Die Ausstellung »New Bauhaus Chicago« in Berlin

Vision in Contemplation

Als das Bauhaus 1933 von den Nazis zwangsaufgelöst wurde, emigrierte einer ihrer Lehrer, der Maler und Fotograf László Moholy-Nagy, in die Vereinigten Staaten und gründete in Chicago das New Bauhaus, das die Ideen der klassischen Moderne weiterentwickelte. Eine Ausstellung in Berlin über diese Schule präsentiert ihren Gegenstand aber allzu simpel und unhistorisch.

Das Jahr 2017 wartete mit einer kaum zu überschauenden Anzahl von Ju­biläen auf. An 100 Jahre Oktoberrevolution, den 50. Todestag von Benno Ohnesorg und Che Guevara und natürlich an 500 Jahre Reformation galt es sich zu erinnern. Vor allem das Reformationsgedenkjahr zeichnete sich durch eine fast impertinente Sehnsucht nach Tradition und protestantischer Orientierung aus. Der herrschende Umgang mit dem Erinnern zeigt die gesellschaftliche Funktion von Geschichte, von der schon Friedrich Nietzsche, Walter Benjamin und Eric Hobsbawm zu berichten wussten: dass die Geschichte zu einem überwiegenden Teil von Siegern, Autoritäten und reaktionären Kräften gemacht wird und zur Verfestigung ihres Machterhalts dient.

Doch ebenso kann die Beschäftigung mit Geschichte und das Erinnern an historische Ereignisse auch etwas zutage fördern, was sich der Indienstnahme entzieht, diese in Frage stellt und sogar kaum Beachtetes für die Gegenwart und Zukunft fruchtbar macht.

Im Jahr 2017 lutherte es also gewaltig, und es ist wohl nicht verfehlt zu erwarten, dass im Jahr 2019 eine künstlerische und pädagogische Tradition in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt, die den kulturellen Diskurs ähnlich bestimmen wird. Die Rede ist von dem 1919 in Weimar von Walter Gropius als Kunstschule gegründeten Bauhaus. Bekannt geworden sind die mit dieser Institution verbunden Namen, Architekturen, Kunstwerke, Designobjekte, pädagogischen und esoterischen Konzepte nicht nur in europäischem, sondern auch in globalem Maßstab. Im Jahr 2019 wird es also international ordentlich bauhausen, und schon jetzt – 2018 – kann sich das der klassischen Moderne verpflichtete Kulturpublikum an einigen Auftaktveranstaltungen erfreuen. Eine davon ist gegenwärtig im Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung in Berlin zu besichtigen, eine Ausstellung, die schon im Titel davon kündet, was den künst­lerischen Innovationen des 20. Jahrhunderts zumeist mit kaum zu überbietender Euphorie beigesellt wird: das Experiment.

Die seit Mitte November 2017 geöffnete Sonderausstellung »New Bauhaus Chicago: Experiment Fotografie und Film« beschäftigt sich mit der vor 80 Jahren gegründeten Nachfolgeinstitution des 1933 von den Nazis zur Selbstauflösung gezwungenen Bauhauses mit speziellem Blick auf die Entwicklung der Fotografie und des Films.

Was weiß diese von den Kuratoren selbst so bezeichnete Auftaktausstellung zum 100jährigen Gründungsjubiläum des Bauhauses zum Umgang mit der Geschichte dieser Institution zu sagen? Bedient sie den Mythos Bauhaus, macht sie Unbekanntes sichtbar oder kurz: Richtet sie überhaupt interessante Fragen an ihren Gegenstand?

László Moholy-Nagy, der 1937 mit der Unterstützung von Walter Gropius das New Bauhaus – 1939 als School of Design wiedereröffnet und 1944 in Institute of Design umbenannt – in Chicago gründen konnte, schrieb in seinem 1947 posthum erschienenen Hauptwerk »Vision in Motion«: »Der Mensch hat Pseudo­prinzipien erfunden, um dahinter die alte Krankheit der wirtschaftlichen Ungleichheit und des Lebens im Elend zu verstecken. Diese Missstände mündeten, auch indem sie monopolistische und faschistische Tendenzen näherten, schließlich in wiederholten Weltkriegen: grausamen Versuchen, die kapitalistische Konkurrenz zu gewinnen und den mit der Französischen und Amerikanischen Revo­lution so entschlossen begonnenen sozialen Fortschritt anzuhalten.« Mithilfe von Bildung, Erziehung und Kunst schwebte Moholy-Nagy eine Strategie vor, die die als Pseudoprinzipien bezeichneten Traditionen in Frage stellen und die sie stützenden herrschenden Verhältnisse überwinden könnte.

