Im ungarischen Wahlkampf schließt sich die Opposition über die ideologischen Grenzen hinweg zusammmen

Hauptsache gegen Orbán

Vor den Parlamentswahlen in Ungarn liegt die Regierungspartei Fidesz in Umfragen vorne. Die linke Opposition kann ein Bündnis mit den Rechtsextremen nicht ausschließen, um einen Regierungswechsel zu erreichen.

Für die Regierung sieht es gut aus. Am 8. April wird in Ungarn ein neues Parlament gewählt. Einer Umfrage des Institut Závecz Research zufolge hat die ­Koalition aus der rechtskonservativen Partei Fidesz und der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP) unter den zur Stimmabgabe entschlossenen Wahlberechtigten mit 47 Prozent so viele Stimmen wie alle anderen Parteien zusammen. Der Wahlkampf von Fidesz wird von zwei Themen dominiert: dem Kampf gegen Zuwanderung und der Denunziation ihrer angeblichen Hintermänner.

Mit einem vier Meter hohen Stacheldrahtzaun und den Einsatz von Grenztruppen, Bewegungssensoren, Infrarotkameras, Hubschraubern, berittener Polizei und Hunden schottet sich das Land entlang der Grenze zu Serbien und Kroatien gegen Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan und dem Kosovo ab. Schleppern drohen zehn Jahre Haft, illegal Eingereisten drei Jahre und ­Beschädigungen des Zauns werden mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Asylanträge werden nur noch an zwei Transitzentren an der Grenze im ­Süden angenommen, in denen die Antragssteller bis zur Entscheidung fest­gehalten werden; nur nach Serbien dürfen sie gegebenenfalls zurückkehren. Viele Anträge werden im Schnellverfahren abgelehnt.

 

In den Wahlbezirken finden bis zum Wahlmorgen konfliktträchtige Absprachen darüber statt, welcher oppositionelle Direktkandidat die größten Chancen gegen den jeweiligen Fidesz-Kandidaten hat.

 

Die »Flüchtlingsströme« lenke, so Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Regierung, eine linksliberale ­Verschwörung der »globalistischen Weltelite« gegen die »heimatliebenden Nationalisten«. Der aus Ungar stammende US-Milliardär George Soros und seine »Söldner« wollen angeblich die europäischen Nationalstaaten mitsamt deren familiären Werten und ihrem Arbeitsethos auflösen (siehe auch Artikel unten). Soros’ Open Society Foundation unterstützt Organisationen, die den von den Transitstaaten oft alleinge­lassenen Flüchtlingen helfen. Orbán behauptet, auch die Oppositions­parteien stünden unter Soros’ Kommando. Seit Jahren versucht die ungarische Regierung, Soros zu diskreditieren, oft mit antisemitischen Untertönen. Die Fi­desz-Fraktion verschenkte Ausgaben einer Soros-Biographie aus dem Kopp-Verlag, deren ungarische Übersetzung vom der Partei nahestehenden Verlag Gerilla Press vertrieben wird.

Doch selbst die Kampagne gegen Soros kann nicht mehr von den gegen ­einige Regierungspolitiker erhobenen Korruptionsvorwürfen ablenken. Dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), der Antikorruptions­behörde der EU, zufolge übernahm die ungarische Regierung vor Jahren den kommunalen Eigenanteil bei der Erneuerung der Straßenbeleuchtung in der Stadt Hódmező­vásárhely, was gegen die ­Finanzierungsregeln der EU verstößt. Der damalige Bürgermeister Hódmezővá­sárhelys, János Lázár (2002–2012), der mittlerweile Staatskanzlei­leiter ist, half dabei, den Staatsauftrag an die Firma Elios zu ­vergeben. Die gehörte dem ehemaligen Verbündeten Orbáns, Lajos Simicska, der inzwischen Finanzier der rechtsextremen Partei Jobbik ist, und István ­Tiborcz, dem Schwiegersohn Orbáns. Stets ist es OLAF zufolge bei den Aufträgen für Elios zu Regelwidrigkeiten gekommen. Eine Rückzahlungsforderung von rund 43 Milli­onen Euro an EU-Subventionen wird erwogen.

Der Fall beeinflusste Ende Februar das Ergebnis der Bürgermeisternachwahl in Hódmezővá­sárhely, einer Fi­desz-Hochburg, deren seit 2014 amtierender Bürgermeister kürzlich verstorben war. Der unab­hängige Kandidat Péter Márki-Zay erhielt 57,7 Prozent der Stimmen und setzte sich dank Unterstützung der Oppositionsparteien, die keine ­eigenen Kandidaten stellten, gegen den Fidesz-Kandidaten Zoltán Hegedűs durch, der 41,5 Prozent der Stimmen erhielt.

Das Resultat gibt der völlig zersplitterten Opposition Hoffnung. Dabei könnte ihr in die Hände spielen, dass die ­Regierung die Zahl der Parlamentsmandate auf 199 gesenkt hat, davon 106 Direktmandate und 93 Listenplätze. Bekäme die Opposition 15 bis 20 ­Direktmandate, hätte Fidesz nicht erneut eine Zweidrittelmehrheit, bei 40 Direktmandaten für die Opposition bräuchte Fidesz einen Koalitions­partner. Dem Bündnis der sozialdemokratischen Partei MSZP mit der grün-­liberalen Partei Párbeszéd (Dialog) und ihrem Spitzenkandidaten Gergely Karácsony, werden 13 Prozent der Stimmen prognostiziert. Die Demokratische Koalition, die linke Partei Együtt (Gemeinsam), die junge Momentum-­Partei sowie die ebenfalls grün-libe­rale Partei LMPwollten diesem Bündnis nicht beitreten und entschieden sich für eigene Listen. Diese Parteien könnten insgesamt auf 18 Prozent der Stimmen kommen. Die LMP will flexibel bleiben. Sie verhandelte – auf einem Autobahnrastplatz – mit der rechtsextremen Jobbik und schließt eine Koa­lition mit Fidesz nicht völlig aus.

Nun finden in den Wahlbezirken bis zum Wahlmorgen konfliktträchtig ­Absprachen darüber statt, welcher oppositionelle Direktkandidat die größten Chancen gegen den jeweiligen Fidesz-Kandidaten hat. Die Parteien müssen zwischen politischer Macht sowie Wahlkampfkostenerstattung und der Chance auf eine oppositionelle Mehrheit ab­wägen. Ein Jobbik-Kandidat soll seinem LMP-Konkurrenten sogar Geld geboten haben, damit er nicht antritt. Die Philosophin Ágnes Heller plädierte ­dafür, dass die linken Parteien auch zugunsten erfolgreicher Jobbik-Kandidaten zurückziehen. Rechnerisch könnte dies mancherorts nötig sein, da Jobbik mit prognostizierten 19 Prozent der Stimmen derzeit die zweitstärkste ­politische Kraft ist. Die Partei bemüht sich derzeit um ein gemäßigteres, ­bürgerliches Image, im Kontrast zum offen rassistischen und antisemitischen Wahlkampf vor den Wahlen 2014 – was die Hardliner von Identitären und paramilitärischen Gruppen dazu trieb, die neue Bewegung »Kraft und Entschlossenheit« zu gründen.

Insgesamt scheinen sich linke Opposition und Jobbik nicht völlig im ­Klaren darüber zu sein, wie weit die Zusammenarbeit vor den Wahlen, ­geschweige denn danach, gehen soll und kann.