Nach dem Mord an der Holocaust-Überlebenden Mireille Knoll in Paris

Ermordet, weil sie jüdisch sind

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Gemeinsam war den Mitgliedern seiner Bande, ebenso wie offensichtlich den Mördern von Mireille Knoll, die Entmenschlichung ihrer Opfer.

Die politische Rezeption des Mordes an Mireille Knoll, über den die fran­zösischen Medien ausführlich berichteten, unterscheidet sich von der im ­Falle Sarah Halimi. Ihre Ermordung wurde in der innenpolitischen Debatte zunächst kaum aufgegriffen, wohl weil das antisemitische Tatmotiv offiziell noch umstritten war und weil die Tat mitten in die Hochphase des fran­zösischen Präsidentschaftswahlkampfs fiel. Jüdische Organisationen und ­prominente Anwälte forderten, ein antisemitisches Motiv mit in die Anklageschrift aufzunehmen, was nach einigen Monaten doch noch erfolgte.

Nach dem Mord an Mireille Knoll wurden hingegen schnell deutliche Worte gesprochen. Innenminister ­Gérard Collomb sagte anlässlich einer Parlamentsaussprache: »Juden haben heute Angst in Frankreich«, und Staatspräsident Emmanuel Macron nahm an der Beerdigung des Opfers teil. Von ganz links bis ganz rechts gab es Anteilnahme.

An einem Gedenkmarsch am Mittwochabend voriger Woche nahmen in Paris nach Angaben des jüdischen Dachverbands CRIF rund 30 000 Menschen teil. Der französisch-jüdische Philosoph Alain Finkielkraut, dessen Stellungnahmen in jüngerer Zeit eher durch Pessimismus und Kulturkonservativismus geprägt waren, hob lobend hervor, anders als nach dem Mord an Ilan Halimi hätten daran sowohl ­Juden als auch Nichtjuden in größerer Zahl teilgenommen.

Während die Leitung des CRIF nur an die etablierten staatstragenden Parteien appellierte und sowohl den rechts­extremen Front National als auch die Organisation La France Insoumise des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon für unerwünscht erklärte, kamen letztlich Vertreter beider Organisationen ebenfalls zu dem Gedenkmarsch. ­Bürgerliche Medien vermeldeten daraufhin, sowohl Mélenchon als auch Marine Le Pen seien vertrieben worden. Die Wirklichkeit ist jedoch nicht ganz so einfach. Mélenchon wurde von mehreren Dutzend Angehörigen der rechtsextremen Jüdischen Verteidigungsliga LDJ – der französische ­Ableger der in den USA und Israel als rechtsterroristisch verbotenen Kach-­Bewegung – verbal attackiert. Er verließ daraufhin den Gedenkmarsch mit den Worten: »Heute geht es nicht um mich, sondern um Mireille Knoll. Man muss es philosophisch nehmen.« ­Marine Le Pen dagegen wurde von Teilnehmern des Marschs mit Rufen wie »Nazis, Faschisten« verbal angegriffen. Ihr standen Ordner der LDJ jedoch helfend zur Seite. Nach einer Stunde reihte sich Marine Le Pen nochmals kurzfristig in den Gedenkmarsch ein.

Die umfassende Unterstützung für den Gedenkmarsch ebenso wie die schnelle Reaktion der Ermittler, die ein antisemitisches Motiv bejahten, sind das Neue nach dem Mord an Mireille Knoll. Ob das die Beunruhigung ­jüdischer Menschen in Frankreich abzuschwächen vermag, ist noch nicht abzusehen.

In den vergangenen zehn Jahren haben Rechtsextreme dem Antisemitismus Vorschub geleistet, wie der Nazi Alain Soral und der »Komiker« Dieudonné, zu dessen Auftritten Tausende Besucher kamen. Jüngst erhielt die 1941 geborene Holocaust-Überlebende ­Lucienne Nayet in Südwestfrankreich nach Angaben der Union des Juifs pour la Résistance et l’Entraide Morddrohungen; auf einer rechtsextremen Website wurde ihr vorgeworfen, von einem »schäumenden und genozidalen, semitischen Hass auf die weiße Rasse« geleitet zu sein.

Vor allem aber wurden Jüdinnen und Juden in den vergangenen Jahren Dutzende Male Opfer von antisemitischen Gewalttaten. Sei es aus kriminellen Motiven im Zusammenhang mit unterstelltem Reichtum, wie bei Mireille Knoll und bei dem Überfall auf ein jüdisches Ehepaar zu Hause, Ende 2014 in der Pariser Vorstadt Créteil. Sei es aus jihadistischer Ideologie, wie bei den ­jüdischen Opfern der Terroristen Mohamed Merah 2012 in Toulouse und Amedy Coulibaly im Januar 2015 in Paris.

Nach Angaben des Historikers Marc Knobel in der Tageszeitung Le Monde verließen in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 60 000 Jüdinnen und Juden Frankreich – das wäre ein Zehntel der jüdischen Minderheit im Land. Die Motive dafür sind sicherlich gemischt, auch allgemeine Perspektivlosigkeit zählt dazu. Die immer häufiger werdenden antisemitischen ­Agressionen spielen jedoch eine wichtige Rolle.