Das neue Album von Isolation Berlin: »Vergifte Dich«

Versacken mit Fluchtmöglichkeit

»Vergifte Dich« heißt das neue Album von Isolation Berlin. Der Titel der Platte ist weniger als Aufruf gemeint. Vergiftet wird man laut der melancholischen Band vom Rausch ebenso wie vom Hass in sozialen Medien.

Es gibt unzählige Wege, sich zu vergiften. Da ist die Vergiftung und im schlimmsten Fall Zerstörung des Körpers durch flüssige oder pulverisierte Drogen, die erst glücklich machen und irgendwann doch Unglück bringen. Und es gibt die Vergiftung dessen, was Philosophen die Seele nennen. Auf ihrem zweiten Album »Vergifte Dich« behandelt die Band Isolation Berlin Beispiele für beide Formen der Vergiftung aus Sicht des Sängers Tobias Bamborschke.

Bamborschke besingt seine Berliner Erfahrungen verstohlen, flüstert mal ganz behutsam und schreit dann plötzlich enthemmt auf den Hörer ein. Das wirkt beunruhigend und erfüllt für den Sänger vermutlich eine kathartische Funktion. Man meint beim Hören, den Menschen zu kennen, der da singt. Doch im Gespräch mit der Jungle World sagt er: »Es kann auch sein, dass die Meinung des lyrischen Ichs von dem abweicht, was ich denke. Weil es ein Mensch ist, der ich mal war und nicht mehr bin.«

Das frühere Ich von Bamborschke quälte sich auf den ersten Veröffent­lichungen der Band, die seit knapp fünf Jahren besteht. »Aus den Wolken tropft die Zeit«, das Debütalbum von 2016, behandelte eine Trennung, auf die eine zermürbende Depres­sion folgte. Das permanente Unwohlsein, die depressiven Schübe, die ­einen überall ereilen können, in der Kneipe genauso wie im Traum, wurden offengelegt. Das Album war eine gelungene Introspektion in poetischer Form. Wie Berlin einen verschlucken kann, wenn das Leben nicht mehr lebenswert erscheint, das wurde auf beklemmende Art fühlbar, ohne Pathos, dafür mit einem Hang zur Kleinteiligkeit. Die gute Nachricht lautet jetzt: Obwohl das Album das endgültige Versacken ohne Fluchtmöglichkeiten beschrieb, sind Isolation Berlin nicht versackt.

Der Rausch hat die Band verfolgt – oder in Bamborschkes Worten: »Der Rausch war sehr präsent, weil wir die letzten drei Jahre nur auf Tour gewesen sind. Wir waren nur von berauschten Menschen und vom Rausch umgeben: von Rauschkathedralen.« Die Kneipe bleibt ein Ort, in dem er und die anderen Bandmitglieder Max Bauer (Gitarre), David Specht (Bass) und Simeon Cöster (Drums) sich gerne aufhalten und in dem sie sicher auch versacken. Doch es bleibt ein Versacken auf Zeit. Danach geht es weiter, in eine andere Stadt, auf eine andere Bühne. Immerhin sei ja auch die Musik etwas, das einen Rauschzustand auslösen kann, da ist sich die Band einig.

 

Der Post-Punk, den Isolation Berlin spielen, oszilliert zwischen ganz verschiedenen Gefühlszuständen.

 

Schlimmer als der Rausch sei aber das Gift für die Seele. Auf »Vergifte Dich« geht es auch um den Hass der Menschen aufeinander. »Die Leute wollen Blut sehen«, schreit Bamborschke mit gebrochener Stimme in einem Song, der »Die Leute« heißt. Weiter singt er: »Die Leute reden so viel Scheiße, es ist nicht zu glauben, nicht zu fassen.« Auf die Frage, wer genau denn nun gemeint sei mit »Die Leute«, will die Band erst mal etwas klarstellen: »Man darf die Songs nicht mit Slogans verwechseln. Das sind immer Momentaufnahmen und Dialoge.« Bamborschke klingt genervt, während er das sagt. Eigentlich, darin ist die Band erneut einer Meinung, wolle man Songs nicht erklären und schon gar nicht zerpflücken. Das Problem dabei ist nur: die Texte von Bamborschke, der vor kurzem auch einen Gedichtband veröffentlichte, sind voller zitierwürdiger Sätze. Es fällt schwer, darauf zu verzichten, einzelne Zitate zu Slogans zu erheben. Die lyrische Stärke der Band wird so zum Gift für die Rezeption ihrer Musik.

