Die deutsche Politik interessiert sich nicht für Kurden

Im Zweifel für Erdoğan

Mit einem großen Polizeiaufgebot wurde am Samstag in Köln der Protest gegen den Angriffskrieg der Türkei in Nordsyrien unterbunden. Erneut machte der deutsche Staat klar, wem seine Sympathien gelten.

Pärchen machten Selfies vor dem Kölner Dom oder aßen Wurst beim Curry-Weltmeister, während sich der Ebertplatz am Rand der Kölner Innenstadt langsam füllte. Die kurdische Organisation Nav-Dem (Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurden in Deutschland) hatte bundesweit zu einer ­Demonstration am 27. Januar in Köln gegen den Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien aufgerufen. Bei strahlendem Sonnenschein war die Stimmung gegen Mittag nicht nur friedlich, sondern angesichts des Anlasses fast schon erstaunlich gut. Keinerlei Aggression war unter den fast 20 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu spüren.

Sie verhielten sich gänzlich ­anders, als die von der Polizei zum Teil offen geäußerten, zum Teil gestreuten Prophezeiungen hatten erwarten lassen. Von befürchteten Ausschreitungen im von vielen Türken bewohnten Stadtviertel Eigelstein war die Rede. Journalisten war nahegelegt worden, zur Berichterstattung einen Helm mit­zunehmen. Für die Polizeikräfte aus Nordrhein-Westfalen wurde Unter­stützung aus Niedersachsen und Hessen herbeigeholt.

Ein Schreckensszenario hatte die Kölner Polizei an die Wand gemalt und Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU), vor Amtsantritt im vergangenen Sommer in Fragen der Innenpolitik ein Laie, hatte eine Null-Toleranz-Strategie für den Fall angekündigt, dass Fahnen mit dem Konterfei des inhaftierten ehemaligen PKK-­Vorsitzenden Abdullah Öcalan gezeigt würden.

Diese zu zeigen, ist nicht seit dem Verbot der PKK im Jahr 1993 untersagt, sondern erst seit einem guten Jahr. Der Jungle-World Mitherausgeber und Welt-Türkei-Korrespondent Deniz Yücel saß zu diesem Zeitpunkt bereits unter ­fadenscheinigen Vorwürfen in Haft und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan warf der Bundesregierung Nazi-Methoden vor, weil sie seinen Referendumswahlkampf in Deutschland behinderte. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) versuchte zu dieser Zeit, das Herz Erdoğans zu gewinnen: 33 Symbole, die als PKK-nah galten, wurden verboten, darunter Fahnen mit dem Bild Öcalans und das Logo der syrischen »Volksbefreiungseinheiten« (YPG), die als Verbündete der USA gegen den Islamischen Staat (IS) kämpften.

Die Türkei war mit den Verboten de Maizières allerdings nicht zufrieden. Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments, Mustafa Yeneroğlu, wertete sie als »Eingeständnis, dass man im Umgang mit der Terrororganisation bisher nicht ernsthaft bei der Sache war«. Bilder Öcalans auf Demonstrationen seien nicht so wichtig, kurdische Strukturen sollten zerschlagen werden. So weit mochte dann selbst die Bundes­regierung nicht gehen.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Reul und Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob setzten die verschärften Vorgaben in Köln mit großem Eifer durch. Sie ließen die Demonstration am Samstag auflösen und selbst Kinder einkesseln – wegen ein paar Fahnen, die vor einem Jahr noch legal waren und niemanden gestört hätten. Katja Kipping, die Vorsitzender der Links­partei, war in Köln dabei und schrieb später auf Facebook: »In vielen europäischen Hauptstädten und sogar weltweit wurde heute für den Frieden in Afrin demonstriert. Aber in Köln wird eine ganze Demonstration wegen ­Fahnen mit dem Bild von Abdullah Öcalan mitten auf der Strecke erst aufgehalten und dann aufgelöst. Nein, hier hätte das schwarzgelbe Innenministerium durchaus auch im Sinne der ­politischen Verhältnismäßigkeit anders entscheiden können«.

Reul hat es nicht getan. Dabei ist Verhältnismäßigkeit sonst ein Marken­zeichen der nordrhein-westfälischen Polizei, wenn es um den Umgang mit Rechtsextremen geht. So ignorieren Polizeibeamte Hitler-Grüße in Demonstrationszügen, lassen sich aus rechtsextremen Kundgebungen ­stundenlang mit Böllern bewerfen oder dulden Verstöße gegen Demonstrationsauflagen mit dem Hinweis, ein Einsatz könne in einem Wohngebiet für Unruhe sorgen.

