Zapatistinnen und Feministinnen aus aller Welt trafen sich in Chiapas zum Internationalen Frauentreff

Zu Gast bei compañeras

Vergangene Woche luden die mexikanischen Zapatistinnen zu einem internationalen Frauentreffen in ihrem autonomen Territorium. Neben Diskussionen zu Themen wie Diskriminierung und Gewalt gab es auch zahlreiche Sport- und Kulturveranstaltungen. Es kamen weit mehr Feministinnen als erwartet.
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Am ersten Morgen des dreitägigen Festivals, am internationalen Frauentag, werden die Teilnehmerinnen in ihren Zelten um sechs Uhr von Bassklängen geweckt. Die Bühne am Rand des Sportplatzes von Morelia, einem der fünf ­autonomen Bezirke der Zapatistinnen und Zapatisten im Hochland von Chiapas, ist schon besetzt. Die vierköpfige Band stimmt das traditionelle Lied »Las Mañanitas« (»Die Morgenstündchen«) an und macht gleich klar, nach wessen Plan hier alles läuft. Feministinnen aus Mexiko-Stadt, anderen mexikanischen Bundesstaaten sowie ganz Amerika und Europa sind zu Gast.

Es sind allerdings nicht die Akademikerinnen aus der Stadt, die hier den Ton angeben, sondern die maskierten Zapatistinnen, die fast nur in Gruppen unterwegs sind und von denen einige nicht einmal Spanisch sprechen.

Bis nachts um drei Uhr sind die Teilnehmerinnen aus Michoacán und Puebla, aus Argentinien, den USA, Frankreich und vielen anderen Ländern ­angereist. 500 haben sich vorher angemeldet, zehn Mal so viele sind gekommen, weshalb sich vor dem großen Tor, hinter dem das Festivalgelände beginnt, zu dem Männer keinen Zutritt haben, lange Schlangen bilden. Da viele kein Zelt dabei haben, werden eilig neue Planen aufgespannt und jeder freie Quadratzentimeter auf Bühnen und in Seminarräumen wird belegt. Tagsüber den Schlafsack wieder einrollen, nachts den kalten Tau ertragen, all das nehmen die Gäste in Kauf.

Während der feierlichen Eröffnung werden sie von Capitana Erika von der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) begrüßt. Sie erzählt, dass die Zapatistinnen im vergangenen Jahr beschlossen hätten, die Präsidentschaftskandidatur von María de Jesús Patricio Martínez, genannt Marichuy, zu unterstützen. Die 54jährige Ärztin aus der indigenen Gruppe der Nahua war vom Nationalen Kongress der Indigenen (CNI) nominiert worden. Sie ist die erste indigene Präsidentschaftsbewerberin Mexikos. Allerdings erreichte sie als Unabhängige bis zum Stichtag im Februar nicht die erforderliche Anzahl an Unterschriften, so dass sie bei den Wahlen am 1. Juli nicht antreten wird.

Die im Rennen verbliebenen Kandidaten haben bisher nicht anklingen lassen, ob und wie sie sich für die Belange der sich als indigen begreifenden Mexikanerinnen und Mexikaner einsetzen werden, die rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Kandidaten, ob konservativ oder sozialdemokratisch, sowie der derzeit regierende Präsident, Enrique Peña Nieto, stellen für die Zapatistas den mal ­gobierno dar, die schlechte Regierung. Peña hinterlässt seinem Land die höchste Mordrate seit 20 Jahren: Mehr als 26 000 Menschen wurden 2017 umgebracht und Mexiko hat eine der höchsten Frauenmordraten der Welt.

 

Gut organisiert

Capitana Erika erzählt in ihrer Rede von der Zeit vor dem Beginn des zapatistischen Aufstands 1994: »Ich habe Diskriminierung erlebt, weil ich arm bin, weil ich eine Frau bin und weil ich indigen bin, damals, als ich Hausangestellte war. Hier sind viele Frauen aus der ganzen Welt, die Doktorinnen sind, Wissenschaftlerinnen, die unterschiedliche Hautfarben haben, andere Muttersprachen. Aber wir haben alle das gleiche Problem. Der Kapitalismus tötet uns alle. Deswegen haben wir euch eingeladen, um uns gegenseitig Theater, Tanz, Sport und Musik zu schenken und neue Kraft zu tanken.«

Marichuy sitzt auf dem Podium, inmitten der Beirätinnen des CNI, und hört zu. Sie wird nicht sprechen, auch wenn immer wieder Bewunderinnen zu ihr auf die Bühne klettern, um Geschenke zu überreichen. Sie sei nur Gast der Zapatistas, heißt es aus ihrem Umfeld, und wolle lediglich am Festival teilnehmen.

