In der »Blue City« in Rotterdam soll die zirkulare Wirtschaft Realität werden

Kreisen in der blauen Stadt

In einem ehemaligen Schwimmbad in der niederländischen Hafenstadt Rotterdam versuchen Startup-Unternehmen das Konzept der »zirkularen Wirtschaft« umzusetzen. Es geht um technologische Innovationen, Recycling und ökologische Nachhaltigkeit.
Reportage Von

»Tropicana« steht in geschwungenen orangeroten Lettern über dem ehemaligen Freizeitbad direkt am Maasboulevard in Rotterdam. Das aus drei Segmenten bestehende, mit Plexiglas verkleidete Gebäude erstreckt sich über rund 50 Meter am Ufer der Nieuwe Maas, die durch die zweitgrößte Stadt der Niederlande fließt. Die Badeanstalt hat schon bessere Tage gesehen, viele der Scheiben sind blind, seit knapp acht Jahren wird in der in den achtziger Jahren erbauten Anlage nicht mehr geschwommen. Baulärm dringt aus dem Inneren des Gebäudes, das derzeit nur durch einen im hinteren Drittel liegenden Eingang betreten werden kann. »Blue City – Surfing the New Economy« ist dort auf runden Schildern zu lesen. An einer Wand neben der Treppe, die zu einer Drehtür hinaufführt, hängt ein riesiges Transparent mit einer Luftaufnahme des ehemaligen Schwimmbads – es wirkt wie ein Raumschiff.

»Den ersten Abschnitt, den hinteren Teil, haben wir bereits zu Büros umgebaut«, sagt Floris Schiferli. Dann führt er am Balzaal, in dem heute eine Veranstaltung stattfindet, vorbei in einen Bürotrakt, in dem die Blue City geplant und umgesetzt wird. Hier befanden sich früher einmal die Umkleidekabinen. Schiferli hat dort gemeinsam mit seinen Kollegen des Architekturbüros Superuse Studios Bürowaben auf zwei Etagen gebaut. Rund 300 breite Holzfenster aus zweiter Hand wurden für den Bau verwendet, so sind die Räume lichtdurchflutet, obwohl sie nicht direkt an den Fenstern mit Blick auf die Nieuwe Maas liegen. »Da haben wir lieber Sitzecken zum Plaudern und Arbeiten eingerichtet. Und die werden auch genutzt«, sagt Schiferli und nimmt in der Sitzecke vor dem eigenen Büro Platz, um die Kolleginnen und Kollegen nicht bei der Arbeit zu stören.

 

»Wir brechen aus der linearen Ökonomie der Verschwendung aus und stellen das Prinzip der Wiederverwertbarkeit an oberste Stelle.« Jan Jongert, Architekt

 

Schiferli macht es Spaß, für Blue City zu planen statt für einzelne Kunden. Stolz ist er, dass 90 Prozent der verwendeten Baustoffe recycelt sind. »Das gilt auch für die Stromkabel, die selbstgebauten Lampen und selbst der Stoff für die Polster hat schon etwas von der Welt gesehen«, amüsiert sich der Architekt. Schiferlis Kollegin Karola van Rooyen sucht nach Second-Hand-Stahlträgern, ausrangierten Hölzern oder Türzargen und weiß, wo so etwas zu bekommen ist. Die Materialien werden von den fünf Architektinnen und Architekten der Superuse Studios verbaut. »Wir brechen aus der linearen Ökonomie der Verschwendung aus und stellen das Prinzip der Wiederverwertbarkeit an oberste Stelle«, so Jan Jongert, der Gründer des Büros. Diese Maxime passt zum Projekt Blue City, deshalb sind Schiferli und seine Kolleginnen und Kollegen nicht nur daran beteiligt, sondern auch für die Entwicklung des Projekts und die Gestaltung der riesigen Schwimmhalle verantwortlich.

 

Müll als Rohstoff

Zunächst steht der Umbau des Kellers an, in dem sich früher die Filteranlage, die Wellenmaschine und die Schwimmbadtechnik befanden. Hier stehen dicke Betonwände, die die Becken trugen. Die sind nun zum Teil obsolet und werden aufgeschnitten, um neue Räume für die Werkstätten von Unternehmen wie Dry Lab, das mit Hölzern aus zweiter Hand arbeitet, oder die Produktion von »Fruitleather« zu schaffen. Aus der Haut von überreifen Mangos wird ein fester, dem Leder ähnlicher Stoff gewonnen, der als Einband für Notizblöcke dient, aus dem alsbald aber auch Taschen gefertigt werden sollen. Die Idee, aus dem Müll anderer – in diesem Fall aus dem der Fruchtstände am Großmarkt – etwas Neues zu entwickeln, eint die Unternehmerinnen und Unternehmer der Blue City.

