In Spanien treffen repressive Gesetze Musiker und Künstler

Terror, Koks und Katalanen

In Spanien häufen sich harte Urteile wegen »Verherrlichung des Terrorismus«, eine Kunstausstellung in Madrid übte sich in Selbstzensur.
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Für die spanische Tageszeitung El País war es eine »tragische Woche für die Meinungsfreiheit«. Diverse umstrittene Entscheidungen und Urteile erregten vorige Woche in Spanien Aufsehen.

Für einen Skandal sorgte insbesondere die dreieinhalbjährige Haftstrafe gegen den mallorquinischen Rapper Valtònyc, mit bürgerlichem Namen Josep Miquel Arenas Beltrán. Er hatte sich mit seinen aggressiven Liedtexten am Königshaus vergangen, indem er beispielsweise über die Hinrichtung des Monarchen rappte und die ehemalige Infantin Cristina von Bourbon als Analphabetin bezeichnete. Dass er längst inaktive Untergrundgruppen wie die baskische Eta (»Eta ist eine ­große Nation«) oder die marxistisch-leninistische Grapo bejubelte und Morddrohungen gegen Persönlichkeiten des rechten, nationalistischen ­Milieus äußerte, stimmte die Richter auch nicht milder.

 

»Werke zu entfernen, ist immer die schlechteste aller Entscheidungen.«
David Resnicow, Kunstkommunikator

 

Es ist die höchste Haftstrafe, die in Spanien seit dem Ende der Franco-Diktatur 1977 gegen einen Musiker wegen seiner Liedtexte verhängt wurde, und wohl die erste, die ein Künstler antreten muss. Aber Valtònyc ist nicht allein. Sein polemischer Rap-Kollege Pablo ­Rivadulla Duró, besser bekannt als ­Pablo Hasél, wartet wegen lobender Reime und Tweets über Grapo-Mitglieder ebenso auf ein Urteil. Vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg bringt indes César Strawberry, der Sänger der Band Def Con Dos, das im Januar 2017 vom Obersten Gerichtshof gegen ihn gefällte ­Urteil: ein Jahr Haft wegen »Verherrlichung des Terrorismus« in sarkastischen Tweets (Jungle World 4/2017). Die Zahl der Verfahren wegen dieses Delikts ist in jüngster Zeit sprunghaft angestiegen. 2015 war das spanische Strafrecht verschärft, der Straftatbestand »Verherrlichung des Terrorismus« ausgeweitet worden. Sogenannte Hassdelikte bilden eine weitere Grundlage für Strafverfahren.

Ebenfalls in der vergangenen Woche erließ ein Gericht in Galicien eine einstweilige Verfügung gegen das 2015 erschienene investigative Buch »Fariña« (»Mehl«, Slang für Kokain) des El-País-Journalisten Nacho Carretero über Galiciens Kokainkartelle, das auch als Fernsehserie verfilmt wurde. Der Verkauf des Buchs, ob gedruckt oder als E-Book, wurde bis zum Prozessauftakt Ende April oder Anfang Mai ausgesetzt. Die nordwestspanische Region am Atlantik war in den achtziger und neunziger Jahren das Haupteingangstor für Kokain, vor allem aus Kolumbien. José Alfredo Bea Gondar, ein ehemaliger Bürgermeister von O Grove in der Küstenregion Rías Baixas, hatte Anzeige wegen Beleidigung und Rufschädigung gegen den Verlag KO erstattet und ­fordert 500 000 Euro Entschädigung. Carretero bringt in »Fariña« Bea Gondar mit dem Import von zwei Tonnen Kokain des Cali-Kartells in Verbindung. Hierzu ermittelte einst der bekannte Richter Baltasar Garzón. Bea Gondar wurde in erster Instanz wegen Drogenschmuggels verurteilt, dann jedoch wurde das Urteil kassiert. Wegen Geldwäsche von Drogengeldern wurde er allerdings rechtskräftig verurteilt.

Zu einem weiteren Eklat kam es auf der Kunstmesse Arco Madrid. Die Messeleitung ließ auf politischen Druck und »um Polemik zu vermeiden« ein Werk von Santiago Sierra abhängen. Der Konzeptkünstler, stets provokativ, überschritt mit 24 schwarz-weißen Porträtfotos unter dem Titel »Spanische politische Gefangene der Gegenwart« – die die Madrider Galerie Helga de Alvear am Messeeingang positioniert hatte – eine der derzeitigen »roten Linien« in Spaniens öffentlicher Debatte: Gemäß der Diktion der rechten Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy gibt es wegen des Katalonien-Konflikts »inhaftierte Politiker, aber keine politischen Gefangenen«.

Sierras verpixelte Gesichter von Inhaftierten, mit der Beschreibung der jeweiligen Vorwürfe, zeigen katalanische Separatisten wie den ehemaligen katalanischen Vizepräsidenten Oriol Junqueras, Personen aus der anarchistischen Szene und Antifa-Gruppen, Solidaritätsaktivisten für Eta-Gefangene und Streikposten. »Werke zu entfernen, ist immer die schlechteste aller Entscheidungen. Wir sind in Spanien und eben nicht in der Türkei, Russland, China oder Dubai«, sagte David Resnicow, ein US-amerikanischer Kunstkommunikator und PR-Spezialist, der Jungle World. Sierra empörte sich über einen Akt der Zensur, der dem Ansehen ganz Spaniens schade, und »den Mangel an Respekt gegenüber der Reife und Intelligenz des Publikums«.
»Es existieren zweifellos ›rote Linien‹, wenn es um die Verteidigung der unantastbaren nationalen Einheit Spaniens geht«, sagte der Medien- und Menschenrechtsanwalt

Gonzalo Boye Tuset der Jungle World. Auf derselben Linie sieht Boye die Repression in sozialen Netzwerken, »wo nun junge Spanier wegen Tweets ins Gefängnis kommen, die dem Delikt der ›Verherrlichung des Terrorismus‹ entsprechen«. »Wir stehen vor der Kriminalisierung der Meinung und der Diskrepanz«, warnte Boye, »vor einem Rückschritt, der uns in die Zeit vor der Ratifizierung der Verfassung zurückwirft.« Die spanische Regierung habe »in puncto Meinungsfreiheit eine ganz andere Vorstellung als das übrige Europa«. Es gelte, »eine kritische Haltung zu bewahren«. Oder man zeigt sich solidarisch, wie im Fall der Fotomontage eines jungen Spaniers, der ein Foto seines Gesicht in das Bild einer Christusstatue montierte. Die Geldstrafe wegen der Verletzung religiöser Gefühle von 480 Euro wurde mittels Crowdfunding bezahlt.