Frauenhäuser in Deutschland sind überlastet, den Betreiberinnen fehlt das Geld

Frauenhäuser in Not

Sie sollen Frauen und Kindern Schutz bieten, die häuslicher Gewalt entkommen wollen. Doch Frauenhäuser sind extrem überbelegt. Schuld ist ihre unzureichende Finanzierung.

Frauenhäuser sind Schutzräume für Frauen und Kinder, die häusliche Gewalt erfahren. Wie alle sozialen Einrichtungen stehen sie unter erheblichem Druck, und ihre Überbeanspruchung hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Wie bei allen sozialen Einrichtungen suggieriert die ex­treme Rechte auch in diesem Bereich, Migra­tion bedrohe eine ohnehin knappe Ressource. So reichte ein Mitglied der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus bei der Senatsverwaltung eine ­detaillierte Anfrage ein, ob die Überbeanspruchung der Frauenhäuser auf ­geflüchtete Frauen zurückgeführt werden könne. Unterdessen wurden in Berlin-Mitte bei minus zehn Grad Notunterkünfte für Frauen geschlossen.

Dabei lässt sich die weiter steigende Überbelegung der Frauenhäuser, die zum Teil auch durch den demographischen Wandel begünstigt wird, in erster Linie auf einen Faktor zurückführen: die Art ihrer Finanzierung in einem Großteil der Bundesländer, die auf die »Agenda 2010« zurückgeht.

 

2017 mussten allein im Land Niedersachsen mehr als 2 600 Mal schutzsuchende Frauen von Frauenhäusern abgewiesen werden.

 

»Frauenhäuser sind wichtige Einrichtungen, die wirklich mehr im Fokus stehen sollten«, sagt Nadja Lehmann der Jungle World. Sie war am ersten autonomen Frauenhaus in Berlin beteiligt und ist heute Geschäftsführerin der »Interkulturellen Initiative«, dem Trägerverein des »Interkulturellen Frauenhauses« in Berlin. »Sie sind sozusagen ein last channel der sozialen Arbeit, weil sie so niedrigschwellig sind und darum alles auffangen müssen. Das ist natürlich politisch umkämpftes Terrain«, so Lehmann weiter.

In Deutschland ist der sogenannte Schutz der Familie von großer Bedeutung, was Frauenhäuser für viele zum Reizthema macht. »Frauenhäuser sind leider immer noch so ein Feindbild, als würden wir immer gegen die Väter agieren«, sagt Lehmann. »Die Realität ist eine völlig andere. Wir arbeiten immer mit dem Jugendamt zusammen, und das Thema Umgang und Sorge ist für uns sehr relevant.« Generell werden die Rechte und die Vertretung von Kindern, unabhängig von den Interessen ihrer Mütter, in der Frauenhausbewegung seit den achtziger Jahren diskutiert. »Idealerweise bräuchten wir interne Strukturen für die Kinderbetreuung«, sagt Lehmann, »denn die Vermittlungen an Kitas dauern oft so lange, dass die Frauen dann schon wieder ausziehen.« Das aber sei wegen des ohnehin knappen Personals nicht zu leisten.

Im Februar berichtete der NDR, dass 2017 allein im Land Niedersachsen mehr als 2 600 Mal schutzsuchende Frauen von Frauenhäusern abgewiesen werden mussten. Im Saarland, in Bayern und in Sachsen gibt es einen Frauenhausplatz pro 17 000 Menschen – der Europarat sieht einen Platz pro 7 300 vor. Wollte Deutschland diese Vorgabe einhalten, wozu es sich im Oktober 2017 mit der Ratifizierung des »Übereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt«, der sogenannten Istanbul-Konvention, verpflichtet hat, müssten bundesweit etwa 4 300 Plätze zusätzlich bereitgestellt werden. Das ­jedenfalls schätzt die »Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser« (ZIF).

Die Überbelegung ist nicht zuletzt eine Folge des immer schlimmer werdenden Mangels an bezahlbarem Wohnraum. Zwar sieht das Gesetz mittlerweile vor, dass von Gewalt betroffene Frauen in ihren Wohnungen bleiben können und der Täter gehen muss. Doch diese Gesetzesänderung hatte auf die Zahl schutzsuchender Frauen keinen Einfluss. Diese werden ja nicht dauerhaft polizeilich geschützt und wissen, dass der Mann zurückkommen wird, wenn er weiß, wo er sie finden kann. Langfristig müssen sie also neuen Wohnraum finden. »Das wird zunehmend wichtiger«, sagt Lehmann. In Berlin ist es überaus schwierig, bezahlbare Mietwohnungen zu finden. Unter den Nutzerinnen des »Interkulturellen Frauenhauses« gibt es einen hohen Anteil an geflüchteten Frauen, die oft keine Möglichkeit haben, eine eigene Wohnung zu beziehen. Sie müssen wieder in Gemeinschaftsunterkünfte ziehen, wo sie schutzlos sind.

Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt war schon in den siebziger Jahren ein zentrales Thema der Frauen­bewegung. Sie zeigte, dass der staatliche Schutz der Institution Familie Frauen und Kinder drohender Gewalt schutzlos ausliefert. 1976 wurden in Berlin und Köln autonome Frauenhäuser gegründet. »Das waren die beiden ersten«, erzählt Lehmann. »Die haben eine ganze Bewegung nach sich gezogen, und dann gab es viele autonome Frauenhäuser in ganz Deutschland, die sich zusammengeschlossen haben.«

Neben der ZIF, die die autonomen Frauenhäuser vertritt und sich als Vernetzungsstelle selbst finanziert, gibt es seit 2001 auch den Verein Frauenhauskoordinierung (FHK), der den Wohlfahrtsverbänden angehört. Aus Sicht der ZIF hatten beide Organisa­tionen unterschiedliche Frauenbilder. Die Vertreterinnen der autonomen Frauenhäuser wollten demnach eher Hilfe zur Selbsthilfe leisten, deswegen heißen viele der autonomen Vereine auch »Frauen helfen Frauen«. Von Gewalt betroffene Frauen sollten nicht als hilflose Opfer angesehen werden, sondern Ermächtigung erfahren.

2006 haben sich die beiden Dachverbände trotz weltanschaulicher Differenzen erstmals verbündet. Denn im Zuge der »Agenda 2010« kürzten Bund und Länder die Mittel für die Frauenhäuser deutlich, ein Viertel der Einrichtungen wurde geschlossen. Seit 2005 war nicht mehr das Sozialamt für die schutzsuchende Frau zuständig, sondern die örtliche Arbeitsagentur. Viele Kommunen stellten damit ihre Finanzierung um auf Tagessätze über Hartz IV oder das Asylbewerberleistungsgesetz. Das heißt, eine Frau bezahlt entweder für sich selbst – vorausgesetzt, dass sie ihrer Arbeit nach ihrer Flucht in ein Frauenhaus weiterhin nachgehen kann – oder sie wird tagessatzfinanziert. Doch Frauen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus haben keinen Anspruch auf Leistungen. »Da wird es knifflig«, sagt Heike Herold, Geschäftsführerin der FHK. »Die Kolleginnen versuchen natürlich immer, Wege zu finden, aber da bekommen sie dann null Kosten erstattet.«

 

 

Daraus ergibt sich der heutige Zustand, den Herold so beschreibt: »Jedes der bundesweit 360 Frauenhäuser hat eine eigene Art der Mischfinanzierung.« Als »Leuchttürme« bezeichnet Herold Berlin und Hamburg, die pauschal Personal und Sachkosten finanzieren. In Schleswig-Holstein ist das sogar im Landesgesetz festgeschrieben. In anderen Bundes­ländern jedoch, vor allem in den reichen und konservativen süddeutschen Ländern Bayern und Baden-Württemberg, gibt es das nicht.

»Die Finanzierung der Frauenhäuser ist bundesweit ein Flickenteppich«, meint auch Britta Schlichting, die in Mannheim und Heidelberg für die ZIF tätig ist. »Bei uns in Baden-Württemberg sind wir komplett tagessatzfinanziert. Durch diese Einzelfallfinanzierung haben wir einfach keinen niedrigschwelligen und unkomplizierten Zugang. Wir müssen gleich als Erstes fragen: Wie sind Sie denn finanziert?« Wenn die Schutzsuchende Hartz IV beziehe, sei das am besten, so Schlichting.

»Wenn sie sagt, sie ist Studentin, muss ich erst einmal nachschauen, ob wir uns das überhaupt leisten können.« Daraus folgten auch praktische Probleme: »Da muss ein Haus bloß mal einen Wasserschaden haben, schon kann man zwei Zimmer nicht benutzen und hat dann einen Mietausfall.« Das Frauenhaus in Böblingen beispielsweise musste bereits vor einigen Jahren schließen, weil es sich nicht selbst finanziell tragen konnte.

»Natürlich ist die Istanbul-Konvention da eine große Chance«, sagt Schlichting. »Vielleicht können wir jetzt erreichen, was wir schon lange fordern: eine einzelfallunabhängige Finanzierung, niedrigschwelligen und bedarfsgerechten Zugang. Das wäre auch ein Bürokratieabbau und es gäbe finanzielle Planungssicherheit, unabhängig von der Belegung.«

So sind sich die beiden Dachverbände darin einig, dass es ohne bundesweit einheitliche Pauschalfinanzierung nicht besser wird. »Eigentlich müsste Deutschland sein Ausländerrecht ändern«, sagt Herold. Denn Deutschland behält sich vor, einen eigenständigen Aufenthaltsstatus für ausländische Ehepartner deutscher Staatsbürger an eine dreijährige Ehebestandszeit zu knüpfen. So »verwehre man vielen Migrantinnen und geflüchteten Frauen den Zugang zu dringend notwendigen Hilfen«, heißt es in einer Stellungnahme des Vereins Frauenhauskoordinierung. Die FHK fordert, der Rechtsanspruch auf Schutz vor Gewalt und Hilfe gegen diese müsse allen Personen ­unabhängig von ihrem Status zustehen. Sie will eine Änderung der Leistungsgesetze, um so den Anspruch der einzelnen Personen auf Entgeltfinanzierung zu sichern.

»Wir sind auch dafür, dass diese Vorbehalte aufgehoben werden«, sagt Britta Schlichting von der ZIF. »Aber wir finden, dass die Wohlfahrtsverbände nur eine bessere rechtliche Grund­lage für die einzelfallbezogene Finanzierung fordern. Wir wollen den Fokus weg von der Nachweispflicht und der Einzelfallfinanzierung, weil da die Gewalt immer noch als individuelles Problem der einzelnen Frau gesehen wird. Aber häusliche Gewalt ist nach wie vor ein Resultat der Gesellschaftsstruktur und damit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.«