Mit der Einführung der Krypto­währung Petro verhökert Venezuela seine Ölreserven

Kryptisches Heilsversprechen

Mit der Einführung der Kryptowährung Petro in Venezuela wird der Ausverkauf des venezolanischen Erdöls vorangetrieben. Den Kredit­bedarf des krisengeschüttelten Landes deckt das keineswegs.

Nun also auch noch Nicolás Maduro. Venezuelas Präsident nutzte wie sein Gegner Donald Trump in den USA den Kurznachrichtendienst Twitter, um dick aufzutragen. »Der Petro ist geboren und wir werden einen großen Erfolg für den Wohlstand Venezuelas erleben«, teilte Maduro kurz vor Mitternacht am 19. Februar mit. Nur wenige Augenblicke später war es dann so weit: Die Welt hatte ihre erste staatlich emittierte Kryptowährung. Für die ­Petro-Tokens, die Anteilsscheine, die den Besitz der digitalen Währung anzeigen, seien am ersten Tag Kaufabsichten im Wert von 735 Millionen US-Dollar geäußert worden, so Maduro. Venezuelas Vizepräsident Tareck El Aissami gab sich am Abend euphorisch. »Heute ist ein historischer Tag«, verkündete der Politiker, gegen den in den USA wegen des Verdachts auf Verstrickungen in den internationalen Drogenhandel ermittelt wird. »Venezuela ist der erste Staat, die erste Nation, die eine durch ihre Bodenschätze gestützte Kryptowährung auf den Markt bringt«, so El Aissami weiter.

Virtuelle Währungen liegen zweifelsohne im Trend. Angetrieben vom Bitcoin-Boom plant etwa Russland derzeit, einen staatlichen »Krypto-Rubel« aufzulegen, um an den Kapitalströmen zu partizipieren. Auch Dubai und Israel wollen eigene Kryptowährungen herausgeben. Zwar haben China und Südkorea gerade die in Ostasien besonders beliebte Spekulation mit den digitalen Währungen rigide reguliert, was zeitweise den Bitcoin-Wechselkurs um die Hälfte sinken ließ. Aber zumindest für China nehmen Experten an, dass dies vor allem der Ausschaltung ausländischer Konkurrenz und der Etablierung einer eigenen digitalen Währung dienen könnte. Dass nun ausgerechnet das krisengeschüttelte Venezuela als erster Staat eine Kryptowährung auflegte, mag zunächst erstaunen.

Was in den offiziellen Medien und von den maßgeblichen Politikern des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« als historische Neuerung gefeiert wird, ist auf den zweiten Blick allerdings weitaus weniger spektakulär. Denn im Gegensatz zu den ungedeckten digitalen Spielwährungen, die eine besonders absurde Form immer neuer Geldschöpfung aus dem Nichts darstellen, ist der Petro nichts weiter als die Verhökerung des Tafelsilbers des venezolanischen Staats. Um an die dringend benötigten Devisen zu kommen – für die hochinflationäre Landeswährung Bo­lívar kann man den Petro nicht kaufen –, ist die neue Währung als Anteilsschein am Rohöl aus dem Orinoco-­Becken konzipiert worden: Der Petro ist durch den Ölreichtum des Landes gedeckt. So ist der Ankaufpreis eines Petro an den jeweils aktuellen Weltmarktpreis für einen Barrel (159 Liter) Erdöl gebunden, derzeit zwischen 60 und 70 US-Dollar. Die geplante Ausgabe von 100 Millionen virtuellen Münzen in der ersten Runde könnte der Regierung also kurzfristig über sechs Milliarden US-Dollar einbringen. Langfristig wird dies die Einnahmen des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA, der in den vergangenen Jahren allein für die Export­erlöse zuständig war, in den Keller treiben, da die Einnahmen aus dem Ölexport den Besitzern des Petro zugutekommen und nicht mehr dem Staat beziehungsweise PDVSA. Im Kern entspricht der Petro der Aufnahme eines Kredits, der mit zukünftigen Öleinnahmen zurückgezahlt wird.

