Deutsche Regierungspolitiker schweigen zum türkischen Vorgehen in Afrin

Gefälligkeiten für den obersten Heerführer

Während deutsche Regierungspolitiker keine Kritik am türkischen Vorgehen in Nordsyrien äußern, bietet die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion in Deutschland Jugendreisen zum »obersten Heerführer« Erdoğan an.

Am 6. März erhielt der geschäftsführende Bundesaußenminister Sigmar Ga­briel (SPD) noch einmal hohen Besuch. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu war der letzte ausländische Gast, den Gabriel empfing, bevor sein Amt an Heiko Maas (SPD) überging. Die beiden redeten über die deutsch-tür­kischen Beziehungen, der türkische Außenminister bat mit Nachdruck darum, die offiziellen deutschen Reise­warnungen für die Türkei zu entschärfen. Das Auswärtige Amt hatte sich zwar in jüngster Zeit »besorgt über das Risiko einer weiteren Eskalation« in Nordsyrien gezeigt und dazu aufgerufen, die Waffenruhe einzuhalten, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen hatte. Doch um solche Sorgen ging es Gabriel im Gespräch mit Çavuşoğlu nicht. Dafür sprachen die beiden Männer über den Fall des syrischen-kurdischen Politikers Salih Muslim, der sich zurzeit in Deutschland aufhalten soll. Die Türkei beschuldigt ihn des Terrorismus und verlangt seine Auslieferung. Zu dieser dürfte es zumindest nicht allzu schnell kommen, Gabriel kündigte ein Vorgehen nach »rechtsstaatlichem Verfahren« an.

Trotz dieser vorläufigen Absage bezeichnete Çavuşoğlu den SPD-Politiker als »meinen Freund, Herrn Sigmar Gabriel«. Angesichts dessen Schweigens zur Lage in Afrin ist die Bezeichnung durchaus angebracht. Während türkische Truppen, unterstützt von jihadistischen Banden, gegen die Kurden in dem nordsyrischen Kanton vorgingen, tranken die Außenminister im Gästehaus des Ministeriums in Berlin-Tegel gemeinsam Tee. Dass die Türkei gegen ebenjene kurdischen Verbände Krieg führt, die den »Islamischen Staat« erfolgreich bekämpft und das Massaker an den Yeziden aufgehalten haben, ruft bei der Bundesregierung keinen Widerspruch hervor.

Mehr noch: Vor über einem Jahr untersagte sie es auf Wunsch der Türkei, in der Öffentlichkeit Symbole der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zu zeigen. Das war mehr als ein symbolischer Akt: In den vergangenen Wochen wurden immer wieder Solidaritätsdemonstrationen für Afrin von der Polizei auf­gelöst – wie Ende Januar in Köln – oder gleich mit der Begründung untersagt, es könnten verbotene Symbole gezeigt werden. Lediglich in Berlin dürfen auf Beschluss der Polizeiführung von vergangener Woche Symbole der syrisch-kurdischen Partei PYD und ihrer Miliz YPG gezeigt werden.

 

Die Bundesregierung und die Polizei haben nach Ansicht des Vorsitzenden der kurdischen Gemeinde mit dem Verbot von Symbolen, dem harten Vorgehen gegen kurdische Demonstranten und dem immer noch gültigen Verbot der PKK zur Eskalation beigetragen.

 

Dass der bundesweite Dachverband Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), der direkt der tür­kischen Regierung untersteht, in einer solchen Zeit eine Jugendreise in die Türkei einschließlich eines Besuchs des Präsidentenpalastes in Ankara bei »­unserem obersten Heerführer« bewirbt, wie der Kölner Stadtanzeiger in der vergangenen Woche berichtete, sorgt bei manchen für Unmut – etwa bei dem ehemaligen Grünen-Politiker und derzeitigen Lehrbeauftragten am »Centrum für Religionswissenschaft­liche Studien« (Ceres) der Ruhr-Universität Bochum, Volker Beck: »Die Reise in den Palast des ›obersten Heerführers‹ ist nur ein weiterer Mosaikstein. Alle Kooperationen mit der Ditib ge­hören auf den Prüfstand.« Die Ditib habe auch zu Gebeten für den Sieg der türkischen Armee im Krieg gegen die Kurden aufgerufen. Beck zufolge handelt es sich nur um zwei Beispiele von vielen, an denen sich zeige, dass der türkische Staat die Ditib jederzeit mobilisieren könne. »Hessen sollte der Ditib sofort den Status einer Religionsgemeinschaft entziehen. Das Land ist in dieser Frage vorgeprescht, nun muss es Konsequenzen ziehen«, fordert er.