Die Zapatistinnen stehen derweil mit ihren wollenen Sturmhauben in der brütenden Mittagshitze in Reih und Glied. Jeder der fünf autonomen Bezirke, caracoles genannt, schickt eine Sprecherin nach vorne, die mindestens eine halbe Stunde lang redet. Als die Veranstaltung endet, haben sich die Feministinnen aus der Stadt längst in den Schatten geflüchtet. Von dort beobachten sie mit Erstaunen, welches Programm die indigenen Tzotziles, Tseltales und Jolobales präsentieren. Nicht nur, dass die gesamte Bühnentechnik, Ton und Licht, von den jungen Frauen bedient werden, die meist nur die sechsjährigen autonomen Grundschulen ­besucht haben. Alle Aufführungen und viele Workshops werden von zapatistischen Kamera­frauen begleitet. Andere Gruppen haben Theaterstücke ein­studiert und führen sie auf der großen Bühne auf, mit eigens hergestellten Requisiten aus Pappmaché.

Katharina aus Münster war sowieso gerade in Mexiko und wollte sich das Zapatistinnentreffen keinesfalls entgehen lassen. Sie ist begeistert davon, wie viele Frauen unterschiedlichster Herkunft zu Gast sind, aber auch von der Organisation. »Es gibt so viele rassis­tische Klischees über indigene Frauen, zum Beispiel dass sie nicht mit Technik umgehen können, und dann sehe ich die compañeras mit einer Spiegel­reflexkamera und zwei Smartphones agieren. Außerdem managen sie ein Festival mit 7 000 Teilnehmerinnen und alles läuft, ich habe bisher nichts vermisst«, sagt sie.

 

Zapatistas, Festival

Ab hier beginnt die männerfreie Zone. Das Tor zum Festivalgelände

Bild:
Sonja Gerth/CIMAC

 

Suche nach Gerechtigkeit

Argentinierinnen mit Matebechern, ein lesbisches Trommelkollektiv aus Kolumbien, Frauen im Rollstuhl, chilenische Hippies – die Teilnehmerinnen des Festivals sind so unterschiedlich wie das Programm. Es reicht von klassisch-esoterischen Workshops wie »Entkolonisiere deine Hüften« über Filmvorführungen und Turniere im Fuß- und Basketball bis zu politischen Gesprächsrunden.

Auch die Mütter von Verschwundenen und Ermordeten sind anwesend. Hilda Hernández, die Mutter von César Manuel González Hernández, einem der 43 verschleppten Studenten von Ayotzinapa, erzählt von ihrem Kampf gegen die Straflosigkeit. Seit 2014 ist ihr Sohn verschwunden. Die mexikanische Regierung besteht immer noch darauf, dass einige der Studenten von Kriminellen auf einer Müllkippe verbrannt worden seien. Doch argentinische Forensiker stellten fest, dass die dort gefundenen DNA-Proben nicht mit denen der Studenten übereinstimmen. Der Kampf um Gerechtigkeit macht viele krank; der erst kurze Zeit zurückliegende Tod einer der Mütter von Ayotzinapa mag damit zusammenhängen. »Die Behörden sagen, dieses Jahr wollen sie die Akten schließen. Aber wir geben die Suche nach unseren Söhnen nicht auf«, sagt Hilda, während sie mit den Tränen kämpft, und auch vielen Zuhörerinnen Tränen über die Wangen laufen.

Aracely Osorio, die Mutter von Lesvy Berlín Osorio, hält eine flammende Rede gegen die Politik, die eine schützende Hand über schlechte oder nicht ermittelnde Staatsanwaltschaften halte. Ihre Tochter wurde 2017 auf dem Campus der staatlichen Unversität UNAM in Mexiko-Stadt mutmaßlich von ihrem Freund ermordet. Sie wurde mit einem Kabel aus einer öffentlichen Telefonzelle erwürgt. Dennoch erzählten die Ermittler der Familie, es handle sich um einen Suizid. Erst auf großen öffentlichen Druck hin wurde das Verfahren wieder aufgenommen und es tauchten plötzlich Videos von Überwachungs­kameras auf, die Lesvys Freund zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts zeigen.

Wie in Lesvys Fall sind es meist die Verwandten der Ermordeten und nicht Polizisten, die wichtige Spuren zusammentragen. Auch dass der Mord an einer Frau auf einen Feminizid hin untersucht wird, was im mexikanischen Recht härtere Strafen nach sich ziehen kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Die Ermittlungsbehörden und auch die Politik haben kein Interesse daran, dass Mexico in den Statistiken über Frauenmorde ganz oben erscheint. Offiziell gab es im vergangenen Jahr im ganzen Land 671 Feminizide. Nichtregierungsorganisationen sprechen von ­sieben am Tag, in 99 Prozent der Fälle werde niemand verurteilt.

