ende von Macht und Hierarchien durch dezentrale Strukturen versprechen, umgibt ein anarchistisches Flair, ähnlich wie das World Wide Web zu Beginn der Internet­ära. Damals versprach die digitale Avantgarde, das Informationsmonopol der Medienkonzerne durch die demokratische Partizipation der Nutzer zu ersetzen, die sich selbst zu Informations­produzenten aufschwingen könnten.

Die subversive Idee der Kryptowährung, die nicht zufällig im Umfeld der Cyberpunks in den neunziger Jahren entstand, erinnert in vieler Hinsicht eher an die marktradikale Lehre des Ökonomen Friedrich August Hayek als an die Ideen von Rudolf Rocker.

Hayek zufolge sei jeder Eingriff von staatlichen Institutionen schädlich für das Marktgeschehen, welches, auf sich selbst gestellt, sich zum besten Nutzen aller ­Beteiligten entwickele. Kryptowährungen wie Bitcoin beflügeln die libertären Phantasien von einer Gesellschaft, in denen Bürgerinnen und Bürger autonom über Währung und Zahlungsverkehr bestimmen können.

Bis es so weit ist, müssen allerdings noch einige praktische Probleme bewältigt werden. Das größte Hindernis stellt dabei ausgerechnet jene Eigenschaft dar, die den Erfolg der Krypto­währungen überhaupt erst ermöglicht. Die komplexen Rechenleistungen, die der gesamte Vorgang erfordert, wachsen in dem Maße, wie die Anzahl der »Münzen« und der Transaktionen steigt. ­Anfänglich genügte die Kapazität weniger Computer, um Münzen zu »schürfen«, wie das Generieren von Bitcoins analog zur Goldsuche heißt. Heute sind riesige Rechenfarmen nötig, um den Prozess weiter zu betreiben.

Nach Schätzung des Onlineforums Digiconomist könnten mit der Energie, die zurzeit eine einzige Bitcoin-Zahlung verbraucht, neun US-Haushalte einen Tag lang auskommen. Der Energiebedarf der Schürfbetriebe in China soll mittlerweile jenen von ganz Island übertreffen. Südkorea hat wegen des immensen Stromverbrauches den Handel mit der Währung stark eingeschränkt. In China wurde kürzlich eine Sperre für Bitcoin-Schürfer verhängt, was wiederum zu dramatischen Kursverlusten führte.

Je mehr »Münzen« im Umlauf sind, desto aufwendiger wird es, neue Einheiten zu berechnen. Insgesamt ist die Anzahl der Bitcoins auf 21 Millionen begrenzt, rund 17 Millionen sind bereits geschaffen. Die letzten Bitcoins können allerdings erst im Jahr 2140 erzeugt werden, schätzt der Wirtschaftsinformatiker Rainer Böhme an der Universität Münster. Für den Zahlungsverkehr stellt das schleppende Tempo ein elemen­tares Problem dar. Das Bitcoin-System erlaubt nur bis zu sieben Transaktionen pro Sekunde, die Kreditkarten-Gesellschaft Visa bewältigt nach eigenen Angaben rund 50 000.

Dennoch wäre es voreilig, die Währung deshalb abzuschreiben. Neue Kryptowährungen versprechen bereits, Transaktionen drastisch zu beschleu­nigen. Zudem ist Bitcoin der Anschluss an den regulären Aktienhandel gelungen. So eröffnte die weltgrößte Terminbörse CME Group in Chicago Mitte Dezember den Handel mit Bitcoin-Terminkontrakten, sogenannten Futures. Damit kann man, verkürzt gesagt, auf die künftige Entwicklung der Währung wetten. Falls die Futures erfolgreich sind, könnte es bald an der Börse gehandelte Indexfonds, sogenannte Exchange Traded Funds (ETFs) geben, die auf Bitcoin-Futures basieren und damit den Massenmarkt erschließen.

Der surreal anmutende Boom der Kryptowährung erinnert an andere Spekulationsblasen, wie etwa die Tulpenmanie in den Niederlanden von 1637, als irrwitzige Termingeschäfte um die Blumenzwiebel zum ersten Börsencrash der Weltgeschichte führten, oder die Blase der New Economy um die Jahrtausendwende. Letztlich basiert der Wert der Währung allein auf dem Glauben aller Beteiligten. Sind genügend Akteure davon überzeugt, dass sie von der Kryptowährung profitieren werden, steigt der Kurs. Kommen ernsthafte Zweifel auf, droht ein dramatischer Wertverfall.