Gezeigt werden – fast ausschließlich – fotografische Arbeiten des ehemaligen Lehrpersonals und der Auszubildenden am Institute of Design.

Seine auf individuelle und gesellschaftliche Gleichheit gründende Vorstellung davon, was ein ausgefülltes und glückliches menschliches und soziales Leben ausmache, speiste sich aus einem reichen Fundus zeitgenössischer sowie historischer Theorien: Naturwissenschaft und Psychoanalyse, Reformpädagogik, marxistischer Anarchismus und Motive der Aufklärung und des Neuhumanismus Schiller’scher Prägung lassen sich in seiner pädagogischen Künstlertheorie finden. Es galt, über Wissenschaft und Kunst Menschen am New Bauhaus/Institute of Design zu bilden und zu erziehen, die in ­ihrer späteren künstlerischen Tätigkeit pädagogisch auf ein größeres Publikum wirken sollten.

Medien wie der Fotografie oder dem Film wurde dementsprechend die Funktion zugeschrieben, neue Denk- und Sichtweisen bei den Auszubildenden und den zukünftigen Betrachtern hervorzurufen. Das Sehen in Bewegung (Vision in Motion) wurde hier mit einigem Pathos zum Rezept der Genesung der gesamten Menschheit hochstilisiert.

Die von Moholy-Nagy schon in seinen Lehrjahren am Bauhaus theoretisch entwickelte pädagogische Erlösungsfunktion der Kunst bildet das gesellschaftspolitische Grund­gerüst seiner Chicagoer Zeit. Allein der Verweis auf diesen theoretischen, pädagogischen wie politischen Konnex hätte der Ausstellung einiges an durchaus diskutablem Stoff eingebracht. Stattdessen gliedert die Schau ihre Exponate in drei sehr unverfängliche und nicht besonders kontroverse oder gar thesenhafte Gruppen. Gezeigt werden – fast ausschließlich – fotografische Arbeiten des ehemaligen Lehrpersonals und der Auszubildenden am Institute of Design.

Ein zweiter Themenbereich widmet sich dem Sujet Chicago und schließlich werden wenige Informationen und Exponate zur Rezeption des Instituts in den Vereinigten Staaten in den achtziger Jahren mit zeitgenössischen Positionen in einem dritten Ausstellungsteil zusammengestellt. Das Kernstück der Sonderausstellung bildet zweifellos die materialreiche Präsentation der Fotografien am Institute of Design.

Hier überwiegt allerdings der Eindruck, dass bei der Bewältigung der größtenteils aus dem Bauhaus-Archiv stammenden Dokumente und künstlerischen Arbeiten eine Vorgehensweise waltete, die sich assoziativ aus dem reichhaltigen Kanon allgemeintheoretischer Begriffe zu Malerei und Fotografie bediente. Die Sortierung erfolgt unter Überschriften wie Abstraktion, Konzept, Fotogramme, Standards, gewerbliche Fotografie oder Figuration. Zweifellos zeigen die Fotografien beispielsweise von György Kepes, Arthur Siegel, Nathan Lerner und Robert Donald Erickson einen durchweg interessanten und mit Farben, Kontrasten und Unschärfen spielenden Umgang mit dem Medium Fotografie. Auch die Konzept­arbeiten von Kenneth Josephson, ­Joseph D. Jachna und Barbara Crane aus den sechziger und siebziger Jahren geben Zeugnis davon, wie stilprägend diese Fotografien waren und bis heute sind. Und ebenso erinnert Myrion Kozmans ausgestelltes Chemiegramm (ein mit Entwickler und Fixierer auf Fotopapier erzeugtes Gemälde) von 1938 daran, dass eben diese Produktionsweise mit ihren überraschenden Ergebnissen und irritierenden Wirkungen auf den Re­zipienten fast in Vergessenheit geraten ist.