 

Sigmar Gabriels Reaktion lässt die Türkei unbeeindruckt

 

Nav-Dem bezeichnet das Zeigen von Öcalan-Flaggen als Akt des zivilen ­Ungehorsams. Abdullah Öcalan sei eine Symbolfigur des Kampfes der Kurden für die Anerkennung ihrer Rechte. Auch auf Seiten des türkischen Staats herrsche die Einsicht, dass keine politische Lösung der kurdischen Frage ohne die Einbindung Öcalans möglich sei, gibt Nav-Dem zu bedenken: »Es steht also außer Frage, dass für eine friedliche Lösung des Konflikts in Kurdistan ­Abdullah Öcalan eine ähnliche Rolle zukommt wie Nelson Mandela bei der Überwindung des Apartheid-Regimes in Südafrika.«

 

Sein Amt diente Gabriel jedenfalls dazu, seine Position innerhalb der SPD zu sichern. Wie fast jeder Außenminister stieg auch Gabriel zu einem der beliebtesten Politiker auf.

 

In einer Erklärung reagierte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) auf den türkischen Angriff. Man sei nach wie vor sehr ­besorgt und setze sich gemeinsam mit Frankreich »dafür ein, eine weitere ­Eskalation zu stoppen, den humanitären Zugang zu ermöglichen und die Zivilbevölkerung zu schützen«. Dass sich die Türkei davon nicht beeindrucken lässt, ignoriert die Bundesregierung. »Gemeinsam mit Frankreich treten wir auch dafür ein, dass die Sicherheitsinteressen der Türkei Beachtung finden. Aber die Chance auf politische Verhandlungen für Frieden und Stabilität in Syrien ist da und darf nicht durch weitere militärische Auseinandersetzungen aufgehalten werden. Dies habe ich mehrfach der türkischen Regierung gegenüber deutlich gemacht«, sagte Gabriel weiter. Mag sein, dass die türkische Regierung einen Außenminister nicht ernst nimmt, den seine eigene Partei nicht einmal mehr zu Sondierungsgesprächen mitnimmt, oder dass sie festgestellt hat, dass das, was Gab­riel heute sagt, für ihn schon morgen keine Bedeutung mehr hat.

Sein Amt diente Gabriel jedenfalls dazu, seine Position innerhalb der SPD zu sichern. Wie fast jeder Außenminister stieg auch Gabriel zu einem der beliebtesten Politiker auf. Im Januar lag er sogar vor Angela Merkel (CDU) und Cem Özdemir (Grüne) auf Platz eins der Politherzensbrecher. Diese Popularität und die Dankbarkeit Frank-Walter Steinmeiers, der ohne seine Hilfe nie Bundespräsident geworden wäre, ­waren für ihn die beste Chance, die Bundestagswahl und einen SPD-Vorsitzenden Martin Schulz politisch zu überleben. Außenpolitische Linien oder eine Haltung hat er hingegen nie entwickelt. Dass der Konflikt mit der ­Türkei in seine Amtszeit fiel, ist Pech. Der überforderte und rückgratlose ­Außenminister sichert Verfolgten des Erdoğan-Regimes die Solidarität der Bundesrepublik zu, ohne diesem Versprechen Taten folgen zu lassen. In der Opposition fordete er die Senkung der Rüstungsexporte, um sie dann in der Regierung zu steigern. Die Bundes­regierung hält im Zweifel zu Erdoğan. Am Kampf ­gegen den IS hat man sich ohnehin kaum beteiligt. ­Außenpolitik ist für Deutschland Handelspolitik, und die Türkei kann für Waffen mehr auf den Tisch legen als die Kurden. Der Kampfpanzer Leopard 2 ist ein deutscher Exportschlager und kommt nun auch in Afrin zum Einsatz.

Während in Köln die kurdische ­Demonstration nach einigen Stunden aufgelöst wurde, protestierten 5 000 Kurden in London. Auch sie hatten Öcalan-Fahnen dabei. 20 Polizeibeamte sorgten dafür, dass sie sicher durch den sonnabendlichen Verkehr kamen.