Die Brandanschläge auf Ditib-Moscheen, die es in den vergangenen Tagen gab, verurteilt Beck. Allerdings sei noch nicht ersichtlich, wer hinter ihnen stecke. »Wer Gebetshäuser angreift, will ganze Gemeinschaften angreifen«, so der Lehrbeauftragte. Das Verbot von Symbolen der YPG und Ab­bildungen des PKK-Führers Abdullah Öcalan auf Demonstrationen hält er für unklug. Es habe zur Polarisierung des türkisch-kurdischen Konflikts ­beigetragen.

Auch für Ali Ertan Toprak, den Vorsitzenden der kurdischen Gemeinde Deutschlands, ist es derzeit nicht eindeutig zu beurteilen, ob hinter den ­Anschlägen hitzköpfige kurdische Jugendliche, kurdische Organisationen oder gar Mitglieder des in Deutschland sehr aktiven türkischen Geheimdienstes MİT stehen. Diesem käme eine Eskalation gelegen, die dem Ansehen der Kurden in Deutschland schade, so Toprak. Mit ihrem Kampf gegen den »­Islamischen Staat« haben die Kurden ihm zufolge in den vergangenen Jahren hierzulande Sympathien gewonnen. Anschläge könnten diese rasch zunichtemachen. Davon würde das Erdo­ğan-Regime profitieren.

Die Bundesregierung und die Polizei haben nach Ansicht des Vorsitzenden der kurdischen Gemeinde mit dem Verbot von Symbolen, dem harten Vorgehen gegen kurdische Demonstranten und dem immer noch gültigen Verbot der PKK zur Eskalation beigetragen: »Friedlicher Protest wurde in den vergangenen Monaten oft verhindert. Gerade junge Menschen haben das Gefühl, die deutsche Polizei sei der verlängerte Arm des Erdoğan-Regimes, denn Deutschland legt doppelte Standards an.« Würde eine kurdische Or­ganisation Reisen zu einem »obersten Heerführer« anbieten, wie es die Ditib mache, wäre ihr ein Besuch der Staatsanwaltschaft sicher, so Toprak.

Er fordert, dass die Bundesregierung ihre Türkei-Politik ändert – nicht nur gegenüber dem Erdoğan-Regime, sondern auch gegenüber dessen Hilfstruppen in Deutschland: »Organisationen wie die Ditib, die sich vom türkischen Staat instrumentalisieren lassen, dürfen nicht mehr von öffentlichen Stellen in Deutschland unterstützt werden.« Dass die Ditib Partner staatlicher Programme wie »Demokratie leben« ist, empfindet Toprak als Hohn. Auch die Kriminalisierung der Kurden und ihres Protests müsse ein Ende finden.

Danach sieht es allerdings nicht aus. Vergangene Woche ließ das Bundes­innenministerium die Räume des Mezopotamien-Verlags in Neuss durch­suchen, der in der Vergangenheit zahlreiche Bücher zur kurdischen Bewegung, Geschichte und Sprache veröffentlicht hat. Beamte beschlagnahmten Bücher, Filme, CDs und Geschäftsunterlagen. Dem Verlag wird vorgeworfen, mit den »vertriebenen Produkten den organisatorischen Zusammenhalt der in Deutschland verbotenen PKK zu unterstützen«. Erdoğan kann sich also weiterhin auf Deutschland verlassen.