Das Urteil gegen die »Gruppe Freital«

Freundlich, anständig, terroristisch

Ein Jahr nach der Verlesung der Anklageschrift wurden die Mitglieder der rechtsterroristischen »Gruppe Freital« verurteilt. Die Auseinander­setzung mit den Taten und den Unterstützern der Neonazis ist damit jedoch noch nicht beendet.

Der Vorsitzende Richter Thomas Fresemann machte nach der Verlesung des Urteils einen zufriedenen Eindruck. Der Prozess vor dem Oberlandesgericht Dresden endete in der vergangenen Woche nach 73 Verhandlungstagen und 90 Zeugenvernehmungen. Sieben Männer und eine Frau wurden wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung, versuchten Mordes beziehungsweise Beihilfe zum versuchten Mord schuldig gesprochen. Ihnen konnten mindestens fünf Anschläge auf Asylsuchende, politische Gegner in Freital und ein linksalter­natives Hausprojekt in Dresden zwischen Juni und November 2015 nachgewiesen werden. Dabei hatten sie unter anderem selbstgebaute Sprengsätze eingesetzt.
In den Wohnungen der Angeklagten waren neben Waffen und Sprengstoff auch Hakenkreuz- und Reichskriegsflaggen, zahlreiche antisemitische und NS-verherrlichende Utensilien sowie Adolf Hitlers »Mein Kampf« in der Hörbuchvariante gefunden worden. In ­internen Chats hatten sich die Angeklagten über Monate gegenseitig angestachelt. »Illegal einreisende Ausländer« sollten »bei lebendigem Leib verbrannt« werden, hatte es dort beispielsweise geheißen. Und: »Die Zecken sind die, die das Feuer anstecken, damit sie sehen, was passiert, wenn man sich mit den Untermenschen einlässt.« Als Rädelsführer der Gruppe wurden Timo Schulz und Patrick Festing zu zehn beziehungsweise neuneinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Strafen für die übrigen Mitglieder der Gruppe liegen zwischen vier und sieben Jahren Haft ohne Bewährung.

Rolf Franek, einer der Anwälte der Neonazis, stellte im Gespräch mit der Jungle World klar, dass er die Ideologie seines Mandanten zwar nicht teile, aber gegen das Urteil Revision einlegen werde. Insgesamt bewerte er das Verfahren als »durchaus fair«. Unzufrieden äußerte sich Nebenklageanwalt Oliver Nießing. Aus seiner Sicht sei es in einem Terrorverfahren »für das Erreichen des Rechtsfriedens unabdingbar, festzustellen, ob der Staat versagt hat«.

Als »unverschämt« bezeichnete er daher die Feststellung des Gerichts, ein solches Staatsversagen habe nicht vorgelegen – obwohl dieser Sachverhalt bisher überhaupt nicht untersucht worden sei. Ermittlungen gegen einzelne Po­lizisten, die Kontakte zur Gruppe gepflegt haben sollen, wurden ohne Ergebnisse eingestellt. Im sächsischen Landtag gibt es derzeit keine Bestrebungen, einen Untersuchungsausschuss ein­zurichten, um das Vorgehen der sächsischen Behörden in der Sache aufzuklären. Seinen Mandanten aus dem linksalternativen Hausprojekt »Mangelwirtschaft« ging es Nießing zufolge nie um eine möglichst hohe Strafe für die Neonazis. Robert Kusche von der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt der regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie Sachsen zeigte sich zufrieden mit dem Ausgang des Prozesses: »Neben der Höhe der Urteile ist vor allem die Anerkennung der rechten und rassis­tischen Tatmotivation durch das Gericht für die Betroffenen wichtig.«

Die Ermittlungen im Zusammenhang mit den rassistischen Angriffen im Sommer 2015 in Dresden und Freital sind mit dem Ende des Prozesses nicht abgeschlossen. Wolfgang Klein, Pressesprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, sagte der Jungle World auf Nachfrage, dass weiterhin »gegen zwei Beschuldigte wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und gegen acht Beschuldigte wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung« ermittelt werde.

