Klassenkampf als Antwort auf die Krise der liberalen Demokratie

Stur bleiben!

Seite 2

 

Das Privateigentum an den Produktionsmitteln bleibt unantastbar; Arbeiterinnen und Arbeiter sollen zwar wieder Gehör finden – das Versprechen der Populisten –, aber eben als solche, nie als rebellische Subjekte, die ihr mieses Arbeiterinnendasein hinter sich lassen wollen. Es gilt, »die neu entstandenen proletarisierten Massen zu organisieren, ohne die Eigentums­verhältnisse, auf deren Beseitigung sie hindrängen, anzutasten«, schrieb einst Walter Benjamin. Sie sehen ihr Heil darin, »die Massen zu ihrem ­Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen«.

Benjamin hatte den Faschismus im Sinn, und das offene Bekenntnis zum Faschismus wäre die Feuertaufe für den heutigen Populismus. Es wäre das ­ungeschmälerte Bekenntnis zum Volk und zu einem Volkswillen, der alle morschen Institutionen, Parteien und bürokratischen Vermittlungsformen beiseiteschiebt und von visionären Führern verkörpert wird. Aber bitte – nicht mal Björn Höcke träumt davon. Wer seine berüchtigte »Schandmal«-Rede ganz gehört hat, dem wird auf­gefallen sein, wie wenig er mit diesem Land anfangen kann, wie sehr er sich vor Westdeutschland und den Großstädten ekelt. Sein Deutschland wäre ein Rumpfstaat von der Größe der DDR – abzüglich Berlin. Der Faschismus der zwanziger Jahre war modern und konnte den anstehenden (blockierten) Rationalisierungsschub des Kapitals freisetzen und radikalisieren. Davon kann heute keine Rede sein: so gesehen hat der Neoliberalismus noch den Faschismus unter­graben und zu einer Spielmarke im Spektakel der Politik herabgesetzt.

Das ist alles kein Grund zur Entwarnung. Kommen wir zur nächsten Rede, Cem Özdemirs Wutattacke auf die AfD. Wenn ich die Einlassungen dazu in der Jungle World richtig verstehe, gilt sie als Dokument eines »integrativen« (also nichtvölkischen, sondern sozial-demokratischen) Patriotismus und ­Özdemir vielleicht als zukünftiger Bündnispartner einer Bürgerrechtspolitik. Özdemir spricht davon, wie er am Ende der Sitzungswoche des Bundestages zurück in seine Heimat fährt, erst nach Stuttgart, dann mit der S-Bahn nach Bad Urach. Er will sich diese ­Heimat, dieses Heimatgefühl nicht von der Hasspolitik der AfD kaputtmachen lassen. Meinetwegen. Aber – wie viel an Einsicht und Kritik hat man als Linker aufgegeben, um dies für einen Minimalkonsens zu halten? Özdemir spricht selbstverständlich nicht davon, wie es ist, in Deutschland auf den Schienennahverkehr angewiesen zu sein, der notorisch unzuverlässig ist und systematisch heruntergewirtschaftet wurde. Er spricht nicht von den Pendlern, die gleichwohl auf die maroden S-Bahnen angewiesen sind, weil sie sich keine Wohnungen mehr in der Nähe ihres Arbeitsplatzes leisten ­können.

Man kann sehr wohl von den Problemen der Arbeiter und Angestellten ­reden, ohne populistisch zu sein – es fängt damit an, auf das Wort Heimat zu verzichten.

Und es geht damit weiter, nicht länger auf ihre neuerliche Integration in eine Demokratie zu setzen, die genau diese Funktion, ihre sozialpartnerschaft­liche Integrationsfähigkeit, gründlich entsorgt hat. Sozialistische Politik, in alter Sprache: Klassenkampf, war einmal der Kampf um die kollektive Wiederaneignung unserer Existenzbedingungen. Darauf stur zu beharren und konsequent die gesellschaftlichen Felder durchzuackern – von der infrastrukturellen Benachteiligung ganzer Re­gionen, die zunehmen wird, über Wohnungsnot, die Ruinierung des öffent­lichen Raumes und die Spaltung der Arbeiter in »Stammpersonal« und »Leiharbeiter« bis zum desaströsen Menschensortieren in der Bildung –, ­darin besteht die kleine Chance, den Klassenkampf auf die Tagesordnung zu setzen.