Imaginäre Freunde aus Russland
Die US-Wahl haben die Tweets der als »Trollfabrik« bekannt gewordenen russischen »Internet Research Ageny« (IRA) vermutlich nicht entschieden. Nach allem, was man heute weiß, haben sie jedoch dazu beigetragen, Hass zu verbreiten – nicht nur auf Hillary Clinton, die Demokraten und Minderheiten, sondern auch auf die US-amerikanische Polizei und Anhänger von Donald Trump.
Die zunächst von Twitter nach identifizierten Accounts mit Verbindungen zur IRA – eigenen Angaben 3 814 –waren entgegen der allgemeinen Lesart nämlich nicht nur damit beschäftigt, Propaganda für die Republikaner zu machen, sondern gaben sich auch erfolgreich als Aktivisten von Bürgerrechtsbewegungen wie etwa »Black Lives Matter« aus. Über Bot-Netze wurden ihre Tweets zigtausendfach verbreitet bevor Ende 2017 Twitter sie löschte.
Darüber waren nicht alle erleichtert. Die Tweets zu entfernen, sei »die Auslöschung von Geschichte auf Orwell-Art«, twitterte etwa David Carroll, Professor für Mediendesign an der New Yorker New School University. Andere Experten bemängelten die Art und Weise, wie Twitter Anfang Januar mehr als 1,4 Millionen User benachrichtigte, die Troll-Botschaften unwissentlich verbreitet hatten. Diese bekamen eine unpersönliche E-Mail, in der, verbunden mit der Bitte, die jeweiligen Tweets zu löschen, nur kurz auf die dubiosen Hintergründe hingewiesen wurde. Eine genaue Auflistung der individuellen Interaktionen und eine detaillierte Erklärung wären viel wirkungsvoller gewesen, so die Kritik.
NBC News beauftragte daraufhin drei Insider, die sich mit der Twitter-Datenbank auskennen, anhand der vom Kongress veröffentlichten Account-Namen die gelöschten Tweets wiederherzustellen und zu dokumentieren. Die Identität der drei ist NBC zwar bekannt, sie bleiben aber anonym, weil sie mit ihren Aktivitäten unter anderem gegen die Richtlinien für Entwickler verstoßen haben dürften.
NBC News veröffentlichte am 14. Februar 200.000 Tweets. Diese stammen von Usern mit unverfänglichen Namen wie etwa @traceyhappymom und @leroylovesusa. Sie posierten als Durchschnittsamerikaner, die auch harmlose Tweets über Alltagsereignisse veröffentlichten oder an beliebten Massenspielchen wie #ChristmasAHorrorMovie teilnahmen, bei denen es darum geht, Titel bekannter Filme möglichst lustig und treffend abzuändern. Nach Terroranschlägen oder in der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten politischen Ereignissen, inklusive Präsidentschaftsdebatten, wurden aus den Darstellern von Durchschnittsbürgern dann plötzlich Hassschleudern.
Juden wurden »Skype«, Schwarze »Google« und Mexikaner »Yahoo« genannt. Und wenn es um Muslime oder Araber ging, wurde das Wort »Skittle« verwendet.
Hate speech zu identifizieren, ist für Betreiber von sozialen Medien ohnehin nicht immer einfach. Die Codes, mit denen Anhänger der Alt-Right die automatisierte Suche der Social-Media-Betreiber nach Hasspostings auszutricksen versuchen, ändern sich immer wieder. Waren es vor einigen Jahren noch zwei- oder dreifache Einklammerungen, mit denen sie zum Beispiel jüdische User kennzeichneten, benutzten sie vor rund anderthalb Jahren unverfängliche Bezeichnungen für Gewaltaufrufe, die nur Eingeweihten bekannt waren: Juden wurden beispielsweise »Skype«, Schwarze »Google« und Mexikaner »Yahoo« genannt. Und wenn es um Muslime oder Araber ging, wurde das Wort »Skittle« verwendet. Die Verwendung des Markennamens bunter Kaudragees geht übrigens auf einen Tweet von Donald Trump Jr. vom September 2016 zurück. Der Sohn und politische Berater des damaligen Präsidentschaftskandidaten hatte ein Foto der bunten Süßigkeiten getwittert und darunter geschrieben: »Wenn ich eine Schüssel voll mit Skittles hätte und dir erklären würde, dass drei dieser Skittles dich umbringen – würdest du dir dann eine Handvoll nehmen? Das ist unser Problem mit den syrischen Flüchtlingen.« Bereits kurz nach seinem Tweet wurde »Skittles« dann auf Imageboards wie 4chan und 8chan als Tarnname für Muslime verwendet. Sowohl die rechten als auch die linken Twitter-Trolle arbeiteten mit eingängigen Memes, plakativen, hochaggressiven Sprüchen und eindeutig gefälschten Bildern. Noch etwas hatten sie gemeinsam: Sprachen andere User sie auf diese hetzerischen Fotos an und zeigten ihnen, woher sie in Wirklichkeit stammten, reagierten sie nicht.
Zusätzlich organisierte die IRA Demonstrationen in den USA. Gegen 13 Personen hat Sonderermittler Robert Mueller mittlerweile Anklage erhoben – sie hatten unter anderem mit Hilfe von Facebook-Gruppen und Anzeigen in sozialen Medien Ralleys mit Titeln wie »Support Hillary, save American muslims« und »Down with Hillary« veranstaltet und Leute vor Ort beispielsweise dann dafür bezahlt, mit einem Porträt von Clinton zu posieren, unter dem stand, die Sharia sei eine »neue Richtung der Freiheit«.
»Es ist verblüffend, wie systematisch sie vorgingen«, stellte Ahmer Arif fest, der eine im Januar 2018 vorgestellte Studie der Universität von Washington über die russischen Troll-Aktivitäten mitverfasst hat. Der Content, den die IRA-Leute verbreiteten, sei »maßgeschneidert für die Vorlieben des jeweiligen Publikums« gewesen. Professorin Kate Starbird, die Leiterin des Projekts, betonte im Gespräch mit dem Magazin Mother Jones, dass »es sehr wichtig ist, Online-Desinformation nicht nur als Problem des jeweiligen politischen Gegners zu sehen, sondern als etwas, das uns alle zum Ziel hat«.