 

Männer dürfen draußen kochen


In den Workshops geht es unter anderem um die Folgen von Bergbau- und anderen Megaprojekten für indigene Gemeinden, die häufig von den damit einhergehenden Vertreibungen und Umweltschäden betroffen sind. Auch das Thema Gesundheit wird in Workshops diskutiert. In jeder Gesprächsrunde sitzen mehrere Zapatistinnen und machen sich häufig Notizen. Ihr Auftrag ist es, der Gemeinschaft die Diskussionsergebnisse zu jedem behandelten Thema mitzuteilen. Denn nur die Arbeit derjenigen, die zu Hause geblieben sind, die Kinder hüten, ­Hühner und Schweine füttern und sich um das Maisfeld kümmern, ermöglicht, dass 2 000 Zapatistinnen ihre Häuser verlassen und an dem Treffen teilnehmen können.

Auch die Männer leisten ihren Teil. Die Soldaten des EZLN haben sich strategisch auf dem Hügel an der Zufahrt platziert, um darüber zu wachen, dass es keine Zwischenfälle gibt. Die Männer der Gemeinden waren zum Festival explizit nicht eingeladen. Nur einige wenige kochen in einer Hütte außerhalb des Geländes Essen, das ihre compañeras am Zaun in Empfang nehmen.

Das Leben in den Dörfern habe sich in den vergangenen 24 Jahren entscheidend geändert, erzählt Maribel aus Morelia. Dazu beigetragen hat auch das »Revolutionäre Gesetz der Frauen«, das zeitgleich zum zapatistischen Aufstand von 1994 erstmals veröffentlicht wurde. Damals forderten die indigenen Frauen, selbst ­bestimmen zu dürfen, wen sie heiraten und wie viele Kinder sie bekommen wollen. Viele Feministinnen aus der Stadt waren damals erstaunt, da sie jenen wenig gebildeten Frauen, die ihre Unterdrückung scheinbar still hinnahmen, solch revolutionäreres Gedankengut kaum zugetraut hatten. Alkohol und sämtliche Drogen sind seit Inkraft­treten des »Revolutionären Gesetzes der Frauen« in den zapatistischen Gemeinden verboten, denn sie wurden als wesentlicher Faktor für häusliche Gewalt angesehen. Auch während des Festivals achten die Wachen des EZLN peinlich genau darauf, dass kein Joint auf dem Gelände angezündet wird.

»Heute lassen die Eltern ihre Töchter selbst entscheiden, wen sie heiraten wollen«, erzählt Maribel. Auch Verhütung und Gleichberechtigung würden in den autonomen Schulen behandelt, jeder Ortsrat sei paritätisch besetzt. Auf die Frage, in welchem Alter die Mädchen denn nun freiwillig heiraten, lacht sie verlegen: »15, 16, so wie jede will.« Das Lebensmodell ist hier auf die heterosexuelle Familie ausgerichtet, und die Frau, die mit 22 noch keine Kinder hat, ist entweder Soldatin oder sehr spät dran. Überrascht ist Maribel über die Frage, ob kein Mädchen je studieren wolle. »Nein! Wir lernen hier für alle Tätigkeiten, die wir brauchen, für die Landwirtschaft, als Gesundheitsförderinnen, Lehrerinnen, Hebammen.«

Dass alles in Gemeinschaft geschieht, wird den vielen Teilnehmerinnen von außerhalb noch einmal am Ende des Festivals vor Augen geführt. Unter dem Protest vieler Feministinnen, die drei Tage Theater, Sport und Musik unter Gleichgesinnten genossen haben und das gern weiterführen möchten, wird am letzten Abend das Tor geöffnet und die Männer werden zur gemeinsamen Party eingeladen – zu Ranchera-Musik, wie sie traditionell in Mexiko auf dem Land gehört wird. Es ist das Dankeschön der Zapatistinnen an die Männer, die all die Zeit gewacht und gekocht haben.

Vorher jedoch haben sie sich in einer langen Rede von ihren Schwestern aus aller Welt verabschiedet, an vielen Stellen mit Wortwitz und Humor durchsetzt, wie einst die Briefe des Subcomandante Marcos. »Wenn ihr das nächste Mal kommt, dann lasst es euch nicht noch einmal einfallen, bei der Teilnehmerinnenzahl eine Null auf dem Weg fallen zu lassen. Damit wir uns ­ordentlich vorbereiten können«, liest eine junge Zapatistin vor. »Dann wären wir nicht nur 2 000 gewesen, sondern viel mehr, so dass sechs Zapatistinnen auf eine Teilnehmerin kommen und sie umarmen und in ihrer Sprache ins Ohr flüstern können: ›Lass dich nicht kaufen, gibt nicht auf, keinesfalls!‹«