Mitinitiator ist Mark Slegers, der bis zum Mai vergangenen Jahres im Untergeschoss des einstigen Schwimmbads Austernpilze auf Kaffeesatz züchtete. Seine Firma Rotterzwam war die erste, die 2012 in das Tropicana einzog. Sie belieferte zahlreiche Restaurants in Rotterdam mit frischen Austernpilzen – bis zu einem Brand im vergangenen Jahr. Das Graffito mit dem Namen der Firma ist noch an einer der Wände zu erkennen. »Es ist eine Ironie des Schicksals, dass das Feuer ausgerechnet dort ausgebrochen ist, wo unser zirkularer Ansatz bereits am besten gegriffen hat«, sagt Schiferli. Das Feuer brach im Mai vergangenen Jahres bei der Firma Spireaux aus, dem Nachbarn von Rotterzwam. Dort züchtete Tim van Koolwijk Spirulina-Bakterien in einem Photobioreaktor und verarbeitete sie zu einer Nährpaste. Die geschmacksneutrale Paste, die als Brotaufstrich oder zum Kochen verwendet werden kann, ist sehr proteinhaltig und enthält viele Aminosäuren und Vitamine. Zur Zucht der Bakterien, die mit dem bloßen Augen gerade so zu erkennen sind, sind Wärme und CO2 nötig. Beides fällt bei der Kultur der Austernpilze von Rotterzwam an, die Kooperation der beiden Start-Up-Unternehmen war ein Musterbeispiel für die Kreislaufwirtschaft, die Blue City anstrebt. Das alte Schwimmbad sollte zum Vorzeigeprojekt für »zirkulare Wirtschaft« werden.

 

Wirtschaft in blau

In Rotterdam kommt das an. Veranstaltungen der Blue City werden gut besucht, Rundgänge durch das ehemalige Freizeitbad sind gefragt und auch der Balzaal wird oft von Unternehmen sowie von der Stadtverwaltung Rotterdams gebucht. »Das bringt uns Einnahmen, die es uns ermöglichen, den Ausbau des Bads voranzutreiben, aber auch unseren Lebensunterhalt zu bestreiten«, sagt Slegers. Vor sieben Jahren hatte der Pionier der Blue City bei seinem Arbeitgeber, einem großen Energieunternehmen, gekündigt. »Ich habe gut verdient, fuhr ein tolles Auto, aber der Job war trotzdem unbefriedigend. Ich habe mich gefragt, was erzähle ich meinen Kinder einmal, wenn sie mich fragen, weshalb der Planet so kaputt ist«, erinnert er sich lächelnd. Die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehe, dass die Menschheit Jahr für Jahr mehr Ressourcen verbraucht als nachwachsen, habe ihn dazu animiert, auch persönlich zu reagieren.

Inspiriert hatte ihn das Buch »The Blue Economy: 10 years – 100 innovations – 100 million jobs« des Belgiers Gunter Pauli. Darin stellt Pauli Möglichkeiten vor, wie sich mit »blauen« Innovationen Geschäftsmodelle entwickeln lassen. Damit bezieht er sich auf die Farbe des Planeten Erde, es geht um technologische Entwicklungen und Ökologie. Eine der 100 Geschäftsideen setzte Slegers, ein gelernter Biotechnologe, schließlich um: die Pilzzucht auf Kaffeesatz. Ein Jahr hatte er experimentiert, bis er genau wusste, welche Luftfeuchtigkeit, wie viel Licht und welche Temperatur die Pilze zum optimalen Wachstum brauchen – neben frischem, feuchten Kaffeesatz. Diesen holten Slegers oder einer seiner mittlerweile fünf Mitarbeiter mit dem Elektrotransporter bei Betrieben ab.

Seit dem Brand im Keller des Schwimmbads ruht die Pilzproduktion, bis das neue Areal in ein paar Wochen endlich eingeweiht werden kann. »Wir haben Glück im Unglück gehabt, denn die Pilzproduktion, mit der wir im Jahr rund 200 000 Euro Umsatz machen, ist nur ein Standbein«, erklärt Slegers. »Wir geben Seminare zum Anbau von Austernpilzen im Kontext der ›Blue Economy‹ und produzieren Bioplastik mit einem Anteil von 40 Prozent Kaffeesatz, woraus unter anderem Pflanzkübel hergestellt werden. Zudem habe ich einiges mit der Koordination innerhalb von Blue City zu tun«, fährt er fort.