Peggy Parnass im Gespräch über das Filmporträt »Überstunden am Leben«

»Gelebt wie verrückt«

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Interview Von

 

Es war die Zeit der Proteste gegen die Wiederbewaffnung und Atomwaffen …
Ja, gegen die Bundeswehr, natürlich. Zur Bundeswehr bin ich gegangen, als die anfingen, Akademiker auszubilden. Da haben wir uns in die noch leere Bundeswehrhochschule reingesetzt für einen Tag und dagegen protestiert.

Als ich nach Deutschland kam, bin ich sofort in die damals bestehende Jüdische Gemeinde und in die IDK, die Internationale der Kriegsdienstverweigerer, eingetreten. Sofort. Und immer Mitglied geblieben, obwohl ich aus der Gemeinde mehrfach austreten wollte, aber aus irgendeiner Sentimentalität heraus bin ich immer noch drin. Aus eigentlich überhaupt keinem Grund, denn Sentimentalität ist nicht das, was ich gut brauchen könnte.

Vor einiger Zeit hast du an der Veranstaltung zur Umbennung einer Straße im Flora-Neumann-Straße teilgenommen. Deine Tante Flora und dein Onkel Rudi Neumann haben die Ehrung selbst nicht mehr erlebt. Wer waren die beiden für dich?
Sie waren wunderbare Menschen, die nach allem, was sie erlebt hatten, Menschen weiter liebten. Immer Anteil nahmen. Die hatten immer viele Leute um sich herum. Wenn da jemand rumgejault hat, er sei erkältet, sagten sie gleich: »Oh, du Armer, bist du erkältet.« Sagt sie, die halb totgeschlagen worden war. An der alles kaputtoperiert worden war. Er, völlig kaputtgeschlagen, alles zu Bruch gehauen, alles: »Pass auf, dass es keine Grippe wird, ich mach dir eine Hühnersuppe.« Leck mich doch am Arsch! (Peggy Parnass zeigt an die Wand gegenüber.) Das ist Peter Weiss dort neben mir auf dem Foto. Da sitzen wir da, wo wir jetzt gerade sind. Hier haben wir auf der Bettkante gesessen.

Peter Weiss ist ja in Schweden geblieben.
Ja. Er kam immer mal wieder her. Er rief mich an, als mein Buch »Prozesse« erschienen war, wir kannten uns bis dahin nicht. Er meinte, er hätte gerade mein Buch gelesen, würde mich gerne treffen und mit mir reden. Oh ja, gerne, erwiderte ich. Dann kam er ab und zu, er wohnte dann in einem Hotel hier um die Ecke am Hauptbahnhof, im Reichshof. Damit er nah dran ist und wir uns unkompliziert treffen können. Dann war ich einmal, als wir verabredet waren, bei einer Freundin, die weiter weg wohnte, und kam ins Hotel, wo Peter Weiss auf mich wartete. Ich sollte ihn abholen, kam aber zehn Minuten zu spät. Sonst bin ich immer überpünktlich. Er saß kreidebleich im Foyer, schlotternd, und schrie: »Dass du mir das antust, dass du mich hier alleine lässt mit all den ganzen Deutschen! Du hast mich mit denen allein gelassen!«

Da habe ich erst mitgekriegt, wie verstört er noch war. So brach das aus ihm heraus. Und das, obwohl es ein internationales Hotel ist. Wir gingen dann sofort. Es dauerte eine Stunde, bis er wieder normal sprechen konnte. Wir sind schon reichlich kaputt.

Und so ging es auch meinen Freunden Georg Stefan Troller und Ralph Giordano. Beide so erfolgreich geworden, so bewundert, so umschwärmt, Frauen standen immer Schlange. So berühmt durch ihre Arbeit, aber tief drin so verstört, und immer noch das kleine Kind, das anerkannt werden möchte. Die Erfahrung als Kind, wenn der beste Freund, die beste Freundin plötzlich nicht mehr mit dir spielen will. »Warum?« – »Weil du Jude bist!« Das sitzt so tief, das ist nicht zu verwinden. Überhaupt nicht. Da hilft nichts.