Zu den Verdächtigen gehört unter anderem der Freitaler NPD-Stadtrat Dirk Abraham. Als die Neonazis im Sommer 2015 in ihrem internen Chat darüber diskutierten, eine linke Kundgebung in Freital anzugreifen, wurde der Einwand vorgebracht, dass dabei »auch Frauen und Kinder« getroffen werden könnten. Der User »Dakom« hielt dagegen, dass Kinder dort nichts zu suchen hätten und deren Eltern dann die Schuld trügen. Hinter dem Usernamen soll sich Abraham verbergen. Weitere organisierte Neonazis aus der Region wie beispielsweise Torsten L., Ferenc A. oder Sebastian S. sollen an einzelnen Tathandlungen beteiligt gewesen sein. Zudem kooperierte die Gruppe Freital mit der Freien Kameradschaft Dresden (FKD), deren Anhängern derzeit wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor dem Dresdner Land­gericht der Prozess gemacht wird. »Pegida, AfD – der Unterstützerkreis ist meines Erachtens so groß, dass dieser niemals in Verfahren erfasst werden wird«, sagte Rechtsanwalt Nießing der Jungle World.

Im Prozessverlauf wurde wiederholt deutlich, welche Stimmung in Freital herrscht, wo die AfD bei den Bundestagswahlen über 35 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte. Die Gruppe Freital sprengte beispielsweise Michael Richters Auto. Der Stadtrat der Linkspartei hatte sich für Flüchtlinge engagiert. Vor Gericht kommentierte ein Nachbar Richters den Anschlag mit den Worten: »Wer Wind sät, wird Sturm ernten.« Der Einsatz für Flüchtlinge erscheint in Freital demnach als Provokation, wegen der Richter zur Zielscheibe für den Terror wurde. Arbeitgeber der Angeklagten bezeich­neten diese im Zeugenstand stets als »engagiert«, »freundlich« und »anständig«. Auch das Unternehmen Re­gio­nalverkehr Dresden (RVD), das zwei Angeklagte als Busfahrer beschäftigt hatte, konnte nichts Negatives ­berichten. Den Angaben einer Personalleiterin zufolge hatte Timo Schulz sie im Frühsommer 2015 zwar gefragt, ob eine »Bürgerwehr« kostenfrei mit­fahren dürfe, um auf Asylsuchende »aufzupassen«. Die Frau hatte dies demnach mit Hinweis auf die Fahrgast­tarife abgelehnt. Was die Beschäftigten ihres Unternehmens in ihrer Freizeit unternähmen oder welche Gesinnung sie hätten, prüfe der RVD nicht, sagte sie vor Gericht. Aus ihrer Sicht hätten die Angeklagten nach Verbüßung ihrer Haftstrafen eine zweite Chance verdient und könnten wieder beim RVD angestellt werden. Auch die Leiterin ­eines Pflegedienstes, bei dem einer der Verurteilten gearbeitet hatte, sagte vor Gericht, dass er zwar »rechts angehauchte« Äußerungen von sich gegeben habe, diese seien jedoch weder extrem rechts noch neonazistisch ge­wesen. Auch die Vertreterin der Freitaler Jugendgerichtshilfe, die einen Angeklagten betreute, ließ Zweifel an ihrer Urteilskraft aufkommen.

Nachdem Oberstaatsanwalt Jörn Hauschild gefragt hatte, warum in der durchweg positiven Bewertung des Angeklagten die Gesinnung nicht erwähnt werde, sagte die Jugendgerichtshelferin, diese spiele keine Rolle, schließlich habe ihr Schützling ihr gegenüber »ja verneint, rechtsextrem zu sein«.

Freitals Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU) äußerte am Tag der Urteilsverkündung die Hoffnung, es werde wieder Ruhe in den Ort mit seinen 39 000 Einwohnern einkehren. Er werde sich weiterhin entschieden gegen die »pauschale Verurteilung« seiner Stadt wehren. Rassismus und Rechtsextremismus als Ursachen der Gewalt nannte er in seiner Stellungnahme nicht. Und auch auf die Anschlagsopfer ging er mit keinem einzigen Wort ein.