In Deutschland werden wieder härtere Strafen gefordert

Stillstand und Volksempfinden

Seite 2 – Ein erfolgloses Modell

 

Gemeinsam ist dem Vollzug allerdings nach wie vor, dass sich in zentralen Fragen seit langem nichts mehr tut. So wird beispielsweise der hart erkämpfte Angleichungsgrundsatz – »Das Leben im Strafvollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen so weit wie möglich anzugleichen« – durch eine erhebliche Ungleichbehandlung in einem zentralen Lebensbereich konterkariert: Auch heute noch versagen Strafvollstreckungskammern Gefangenen den Zugang zu Büchern, weil in ­ihnen Gefängnisse »durchgängig als Knast« bezeichnet werden oder, wenn es sich um Ratgeber für Gefangene handelt, »suggeriert« wird, »dass effektiver Rechtsschutz auch bei einem berechtigten Interesse weitgehend nicht erreicht werden könne und teilweise ein kollusives Zusammenwirken zwischen der Anstalt, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten bestehe«. So begründete das Landgerichts Arnsberg am 22. Januar die Nichtaushändigung des Buches »Wege durch den Knast«. Das Oberlandgericht Karlsruhe hat noch Ende vorigen Jahres entschieden, einem »fremdsprachigen Untersuchungsgefangenen« stehe kein Rechtsanspruch auf Teilnahme an einem Deutschkurs zu. Auch das wirft die Frage auf, was die Verhältnisse hinter Gittern heute von dem bloßen Wegsperren in früheren Zeiten unterscheiden soll.

 

Es fällt auf, welche Bevölkerungsgruppe den Großteil der Insassen ausmacht. Während sogar in der Bundeswehr mittlerweile zwölf Prozent Frauen Dienst an der Waffe leisten, sind in den Gefängnissen ganz überwiegend junge bis mittelalte Männer in einer ganz besonderen, hierarchisch-archaischen Institution zusammengezwungen.

 

Dass das Bundesverfassungsgericht ebenfalls Ende vorigen Jahres einem schleswig-holsteinischen Strafgefangenen Recht gab, der sich gegen überteuerte Telefontarife wehrte, ist nicht wirklich ein Trost: Es dauerte fast zweieinhalb Jahre vom Antrag des Gefangenen bis zur Entscheidung der Verfassungsrichter – die das Verfahren zudem ans Schleswig-Holsteinische Oberlandgericht zurückverwiesen. Für einen Gefangenen, für den die Telefonate eine zentrale Verbindung mit der Welt sind, ist das eine sehr lange Zeit. Auch der Anspruch der Gefangenen auf physische Unversehrtheit ist nicht gewährleistet. In den Anstalten ist Gewalt an der Tagesordnung, mindestens jeder vierte Strafgefangene wird Opfer physischer Gewalt.
 

Betrachtet man die Haftanstalten, so wird rasch klar, dass sie ein durch und durch erfolgsloses Modell sind. Sie sind ein Relikt aus dem 18. und 19. Jahrhundert, das sich schon längst überlebt hätte, wenn es wirklich nur darum ginge, Straftäter möglichst erfolgreich (wieder) in die Gesellschaft einzugliedern. Es fällt auf, welche Bevölkerungsgruppe den Großteil der Insassen ausmacht. Während sogar in der Bundeswehr mittlerweile zwölf Prozent Frauen Dienst an der Waffe leisten, sind in den Gefängnissen ganz überwiegend junge bis mittelalte Männer in einer ganz besonderen, hierarchisch-archaischen Institution zusammengezwungen. Der Frauenanteil liegt unter sechs Prozent.

Die statistischen Daten zeigen zwar, dass die Zahl der Gefangenen seit Jahren stetig zurückgeht. Derzeit sitzen in Deutschland knapp 64 000 Menschen in den Straf- und Untersuchungshaftanstalten, deutlich weniger als noch vor zehn Jahren. Auch im internationalen Vergleich steht Deutschland pas­sabel da: Während hier etwa 77 von 100 000 Menschen die Freiheit entzogen wird, sind es in Schweden und Finnland zwar nur 57, in Frankreich aber 101 und in den USA sogar 666.

Der Trend ist allerdings umkehrbar, da er nicht durch eine Abkehr von der Idee des Gefängnisses als Institution der Abschreckung und Disziplinierung und durch die Entwicklung alternativer Bestrafungs- und Resozialisierungsmodelle vorangetrieben wird.