Deutsche Autokonzerne hinken bei der Motorenentwicklung hinterher

Autobranche unter Druck

Um die vorgeschriebenen C02-Werte zu erreichen, haben deutsche Autohersteller auf Dieselfahrzeuge gesetzt. Die könnten nun bald Fahrverboten unterliegen und zum alten Eisen gehören.

Das Auto der Zukunft, wie es sich Matthias Müller vorstellt, ist leise, sauber und kann womöglich fliegen. Auf dem Autosalon in Genf schwärmte der VW-Vorstandschef vergangene Woche von einer neuen Dimension, in die er den weltweit größten Autokonzern führen möchte. »Personendrohnen können Menschen auch an ihren Zielort bringen«, erklärte der Manager begeistert. Der »Pop-up Next«, den die zu Audi gehörende Tochtergesellschaft Italdesign zeigte, soll sogar beides können – auf der Straße autonom fahren und bei Bedarf abheben. Bis es soweit ist, plant der Konzern noch mit bodenständigen Elektroautos für den kommenden technischen Umschwung.

Während Müller in die Zukunft blickt, dominiert in der Gegenwart ein anderes Thema die öffentlichen Diskussionen, die der VW-Vorstand in Genf freilich nur am Rande erwähnt: Der Abgasskandal und die drohenden Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, die seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig möglich sind.

Demnach sollen Dieselfahrzeuge, die nicht die Abgasnorm Euro 6 erfüllen, mit einem Fahrverbot belegt werden können. Bis zu 80 Städte könnten nun entsprechende Verordnungen erlassen. Nach Schätzungen des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) sind rund drei Viertel aller Dieselautos, die in Deutschland derzeit fahren, davon betroffen, im wesentlichen Fahrzeuge, die vor 2015 zugelassen wurden. Garantieren könne ein »sauberes« Dieselauto nach Meinung des ADAC allerdings nur die neueste Abgasnorm Euro 6d. Die gilt erst seit September vergangenen Jahres, nur wenige Fahrzeuge können also überhaupt dieser Norm entsprechen.

Bleibt die Frage, was mit den restlichen Autos geschieht, die künftig wohl nicht mehr überall fahren dürfen. Es ist zwar prinzipiell möglich, die Emissionen auch bei älteren Wagen zu verringern. Doch die dafür notwendige Umrüstung der Gesamtzahl alter Dieselfahrzeuge soll nach Angaben von VW zwei bis drei Jahre dauern und je nach Fahrzeugtyp bis zu einigen tausend Euro pro Fahrzeug kosten.

Wer soll das bezahlen? In Frage kommen die Fahrzeughalter, die Steuerzahler oder die Hersteller. Die eigentlichen Verursacher des Problems zeigen sich jedoch wenig ambitioniert, die Umrüstungskosten zu übernehmen. Zu lange, zu teuer, heißt es aus dem VW-Konzern. Volkswagen habe ­bereits 25 Milliarden Euro Strafe in den USA wegen des Dieselskandals bezahlt, sagte Matthias Müller ­vergangene Woche in einer Talkshow. »Wir können nicht auch noch 17 Milliarden Euro für Hardwareumrüstung zahlen.«

Zumal es aus der Sicht des Konzerns eine Investition in die Vergangenheit wäre. Viele der betroffenen Dieselfahrzeuge sind bereits fünf Jahre oder älter. Es wäre ein Alptraum für Müller, wenn der VW-Konzern sein Geld anstatt in innovative Projekte in technisch längst überholte Fahrzeuge investieren müsste.

Tatsächlich befindet sich die deutsche Autoindustrie in einer heiklen Situation. Die Branche ist seit Jahrzehnten erfolgsverwöhnt und eilt von einem Rekordgewinn zum nächsten. Allein Volkswagen hat im vergangenen Jahr trotz des Dieselskandals über zehn Millionen Fahrzeuge verkauft – so viele wie kein anderer Hersteller weltweit.

Dieser Erfolg hat aber auch zu großen Abhängigkeiten geführt. In keiner anderen Volkswirtschaft der Welt hat die Autoindustrie einen so großen Anteil an der Wertschöpfung wie in Deutschland. Dort erzielte die Branche 2016 einen Umsatz von über 400 Milliarden Euro. Drei Viertel aller in Deutschland gefertigten Wagen werden exportiert.

Fast acht Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands gehen direkt oder indirekt auf die Autoproduktion zurück. Über 800 000 Menschen arbeiten hier bei Autokonzernen und Zulieferern. Hinzukommen rund eine Million Beschäftigte, die indirekt von der Produktion abhängig sind.

 

Die US-Firma Tesla aus Kalifornien und der chinesische Hersteller Nio können mittlerweile in einigen Sparten wettbewerbsfähige Modelle präsentieren. Nicht ausgeschlossen, dass Google und Apple demnächst mit eigenen Produkten auf dem Markt kommen. Deutsche Ingenieurskunst könnte da plötzlich sehr alt aussehen.