Für den diagnostizierten alltäglichen Scheißzustand geben die Mitglieder im Gespräch Beispiele. Der Band zufolge ist sie überall in der Gesellschaft wahrnehmbar. Sie ist in S-Bahnen, in Kneipen und vor allem im Internet zu beobachten. Die Missgunst und der Hass werden zu in Wortform gepressten Exkrementen, die es bei Youtube, Facebook und Instagram zu lesen gibt. Bamborschke hat sich aus diesem Grund aus den sozialen Medien zurückgezogen. Sein Smartphone ging ohnehin irgendwann kaputt, jetzt besitzt er keins mehr. Nur eine E-Mail-Adresse ist übriggeblieben. Max Bauer, der sich um die Social-Media-Kanäle der Band kümmert, bleibt dem digitalen Müll weiterhin ausgeliefert. Während er darüber spricht, lacht er zynisch auf.

Im Vergleich zum Vorgängeralbum ist »Vergifte Dich« aber nicht nur wütend, sarkastisch und pessimistisch. Das Repertoire hat sich erweitert, manchmal werden sogar versöhnliche Töne angeschlagen. Das Besingen des wohligen Gefühls, im Arm eines anderen Mensch zu liegen, es ist hier möglich. Dieser Wandel spiegelt sich auch im Sound wieder. Es gibt sie, die lärmenden ­Gitarren, auf die bis zur Dissonanz eingedroschen wird und deren Rückkopplungen zur Qual werden. Zwischen solche Songs schieben sich aber auf dem Piano gespielte Passagen und Sounds, die glücklich klingen. Der Post-Punk, den Isolation Berlin spielen, oszilliert zwischen den Gefühlszuständen. Außerdem schafft er es immer wieder, die Genregrenzen zu überschreiten. Isolation Berlin bleiben eine Band, die mit Einflüssen spielt. Unmodern ist Gitarrenmusik für sie jedenfalls nicht. »Der Zyklus schließt sich doch alle zehn Jahre und dann geht es von vorne los. Vielleicht ist Gitarrenmusik gerade tot, und in ein bis sieben Jahren ist sie wieder der heiße Scheiß«, sagt David Specht.

Und abgesehen davon hätten sie so viel experimentiert wie nie für das neue Album. Solche Sätze sagen Musiker gerne in Interviews, wenn sie ihr Album bewerben wollen. Im Falle von Isolation Berlin scheint es aber zu stimmen. Für ihre Experimente ist die Band drei Wochen lang täglich so lange aus Berlin heraus­gefahren, bis da nichts mehr war außer Einöde und ein paar Häusern. Nur das »Studio Schulz« von Christian Schulz stand da noch, genauer im Bezirk Buch. Das Besondere an besagtem Studio ist, dass man es überall aufbauen kann. Es besteht aus unzähligen, circa einen Quadratmeter großen Modulen. Setzt man sie zusammen, erhält man einen Studioraum, in dem man eine Platte aufnehmen kann. Dass das »Studio Schulz« nun an den Rand von Berlin gedrängt wurde, weil sonst nirgendwo Platz war, sieht David Specht, der Schulz in der Tischlerei beim Bau half, nicht als Indiz für Gentrifizierung. »Das liest sich als Slogan vielleicht gut, aber wir hätten es genauso gut in Charlottenburg aufbauen können. In Buch war eben mehr Platz.«

Genauso wenig wie Slogans mögen Isolation Berlin platte politische Statements. Bei ihren Konzerten müssten sie sich nicht hinstellen und über Nazis herziehen, weil nun mal keine Nazis anwesend seien. Die Gesellschaftskritik äußert die Band zwischen den Zeilen, manchmal quillt sie pointiert hervor und schnauzt ­einen an. All das macht »Vergifte Dich« nicht zu einem Mitgröl-, sondern zu einem klugen Zuhöralbum. Auf Stadionrock samt devoter Ultra-Fans stehen Isolation Berlin ohnehin nicht. »Man darf Bands nicht mit Fußballverein vergleichen. Das ist ­albern«, sagt Bamborschke.

 

Isolation Berlin: Vergifte Dich (Staatsakt)