Nach den rassistischen Anschlägen in Macerata bestimmt die Rechte in Italien die Wahlkampfthemen

Buhlen um die Rechten

Nach einem rassistischen Anschlag rief die italienische Regierungspartei PD nicht etwa zur antifaschistischen Demonstration auf, sondern zur Ruhe. Eine Großdemostration in Macerata gab es trotzdem. Die Rechte bestimmt derweil die Wahlkampfthemen.

Mehr als 20 000 Menschen demons­trierten am Samstag in Macerata »gegen jeden Faschismus und Rassismus« und gegen jeden institutionellen Versuch neofaschistische Gewalt zu rechtfertigen oder zu verhamlosen. Der Bürgermeister der mittelitalienischen Kleinstadt, Romano Carancini, hatte zuvor darum gebeten, die antifaschistische Mobilisierung »auszusetzen«, die Bürgerschaft brauche nach »schweren Tagen« eine Zeit der Ruhe und Einkehr, um zur »Normalität« zurückzufinden. Seine Parteifreunde aus dem Partito Democratico (PD) hatten diesen Vorschlag unterstützt. Innenminister Marco Minniti drohte sogar mit einem Verbot der Demonstration.

Doch die Ankündigung des Gewerkschaftbunds CGIL und des Partisanenverbands ANPI, ihre Teilnahme zurückzuziehen, wurde an der Basis empört zurückgewiesen und bescherte dem Aufruf des lokalen Centro Sociale »Sisma« letztlich unerwartet große Resonanz. Zwar blieben die Innenstadt von Macerata abgeriegelt, der öffentliche Nahverkehr unterbrochen und viele Geschäfte geschlossen, aber auch außerhalb der alten Stadtmauer war der Protest von antifaschistischen und katho­lischen Gruppen, gewerkschaftlichen Basisvereinigungen sowie verschiedenen linken Splitterparteien nicht zu überhören. Gleichzeitig kam es in zahlreichen anderen Städten zu Solidaritätskundgebungen »gegen faschistische, rassistische und sexistische Gewalt«, unter anderem in Mailand, Brescia, Turin und Rom.

Eine Woche zuvor war der bekennende Neofaschist Luca Traini zwei Stunden lang durch Macerata gefahren und hatte aus seinem Wagen heraus auf ­afrikanische Geflüchtete geschossen. Fünf Männer und eine Frau wurden dabei verletzt. Nach seiner Festnahme sagte Traini aus, dass er mit einem »Blutbad« den Tod von Pamela Mastropietro habe rächen wollen. Die zerstückelte Leiche der jungen Frau war Ende Januar in zwei Rollkoffern in einer Nachbarstadt von Macerata entdeckt worden. Bereits wenige Stunden nach dem Fund der Toten war ein nigerianischer Migrant, der ihr Drogen verkauft haben soll, als tatverdächtig festgenommen worden. Seit dem Wochenende befinden sich zwei weitere Migranten aus Nigeria in Haft. Nachdem zunächst vermutet wurde, Mastropietro sei an einer Überdosis gestorben, geht die Staatsanwaltschaft inzwischen von Mord aus, jedoch sind das Motiv und der Tathergang noch ungeklärt.

 

In der Hauptstadt huldigten Anhänger des Fußballclubs Lazio Rom mit Spruchbändern und Graffiti ihrem »Capitano Traini«. In den sozialen Netzwerken solidarisierte sich der Mob mit der Parole »Traini soll Präsident werden«.

 

Während die Nachricht von der Verstümmelung der jungen Frau in der Öffentlichkeit noch mit Erschütterung aufgenommen worden war, offenbarten die Reaktionen auf Trainis Anschläge die rassistische Grundstimmung der italienischen Gesellschaft nur wenige Wochen vor den Parlamentswahlen am 4. März. Obwohl Traini seine faschistische Überzeugung mit der tätowierten Wolfsangel, einem von der rechtsterroristischen Gruppe »Terza Posizione« in den siebziger Jahren in Anlehnung an das Wappenzeichen der SS-Panzerdivision »Das Reich« gestalteten Symbol, auf dem kahlrasierten Schädel zur Schau stellt, erklärte ihn der PD-Vorsitzende Matteo Renzi verharmlosend zu einer »erbärmlichen und verrückten Person«. Selbst nachdem in Trainis Wohnung eine Fülle an neonazistischem Propagandamaterial sichergestellt worden war, sprach Innenminister Minniti noch beschwichtigend von einem »persönlichen rechten Hintergrund« des Täters.

Ebenso wie die Parteiführung des PD versuchte auch der Movimento 5 Stelle (M5S) die rassistischen Anschläge zu entpolitisieren. Alessandro Di Battista, einer der populärsten M5S-Abgeordneten, sagte, angesichts der »menschlichen Tragödie«, die sich in Macerata zugetragen habe, sei es die moralische Pflicht der politischen Verantwortlichen, zu schweigen und nicht auf dem Rücken der Opfer Wahlkampf zu machen. Das Schweigegelübde des M5S und der Aufruf des PD zur Ruhe erlaubten es den beiden Parteien, über die sechs afrikanischen Opfer kein Wort zu verlieren. Gleichzeitig wurden die Ressentiments der eigenen Wählerschaft stillschweigend bestätigt.

