Eine Kritik der Festschreibung von Identitäten im Antirassimus

Im Kreis der Identitäten

In der Linken wird seit einiger Zeit über Intersektionalismus, »critical whiteness« und die daraus resultierende Identitätspolitik diskutiert. Ein Überblick über die Debatte und ihre Auswirkungen.
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Debatten über Inter­sektionalität, critical whiteness und die ­damit einhergehende Identitätspolitik begegnet man in den vergangenen Jahren vermehrt. Bei den einen führen sie zu Kopfschütteln und Unverständnis, bei anderen hingegen zu dem Gefühl, endlich Gerechtigkeit zu erfahren, weil die eigene subjektive Erfahrung Platz in der politischen Auseinandersetzung bekommt.

Während antirassistische Arbeit in Deutschland sich in den neunziger und den frühen nuller Jahren größtenteils mit der Bekämpfung von rassistischen Zuständen beschäftigte, liegt der Schwerpunkt heute auf ­Privilegien und anderen identitätspolitischen Zuschreibungen. Diese veränderte Perspektive fand ihren Weg aus dem US-amerikanischen Raum nach Europa, zumeist ohne Reflexion auf die spezifische Situation in den USA.

Die US-amerikanische Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw, die den Begriff der Intersektionalität  geprägt hat, verwies damit auf die Mehrfachbetroffenheit von afroamerikanischen Frauen in Hinsicht auf gender und race. In Gerichts­urteilen aus den achtziger Jahren wurde die Kreuzung von Diskriminierungen oft nicht geahndet, um Klagewellen zu verhindern. Dies entsprach aber nicht der Lebensreali­tät der klagenden Frauen, diese waren nicht nur von der einen oder anderen, sondern sowohl als Schwarze von Rassismus wie auch als Frauen von Sexismus betroffen. Sie machten daher andere Erfahrungen als weiße Frauen oder schwarze Männer.

 

Obwohl »weiß« po­litisch verstanden werden soll, werden Begriffe wie jener der »Rasse« häufig reproduziert, da der Versuch, die unsichtbaren Diskriminierungen sichtbar zu machen, unweigerlich die Rassifizierung von Menschen zur Folge hat.

 

Das andere Konzept, von dem regelmäßig zu hören ist, ist das der critical whiteness. Die Anhängerinnen dieser Theorie wollen das Blickfeld der Rassismusforschung von den Opfern auf die Profiteure von Rassismus verschieben. Die unmarkierte Norm soll markiert und dem Weißsein seine konstatierte Unsichtbarkeit genommen werden. So wird der Begriff »weiß« zum wesentlichen Dreh-und Angelpunkt des Diskurses. Die Anhängerschaft der critical ­whiteness verweist immer wieder darauf, dass »weiß« nicht als Farbe, sondern politisch verstanden werden soll. Die Praxis erwies in den vergangenen Jahren jedoch das Gegenteil. Kritik an Identität wurde zugunsten einer hypostasierten schützenswerten – in diesem Fall einer nichtweißen – Identität aufgegeben.

Doch warum führen diese Theo­rien in politischen Zusammenhängen zu identitätspolitischen Zuschreibungen? Warum ist die Linke hierfür anfällig? Sollte die antiras­sistische Utopie nicht eigentlich verlangen, dass jede und jeder unsichtbar werden darf? Dass niemand Aufmerksamkeit auf sich zieht oder Mitleid erregt aufgrund seiner Hautfarbe?

Im gleichen Maß, in dem sich der Fokus auf die vermeintlichen Profiteure von Rassismus verschob, verschwanden dessen Ursachen aus dem Blickfeld. Statt Herrschaft zu thematisieren, arbeitet man sich an Individuen ab. Obwohl »weiß« po­litisch verstanden werden soll, werden Begriffe wie jener der »Rasse« häufig reproduziert, da der Versuch, die unsichtbaren Diskriminierungen sichtbar zu machen, unweigerlich die Rassifizierung von Menschen zur Folge hat. Das eigentliche Ziel antirassistischer Politik, das in der Abschaffung von rassischen, nationalen, kulturellen wie geschlechtlichen Identitäten bestehen sollte, gerät in den Hintergrund. Stattdessen steht das Anderssein im Mittelpunkt. Dieses Anderssein können weiße Männer allerdings nicht in Anspruch nehmen: Aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe gelten die per se als Täter, als das glorifizierte Böse.

Doch wichtige Kategorien wie Klasse oder die sexuelle Orientierung betreffen alle Menschen, sind äußerlich nicht zwangsläufig erkennbar und werden meist mit der Begründung übergangen, dass sie nicht sichtbar seien und daher nicht zwangsläufig zur Marginalisierung führten. Die Theoretikerin Jasbir Puar sagt sogar, dass jegliches ­Ansprechen anderer Diskriminierungsformen von Rassismus ab­lenke und seine Existenz verschleiern wolle.