Zudem sollen am 20. März, parallel zum Umtausch der Tokens gegen digitale Münzen, weitere 44 Millionen Münzen in Umlauf gebracht werden. Bisher sollen auf diese Art und in weiteren Emissionsrunden lediglich die ­zukünftigen Einnahmen eines Ölfeldes, des Block Ayacucho im Orinoco-Becken, in dem 5,3 Milliarden Barrel vermutet werden, an vor allem ausländische Investoren verkauft werden. Dass damit aber der Kreditbedarf Venezuelas gedeckt sein wird, steht angesichts der desolaten ökonomischen Situation (Jungle World 47/2017) nicht zu vermuten. Angesichts der größten Erdölreserven der Welt – nach Angaben der Regierung verfügt Venezuela über Reserven von 267 Milliarden Barrel – könnten den ersten Runden der Petro-Ausgabe viele weitere folgen. Später könnten auch Gold- und Diamantenvorkommen zur Deckung der Währung herangezogen werden, wie die eigens zur Bewerbung der neuen Währung eingerichtete Website der Regierung ankündigte.

Die Regierung wählt zur faktischen Privatisierung der Erlöse des venezolanischen Erdöls diesen komplizierten Weg, der trotz der geringen Energiepreise im Land zudem wegen des immensen Stromverbrauchs bei der Produktion der digitalen Münzen relativ teuer ist, vor allem weil sie sich erhofft, die strikten Blockade- und Sanktionsrichtlinien der USA gegen das Land zu unterlaufen. Diese verbieten beispielsweise US-Bürgern, offiziellen Stellen in Venezuela Kredite zu gewähren. Bereits Anfang Dezember vergangenen Jahres hatte die venezolanische Regierung um internationale und auch US-Investoren geworben und die geplante neue Währung als »unbedenklich« im Sinne der Sanktionen dargestellt.

Hingegen warnte das US-Finanz­ministerium am Tag nach der Einführung des Petro umgehend die eigenen Staatsbürger vor einer Investition, da dies als Umgehung der Sanktionen bewertet werde und somit illegal sei. Der Erwerb von Petros entspreche der »Gewährung eines Kredits an die venezo­lanische Regierung«, so das Ministerium zur Nachrichtenagentur Reuters. Offenbar spekuliert die US-Regierung darauf, das Regime in Venezuela bereits in den kommenden Monaten in die Knie zwingen zu können, wenn es von der Kreditvergabe weitgehend abgeschnitten bleibt.

Möglich, dass auch Teile der chavistischen Führungsschicht das so sehen. Man kann nur spekulieren, wie viel aus den Petro-Erlösen in ­einem der korruptesten Länder der Welt in den Taschen der »Bolibourgeoisie« verschwinden wird. Für nicht wenige derjenigen, die im »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« zu privatem Reichtum gekommen sind, könnte der unerwartete Geldfluss ­jedenfalls als Abfindung für den Abschied vom längst gescheiterten Projekt des Chavismus – und vermutlich auch vom Land – dienen. Schon das bedeutet neues Konfliktpotential in dem Staat, in dem der Ausnahmezustand nicht zuletzt dadurch begründet ist, dass die alte Oligarchie und ihre Oppositionsparteien mit der neuen Bolibourgeoisie um den Zugriff auf die Ressourcen das Landes, vor allem die Ölrente, kämpfen. Rafael Gúzman, der Präsident der Finanzkommission des Parlaments und ein Mitglied der rechtsliberalen Oppositionspartei Primero Justicia (Gerechtigkeit zuerst), ­bezeichnete die Einführung des Petro als »illegal und verfassungswidrig«, da dadurch Ressourcen bereits im Voraus veräußert und somit »neue Schulden für die Zukunft Venezuelas« aufgehäuft würden.

Damit würde auch die Rückeroberung der Staatsmacht für die alte Oligarchie weniger lukrativ. Es könnte der letzte Coup des Chavismus sein.