Die Linkspartei kann sich nicht auf einen einheitlichen Kurs verständigen

Selbst im Weg

Die deutsche Linkspartei drückt sich um eine Entscheidung in ihrem wichtigsten Richtungsstreit.
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An Potential für eine starke Linksopposition mangelt es nicht: Die Einkommens- und Vermögensunterschiede wachsen stetig, die Löhne stagnieren, die Zahl der Armen steigt – und die herrschende Politik unternimmt nichts dagegen. Die SPD strebt in die Koalition mit der CDU/CSU und stürzt in Umfragen ab. Die Grünen haben erstmals in ihrer Geschichte zwei Vertreter des rechten Flügels an ihre Parteispitze gewählt. Und dann sitzen da noch Faschisten im Parlament. Aber der Linkspartei gelingt es nicht, daraus politisches Ka­pital zu schlagen. Mal wieder. Ob die Konkurrenz Höhenflüge feiert oder abstürzt, ob Finanzkrise oder Aufschwung, ob vier, fünf oder sechs Fraktionen im Bundestag – die Linke dümpelt davon unbeeinflusst stets zwischen acht und zwölf Prozent.

Die Gründe, weshalb die Linkspartei stagniert, sind vielschichtig. Doch seit der Bundestagswahl scheint es an der nicht enden wollenden Beschäftigung der Partei mit sich selbst zu liegen. Eine unproduktive Auseinandersetzung folgt auf die nächste. Mal gibt es stundenlange Krisengespräche über die Frage, wer im Fraktionsvorstand abstimmen und wie lange im Plenum reden darf, mal fetzt man sich darüber, wer zu Neujahrsempfängen eingeladen wird, dann streitet man, ob man eine »linke Sammlungsbewegung« auf die Beine stellen oder lieber darauf setzen soll, dass man selbst stärker wird. Eine Partei, in der man sich wegen solcher Fragen härter bekämpft als den politischen Gegner, ist nicht sexy.

Die Auseinandersetzungen um Formalien wirken unpolitisch. Doch es handelt sich dabei um Stellvertreterdebatten. Eigentlich geht es um die Frage, ob man nur der Form oder auch dem Inhalt nach eine nationale Linke sein will. Während das Kapital sich immer stärker globalisiert, setzen die einen auf einen starken und ab­geriegelten Sozialstaat, die anderen hingegen klammern sich verzweifelt an das Ideal der internationalen Solidarität und die damit verbundener Weltoffenheit. Die interne Machtarithmetik der Partei verhindert, dass dieser Widerspruch offen ausgetragen wird. Führungsfiguren, die in dieser Frage auf der gleichen Seite stehen, agieren in zwei Machtblöcken innerhalb der Partei gegeneinander. Beide Machtblöcke sind sich im Grundkonflikt jeweils intern uneins.

Der eine Machtblock aus Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht sowie ihren jeweiligen Anhängern führt die Fraktion. Der andere, bestehend aus Katja Kipping und Bernd Riexinger, führt die Partei. Diese Konstellation sorgt dafür, dass der Widerspruch unterdrückt, anstatt in die eine oder andere Richtung aufgelöst wird.

Besonders Kipping und Wagenknecht knallen immer wieder aneinander, wobei Wagenknecht für den abgeriegelten Nationalstaat und Kipping für offene Grenzen steht. Jüngst forderten prominente Anhänger von Wagenknecht und Bartsch einen neuen Parteisvorstand, also die Ablösung von Katja Kipping und Bernd Riexinger. Doch mit einer Personalentscheidung wird man den Widerspruch und die Streitereien um Formalien nicht los. Stattdessen müsste die Linkspartei eine Entscheidung fällen: Linksnationalismus oder transnationale Solidarität? Wenn sie diese Frage beantwortet hat, kann sie immer noch das passende Personal suchen. Der Pluralismus innerhalb der Machtblöcke und der Partei insgesamt deutet daraufhin, dass diese Frage nicht für alle zufriedenstellend gelöst werden kann. Einige könnten sich enttäuscht abwenden. Vielleicht spaltet sich die Partei auch an dieser Frage. Aber wäre es wirklich so schlimm, eine Linkspartei zu haben, die klar sagt, wie sie es mit der Nation hält?