Das Buch »Wa(h)re Gefühle« von Eva Illouz

Gefühlte Wahrheit

Seite 2 – »Ware Gefühle« und »gefühlte Wahrheit«

 

Neben der »Ware Gefühle« entwirft Illouz so gleichermaßen eine Theorie der »gefühlten Wahrheit«; eine, die im vergangenen Jahr gerade im rechten politischen Lager von Trump bis zur AfD die Weltsicht bestimmt. Längst haben Fakten für Teile der Bevölkerung ihre Legitimität zur Beschreibung von Sachlagen verloren. Was wahr ist, zeigt das Gefühl an – und wenn, beispielsweise, »Überfremdung« gefühlt wird, ist die reale Migrationsquote egal.

Eine solche unmittelbar einleuchtende Diskussion von »alternativen Fakten« bleibt im Sammelband leider aus. Die verschiedenen Beiträge in »Wa(h)re Gefühle« beleuchten Illouz’ Kernthese dennoch eindrücklich unter verschiedenen Gesichtspunkten: Stimmungsmusik als »Ohrentropfen« zur Erzeugung von Ambiente, Coaching und Psychotherapie als teuer bezahlte Glücksdienstleistung im Neoliberalismus, Horror­filme als kommodifizierte Angst.

Seine stärkste Stelle hat der Sammelband zum Schluss, wo sich Illouz erneut selbst zu Wort meldet und ihre These einer kritischen Reflexion unterzieht. Was Honneth im Vorwort beinahe bestürzte, versucht sie zum theoretischen Programm auszubauen: Wie soll kritische Gesellschaftstheorie noch möglich sein, wenn sich authentische und gefühlte Wahrheit nicht mehr voneinander unterscheiden lassen?

Ihr Vorschlag: Es braucht eine »post­normative Kritik emotionaler Authentizität«. Gefühle seien, so ­Illouz, nie etwas rein Innerliches, sondern eine Konstruktion, deren historische Ursprünge es aufzudecken gelte, ohne zu moralisieren. »Künstliche« Gefühle erzeugen reale Regungen, wie an ihrem Winfrey-Beispiel gezeigt. Illouz möchte, wie in ihren anderen Büchern, Kritik am Kapitalismus üben, ohne dabei eine scheinbar überlegene Position für sich zu beanspruchen.

»Love is the reason, it’s always the real thing«, tönt Melanie Thornton alle Jahre wieder aus den Lautsprechern. Mit Illouz müsste man ihr entgegnen: Nur weil es Liebe ist, ist es noch lange nicht echt. Wer Illouz’ Anspruch an eine postnormative Theorie der Gefühle verstehen will, führt sie am besten zurück auf ihr Lieblingsthema. Mit einigem Zynismus lässt sich der Genuss einer Cola und das dabei empfundene Glück noch ertragen, selbst wenn der Genießer über die Ursachen seines konstruierten Gefühls aufgeklärt sein mag. Dass aber selbst das am »authentischsten« geglaubte aller Gefühle, jenes der Liebe, wie alle anderen ein historisch-gesellschaftlich erzeugtes sein könnte, ruft ein Unwohlsein hervor, das den normativ kritisierenden Gestus kaum mehr nötig hat.

 

Eva Illouz (Hrsg.): Wa(h)re Gefühle. ­Authentizität im Konsumkapitalismus. Suhrkamp, Berlin 2018, 332 Seiten,
22 Euro