Die Rechtsextremen zögerten dagegen nicht, die Vorfälle in Macerata für ihre Wahlkampagnen zu instrumenta­lisieren. Matteo Salvini, der Vorsitzende der rechten, zur italienweiten Partei ausgebauten Lega Nord, rechtfertigte in einer ersten Stellungnahme die rassis­tischen Anschläge als Folge einer »außer Kontrolle geratenen Immigration«. Den Vorwurf, seine Hetzreden hätten Traini, der bei den Kommunalwahlen vor einem Jahr noch für die Lega Nord kandidiert hatte, überhaupt erst zur Tat angestiftet, konterte er mit der Anschuldigung, die moralische Verantwortung für jegliche Gewalthandlung läge allein bei denjenigen, die Italien in ein »enormes Flüchtlingscamp« verwandelt hätten.

 

Solidarität mit dem Neofaschisten

 

Roberto Fiore, der 1978 die von Traini bewunderten rechte Terrorgruppe »Terza Posizione« und 1997 die neofaschistische Bewegung Forza Nuova mitbegründet hatte und letzterer bis heute vorsteht, solidarisierte sich offen mit dem jungen »Patrioten« und sicherte ihm anwaltlichen Beistand zu. Eine unangemeldete Solidaritätskundgebung von circa 50 Kameraden der Forza Nuova, die Traini am Ort seiner »Heldentat« die Ehre erweisen wollten, wurde von der Polizei zurückgedrängt, nachdem bereits tags zuvor eine Abordnung der neofaschistischen Bewegung Casa Pound durch das Zentrum von Macerata marschiert war. In der Hauptstadt huldigten Anhänger des Fußballclubs Lazio Rom mit Spruchbändern und Graffiti ihrem »Capitano Traini«. In den sozialen Netzwerken solidarisierte sich der Mob mit der Parole »Traini soll Präsident werden«.

 

Mit der Beschwichtigungsstrategie der Demokratischen Partei gegen die wachsende neofaschistische Gewalt scheint der antifaschistische Konsens, der die italienische Republik begründete, end­gültig aufgekündigt.

 

Vom Amt des Ministerpräsidenten träumt Matteo Salvini. In Umfragen liegt das rechte Bündnis aus Silvio Berlusconis Forza Italia (FI), der postfaschistischen Splitterpartei Fratelli d’Italia und Salvinis Lega Nord vor dem vom PD geführten Parteienbündnis. Stärkste Partei aber bleibt weiterhin der M5S und für keine der drei politischen Kräfte reicht es derzeit für eine Regierungsmehrheit. Es ist also eher unwahrscheinlich, dass sich Salvinis Traum von der Macht erfüllen wird. Doch die Reaktionen auf die rassistischen Anschläge in Macerata haben gezeigt, dass sich der Wahlkampf nun ganz auf rechte Wähler konzentriert und als Überbietungswettbewerb weitergeführt wird. Nachdem Berlusconi versprochen hatte, 600 000 Migranten unverzüglich abzuschieben, rechnete ihm Minniti die Erfolge der italienisch-libyschen Kooperation in der Abschottungspolitik vor. Casa Pound propagiert derweil die Entsendung der Armee: Libyen soll wieder italienische Kolonie werden.

Als Renzi am Wochenende über seine Facebook-Seite dazu aufrief, das Land nicht den »Extremisten« zu überlassen, ließ die Formulierung offen, ob er damit eine verklausulierte Warnung vor den neofaschistischen Bewegungen aussprach oder auch jene antifaschistischen Gruppen diffamieren wollte, die in Macerata gegen die fraktionsübergreifende Politik der Diskriminierung und Abschottung demonstrierten.

Unter dem Titel »Nie wieder Faschismus« zirkuliert seit Samstag ein Aufruf an die demokratischen Insti­tutionen, die vielen Gruppen, die sich offen auf den Faschismus beziehen und rassistische Hasspropaganda betreiben, gemäß der Verfassung strafrechtlich zu verfolgen. Dass diese Forderungen auf den Demonstrationen am Wochenende von Lidia Menapace und Tina Costa, zwei ehemaligen, heute über 90jährigen Partisaninnen, vor­getragen wurden, verlieh dem Appell wirkungsvoll Nachdruck. Mit der Beschwichtigungsstrategie der Demokratischen Partei gegen die wachsende neofaschistische Gewalt scheint der antifaschistische Konsens, der die italienische Republik begründete, end­gültig aufgekündigt. Den verschiedenen linken Gruppen, die sich zur Wahl stellen, werden zusammengerechnet derzeit weit weniger als zehn Prozent der Wählerstimmen prognostiziert – ganz abgesehen davon, dass die größte und aussichtsreichste Gruppe, »Liberi e uguali« (LeU), aus einer Linksabspaltung des PD hervorging, deren Abgeordnete in den vergangenen Jahrzehnten die revisionistische Vergangenheitspolitik und die repressive Immigrationsgesetzgebung mitverantwortet haben.