Wie war dein Verhältnis zu Ralph Giordano?
Ich hatte auch mal Krach mit ihm. Aus politischen Gründen natürlich. Das, was uns verband, ist die Verfolgung. Das ist die Basis. Was uns trennte, ist der Blick auf Israel und die Palästinenser. Da war die Frage: weitere Auseinandersetzung oder gar nicht mehr darüber reden – nie wieder über Politik. Dann gut Freund sein, so dass wir miteinander essen gehen können. Wenn Giordano nach Hamburg kam, sind wir essen gegangen. Oder wenn Troller kam, etwa zu Buchvorstellungen. Ganz einfach, dass diese massive gemeinsame Basis immer noch da ist, das Drumherum habe ich ausgeblendet. Dafür habe ich mich dann entschieden. Immer wenn Giordano nach Hamburg kam, rief er vorher an, lud mich zum Essen ein. Bei mir konnte er sich dann beim Essen ausweinen.

Du hast mal das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen...
… aber erst mal ein Jahr lang abgelehnt. Und dann haben Troller aus Paris und Giordano aus Köln angerufen: »Peggyleinchen, sei doch nicht so, es ist doch jetzt alles anders. Es hat sich alles geändert, es sind doch nicht mehr die gleichen Leute. Und wir haben doch auch erst gezögert und uns das überlegt, aber dann doch zugesagt. Es ist doch sehr nett.« Dann habe ich mich überreden lassen nach einem Jahr Ablehnung. Ich habe zugesagt, aber es am Tag danach schon wieder bereut. Und es nie wieder angeguckt.

Was schön war: Damals war Karin von Welck als Kultursenatorin für die Verleihung an mich zuständig, mit ihren schönen großen Augen. Ihre Funktion war, es mir dranzumachen. Da war sehr viel Presse. Sie hat immerhin, als sie es mir angelegt hat, den ganzen Presseleuten gesagt: Wenn sie wüssten, wie schwer es war, Peggy dazu zu kriegen, das überhaupt anzunehmen. Die hat kein Geheimnis daraus gemacht.

Warum hast du die Annahme des Bundesverdienstkreuzes bereut?
Ich will damit nichts zu tun haben. Was weiß ich, wer das alles verliehen gekriegt hat im Laufe der Zeit. Bestimmt keine Freunde von mir. Obwohl, Esther Bejarano hat es auch bekommen, ein zweites erhöhtes irgendwie. Da war ich dabei, und Esther sagte zu mir: »Du, Peggy, muss ich mich jetzt beim Senat bedanken?« Da bin ich wütend geworden: »Nein, Esther, das musst du ganz bestimmt nicht, die können sich bei dir bedanken, dass du es überhaupt angenommen hast.« Das hat mich so in Rage versetzt. Das fehlt noch!

Vielleicht wollten Ralph Giordano und Georg Stefan Troller, dass du das Bundesverdienstkreuz annimmst, um zu zeigen, dass es auch Antifaschistinnen gibt in Deutschland?
Nein. Eine Auszeichnung von den Deutschen dafür bekommen, dass ich Antifaschistin bin? Ganz bestimmt nicht! Dafür gibt mir niemand einen Preis oder ein Lob oder einen Dank. Nein, dass nun wirklich nicht. Nein, das habe ich bekommen, obwohl ich Antifaschistin bin. Nicht weil ich ich bin, sondern obwohl ich ich bin.


Peggy Parnass – Überstunden an Leben. Filmvorführung und Gespräch mit Peggy Parnass. Samstag, 22. April, 20 Uhr, Polittbüro, Steindamm 45, Hamburg.

»Never teach history without telling a story«. Ein Abend mit Esther Bejarano und Peggy Parnass. Dr.-Alberto-Jonas-Haus, Karolinenstraße 35, Hamburg. 24. Mai, 19 Uhr.