Christian Fuchs, Professor für soziale Medien, im Gespräch über die Rolle der Medienberichterstattung bei der autoritären Umstrukturierung der USA

»Nicht zu berichten, könnte oft effektiver sein«

In seinem Buch »Digital Demagogue: Authoritarian ­Capitalism in the Age of Trump and Twitter« geht Christian Fuchs der Frage nach, ob die Ideologie Donald Trumps langfristig die Politik und Ökonomie der USA umkrempelt. Fuchs ist Professor für soziale Medien an der University of Westminster und entwickelt in seinen ­Arbeiten eine kritische Theorie im digitalen Zeitalter. Mit der »Jungle World« hat er über Trumps Kommunikationsverhalten, »Slow Media« und digitale Politik gesprochen.
Interview Von

US-Präsident Donald Trump wird oft als »Twitter-Präsident« bezeichnet. Verschiebt er den Ort des politischen Geschehens tatsächlich vom Regierungssitz zu den Plattformen sozialer Medien?
Digitale Politik ist nicht entmaterialisiert und virtuell, sondern findet als Teil materieller Verhältnisse statt. Für Trump sind Twitter, Facebook und Instagram zunächst die kommunikativen Instrumente seiner rechten Politik, die er aus dem Oval Office organisiert. Nur nutzt er sie intensiver als andere vor ihm.

Dennoch kritisieren Sie auch etablierte und kritische Medien scharf für ihre Berichterstattung über Donald Trump und werfen ihnen vor, sie seien mitverantwortlich für seinen Erfolg.
Liberale Medien wie CNN, die New York Times und die Washington Post zählt Trump zu seinen Hauptfeinden. Zugleich haben ihn solche Medien durch ihre ständige Berichterstattung als ­politisches Spektakel mitproduziert, da sie ihm überproportional viel Aufmerksamkeit und eine Plattform geboten haben. Nicht zu berichten, könnte dabei oft effektiver sein als pseudokritische Dauerberichte und Schlagzeilen über jeden Twitter-Furz Trumps.Das ist allerdings kein neues Phänomen. In den neunziger Jahren haben zum Beispiel die liberalen Printmedien in Österreich Jörg Haider mit zum Aufstieg verholfen. Das Profitstreben der Medien verstärkt die Sichtbarkeit rechter Ideologie. Aufklärung hat unter Bedingungen des Kapitals eine negative Dialektik.

Gegen das Spektakel plädieren Sie für »Slow Media«. Das hört sich zunächst einmal langweilig an.
Im Zeitalter der kapitalistischen Beschleunigung, Oberflächlichkeit und Sensationsgier sind die Langeweile und die Entschleunigung progressive ­Prinzipien.

Funktioniert die Polarisierung online tatsächlich so, wie landläufig erklärt wird? Beschleunigen und verstärken sich Angst, Geschrei und Hass in Echokammern und schaffen gänzlich separierte Vorstellungen von Realität?
Das Phänomen der Online-Echokammern existiert, wird aber oft überschätzt. Denn es ist auch nicht realistisch, dass sich Rechtsextreme durch rationale Argumente in Online-Foren oder sozialen Medien überzeugen ­lassen, da völkische Ideologie nicht rational, sondern emotional und ideologisch agiert.

Viel eher zeigen Studien, dass sogenannte fake news primär aus dem rechten Bereich stammen und dort auch Resonanz finden. Auch Bots, die Aufmerksamkeit simulieren, spielen eine Rolle in dem Prozess. Auf Facebook gibt es etwas mehr Interaktion zwischen sich polar entgegenstehenden Positionen als auf Twitter, da Twitter strukturell Kommunikation verunmöglicht.

Sie fordern, die großen Unternehmen sozialer Medien wirtschaftlich stärker zur Verantwortung zu ­ziehen für die Verbreitung von Falschmeldungen und Hasskommentaren.
Der Warenfetisch macht Online-­Unter­nehmen blind für die Inhalte, die per Algorithmen und Online-­Werbung verbreitet und vermarktet werden, da sie einzig daran interessiert sind, viele Klicks und hohe Aufmerksamkeits­raten zu erreichen. Dem Algorithmus ist es egal, ob er Propaganda für ­Faschismus oder Werbung für Schokokekse verbreitet. Er ist darauf programmiert, den Profit und die Aufmerksamkeit zu maximieren. Es ist nicht realistisch, dass profitorientierte Plattformen freiwillig ernstzunehmende Schritte gegen rechtsextreme Propaganda unternehmen.

Apropos Profit: Sie haben Trumps Fernsehshow »The Apprentice« ­empirisch untersucht. Was sagen Ihnen die Ergebnisse über Trump als Politiker?
Eine Analyse des Kommunikationsverhaltens Trumps in »The Apprentice« und auf Twitter bestätigt die Annahme, dass er eine autoritäre Persönlichkeitsstruktur hat. Er verehrt Hierarchie, Militarismus und die Nation und betreibt Hetze gegen Minderheiten und politische Gegner.

Was kann die Analyse von Tweets und Reden des Präsidenten über den allgemeinen Zustand von Gesellschaft und Medien aussagen?
Phänomene wie Trump und neue Nationalismen verdeutlichen die Aktualität der Theorie der autoritären Persönlichkeit, die von Wilhelm Reich, Erich Fromm und Theodor W. Adorno begründet wurde. Kapitalistische soziale ­Medien sind von ihrer Struktur her oft so angelegt, dass sie gar nicht sozial sind, sondern den Individualismus, den Narzissmus und den Persönlichkeitskult fördern. Es sind Plattformen des neoliberalen Selbsts, individualistische Medien, nicht soziale Medien. Es geht um die Akkumulation von Repu­tation. Eine derartige Medienstruktur ist geradezu eine Einladung an autori­täre Persönlichkeiten, die Plattformen zur Verbreitung autoritärer Ideologie zu nutzen.