 

Ökonomen bezeichnen die Branche daher als ein »volkswirtschaftliches Klumpenrisiko«: Ähnlich wie große Banken seien die großen Hersteller für die deutsche Wirtschaft »systemrelevant« geworden. Ein Umstand, den auch VW-Vorstand Müller gern betont. Geraten VW und Daimler in ernsthafte Schwierigkeiten, ist die ökonomische Stabilität des gesamten Landes gefährdet. Und Gefahr droht spätestens seit dem Dieselskandal, der wahrscheinlich dem Abschied von traditionellen Verbrennungsmotoren noch beschleunigen wird.

Bereits seit geraumer Zeit ist die Autobrache unter Druck. Um die vorgeschriebene CO2-Werte zu erreichen, haben die Hersteller vor allem auf die im Verbrauch vergleichsweise sparsamen Dieselfahrzeuge gesetzt. Rund die Hälfte aller neu zugelassenen Fahrzeuge in Deutschland fahren heute mit einem Dieselmotor. Nun gerät dieser Antrieb wegen seines hohen Stickoxidausstoßes in Verruf. Die einzige Möglichkeit, dieses Problem grundlegend zu lösen, wäre eine völlige Abkehr vom Verbrennungsmotor.

 

Die Kunkurrenz ist längst weiter

 

Andere Hersteller sind da schon weiter als die deutschen. So will Toyota in Europa bald gar keine Diesel-Pkw mehr verkaufen. Die Auslaufphase werde schon in diesem Jahr beginnen, meinte Johan van Zyl, Präsident von Toyota Motor Europe, in Genf. »Wir werden keine neue Dieseltechnologie für Pkw mehr entwickeln, wir werden uns auf Hybride konzentrieren«. Im vergangenen Jahr hatte die japanische Firma die Verkäufe in dieser Sparte um fast 50 Prozent steigern können. Toyota hat bereits vor zwei Jahrzehnten das erste Hybrid-Modell auf den Markt gebracht, was damals in Deutschland eher belächelt wurde.

Die französische PSA-Gruppe, zu der neben Peugeot und Citroën inzwischen auch Opel gehört, will einen ähnlichen Weg einschlagen. PSA-Vorstand Carlos Tavares sprach in Genf vom »Dieselkollaps«, der bereits jetzt klare Konsequenzen nach sich ziehe.

Aber nicht nur im Vergleich zur etablierten Konkurrenz hinken deutsche Hersteller bei der Motorenentwicklung hinterher. Daimler oder BMW könnten auch von Branchenneulingen, die sich auf Elektroautos spezialisiert haben, überholt werden. Die US-Firma Tesla aus Kalifornien und der chinesische Hersteller Nio können mittlerweile in einigen Sparten wettbewerbsfähige Modelle präsentieren. Nicht ausgeschlossen, dass Google und Apple demnächst mit eigenen Produkten auf dem Markt kommen. Deutsche Ingenieurskunst könnte da plötzlich sehr alt aussehen.

Bis ihre kommenden Modelle ausgereift sind, brauchen die deutschen Hersteller noch einige Zeit – Zeit, die sie eigentlich kaum mehr haben. Ihnen bleibt daher wenig anderes übrig, als die bisherige Technik so lange wie möglich weiter zu betreiben. So wirkt es auch nicht überraschend, wenn Müller in Genf von »einer Renaissance des Diesels« orakelte, mögen auch alle Anzeichen dagegen sprechen. »Auf dem Weg ins emissionsfreie Zeitalter brauchen wir den Diesel, um unsere Umweltziele zu erreichen«, erklärte er. Im Zweifelsfall können die »systemrelevanten« Hersteller sicherlich auch mit staatlichem Entgegenkommen rechnen.

Eine besonders einfache Lösung des Problems hat der VDA parat, die er wenige Stunden nach dem Leipziger Urteil verkündete. Weil die aktuellen Dieselmodelle die Abgaswerte einhalten können, sei die Luftqualitätsfrage »ohnehin gelöst«, hieß es in einer Presseerklärung. Die Kunden müssten sich also einfach nur neue Autos kaufen.

Für ihre alten Karren gibt es ebenfalls eine Perspektive. So ist die Zahl älterer ins Ausland verkaufter Diesel-Pkw im vergangenen Jahr um 18 Prozent auf 233 000 angestiegen, wie die Wirtschaftswoche kürzlich unter Berufung auf die Außenhandelsstatistik berichtete. Besonders gestiegen sei demnach die Zahl der Verkäufe nach Osteuropa. Dem polnischen Samar Automotive Market Research Institute zufolge wurden 2017 insgesamt knapp eine Million Gebrauchtwagen nach Polen importiert.

Jenseits der Oder stößt diese Nachricht nicht gerade auf Begeisterung. Von einer »Katastrophe« spricht die Vereinigung der Automobilfabriken Polens (PZPM), sollte »eine Million weiterer älterer Modelle« ihren Weg von Deutschland nach Polen finden. Schon jetzt ist die Luft in Warschau und anderen osteuropäischen Städten sehr schlecht, auch weil dort noch Uralt-Diesel der Normen Euro 0 bis Euro 3 unterwegs sind. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation liegen 33 der 50 dreckigsten Städte Europas in Polen.

Doch das interessiert die deutsche ­Autoindustrie vermutlich wenig. Hauptsache, in Wolfsburg können Autos bald fliegen.