In Ihrem bald erscheinenden Buch gehen Sie der Frage nach, inwieweit sich Trumps Ideologie in der Gesellschaft durchsetzt. Muss man sich vor den Ergebnissen fürchten oder ist angesichts vielfältiger ­Widerstandsformen Entwarnung angesagt?
Trump ist kein Einzelphänomen, sondern eine der vielen strukturellen ­Manifestationen des tendentiellen Umschlags des Neoliberalismus in autoritären Kapitalismus. Der Kapitalismus hat immer autoritäre und faschistische Potentiale, die in Krisensituationen noch viel ausgeprägter sind. Ent­warnung kann es daher nicht geben. In vielen Ländern findet rechter Auto­ritarismus gegenwärtig, in Zeiten des digitalen Kapitalismus, zudem große Unterstützung in der traditionellen Arbeiterklasse, die sich durch digitale Rationalisierung und Automatisierung tendenziell auflöst und umwandelt.

Warum verwenden Sie in diesem Zusammenhang als Analyseeinheit stets explizit den autoritären Kapitalismus anstatt des autoritären Charakters?
Der Kapitalismus ist nicht nur eine Wirtschaftsform, sondern vor allem eine Gesellschaftsformation. Das bedeutet, dass sich autoritärer Kapitalismus potentiell auf allen Stufen der Gesellschaft organisiert. Der autoritäre ­Charakter ist die individuelle und psychologische Erscheinungsform des ­autoritären Kapitalismus. Dieser ist vielschichtig und tritt auch nicht ­notwendigerweise auf allen Ebenen im selben Ausmaß auf.

 

Trump als Ausdruck der »Haiderisierung der Politik«

 

Sie haben kürzlich einen Artikel von Franz L. Neumann aus den fünfziger Jahren wiederveröffentlicht. Was macht diesen Vertreter der Frankfurter Schule für die Analyse heutiger Politik aktuell?
Im Aufsatz »Angst und Politik«, den wir in der Zeitschrift tripleC: Com­munication, Capitalism & Critique wiederveröffentlicht haben, kombiniert Neumann politische Ökonomie, Ideologiekritik und Aspekte Freud’scher Psychoanalyse. Wir erleben heute das, was Neumann als destruktive kol­lektive Angst bezeichnet. Diese manifestiert sich Neumann zufolge im ­Kontext von ökonomischer, politischer, sozialer und psychologischer Entfremdung, destruktivem Wettbewerb, der Institutionalisierung der Angst in der Form rechter und rechtsextremer Bewegungen und hat mit der Furcht vor Statusverlust zu tun, auf den mit Verfolgungsangst, Verschwörungs­theorien und der Identifizierung mit einer Führungsfigur geantwortet wird.

Auch auf Neumanns Hauptwerk »Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933–1944« beziehen Sie sich. Ist diese Schrift nicht durch spätere Analysen von Autoritarismus und totaler Herrschaft ersetzt worden?
Franz Neumann ist ein ignorierter Theo­retiker der Frankfurter Schule. Horkheimer und Adorno nahmen seine Arbeit nicht ernst, sahen ihn vorwiegend als den Advokaten des Instituts im Exil. Die Stärke von »Behemoth« besteht darin, dass eine politisch-öko­nomische Strukturanalyse mit Ideologiekritik kombiniert wird. Auch ­psychoanalytische Aspekte erachtete Neumann als wichtig. Wir brauchen heute einen derartigen methodischen Ansatz, um den Nationalismus adäquat verstehen zu können.

Neumann betont in »Behemoth« ­etliche Elemente, die auch heute Erklärungskraft haben: die Verknüpfung von politischer Macht und Kapital, charismatische Herrschaft, das Führerprinzip, völkische Ideologie und Nationalismus zur Legitimierung ungleicher ­Rechte, rassistischer Kapitalismus, die Verknüpfung von Patriarchat und Militarismus, Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit und so weiter. Neumann betont, dass die Bürokratisierung der Gewerkschaftsbewegung in den zwanziger Jahren den Antifaschismus schwächte. Eine ähnliche Rolle spielt seit mehreren Jahrzehnten die Neoliberalisierung der Sozial­demokratie.

Im deutschsprachigen Raum kann es derzeit niemand mit der Reichweite der Marke Trump aufnehmen. Wie US-spezifisch ist seine Politikstrategie?
Trump ist nur ein Ausdruck dessen, was Ruth Wodak in Österreich an­gesichts des Aufstiegs Jörg Haiders als die »Haiderisierung der Politik« ­bezeichnet hat. Treffender ist es heutzutage, von einer umfassenden ­Haiderisierung des Kapitalismus und der gleichzeitigen Globalisierung des Typs Haider zu sprechen. In Österreich und Deutschland findet doch gerade das Aufleben von ein, zwei, vielen solcher Charaktere statt.

Ihr Buch verspricht nicht weniger, als Möglichkeiten zu nennen, den Kapitalismus zu überwinden und die Linke zu erneuern. Könnten wir einen Vorgeschmack darauf bekommen?
Der autoritäre Kapitalismus bedeutet zunächst auch eine Krise der Linken. Links blinken und dann rechts abbiegen ist der falsche Weg. Sozialistischer ­Humanismus ist das einzige Mittel gegen die rechte Demagogie.