Waldorf- und andere Privatschulen haben trotz fragwürdiger Lehrpläne Zulauf

Spiel nicht mit den Staatsschulkindern

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In Baden-Württemberg wurden in den vergangenen Jahren im Rahmen der Inklusion zahlreiche Förderschulen geschlossen. Behinderte Kinder, viele von ihnen lernschwach und aggressiv, kämen nun in die regulären Grundschulen, so Claudia. Gegen die Idee der Inklusion habe sie nichts, sie glaube aber, dass die Lehrer an den öffentlichen Grundschulen von dem Konzept überfordert seien und mit den Prob­lemen alleingelassen würden. Thorben bei einer der vielen Waldorfschulen anzumelden, die es in und um Stuttgart gibt, ist für sie mit der Hoffnung verbunden, ihrem Kind möglichst lange eine heile Welt bieten zu können. Und die, da sind sich Thorbens Eltern sicher, werde er eher an einer Schule finden, in der die Kinder aus behüteten, bürgerlichen Familien stammen.

Das könnte sich allerdings als Trugschluss erweisen. Die Berliner Autorin und Studentin Judith Sevinç Basad ­besuchte als Kind für zweieinhalb Jahre eine Waldorfschule in Franken. Dann habe sie ihre Eltern gedrängt, sie bei einer regulären Schule anzumelden. »Im Unterricht haben wir gelernt, dass der Mensch nicht vom Affen abstammt und die Evolution Unsinn ist«, erzählt Basad. Einer Freundin von ihr sei auf Initiative des Klassenlehrers die Lek­türe von Teenagermagazinen verboten worden. Weil sie einen Fleck auf dem Zahn gehabt habe, habe Basad zudem wochenlang einen hellen Stein unter ihr Kopfkissen legen müssen – der die dunkle Farbe aus dem Zahn ziehen sollte. Ein Freund Basads, der Linkshänder sei, habe einen Kristall halten müssen, der ihn zum Rechtshänder machen sollte. Die Arier seien die überlegene Rasse, hätten Lehrer ihr schon als Kind in der Schule erklärt – ganz im Sinne der Wurzelrassentheorie, die Steiner von der Begründerin der okkultistischen Theosophie, Helena Bla­vatsky, übernommen hatte. Außer esoterischem und rassistischen Unsinn habe Basad allerdings nicht viel in der Schule gelernt: »Es war eher wie in ­einem Kindergarten.«

Ähnlich sehen die Erinnerungen von Jan-Michael Richter aus, der als Comiczeichner unter dem Namen ­Jamiri bekannt ist. »Wir haben eigentlich bis zum Waldorfabschluss so gut wie nichts gelernt«, erinnert er sich an seine Schulzeit in Bochum. »Wir haben gesungen, gespielt und was gebastelt, aber das war’s dann auch.« Für Richter im Großen und Ganzen eine schöne Zeit – eine sehr weit in die ­Jugend verlängerte Kindheit. Das böse Erwachen kam, als er nach dem Waldorfabschluss das Abitur machen wollte: »Auf einmal zog es an. Es war ein Druck, wie ich ihn vorher nicht kannte.« Und dem die meisten seiner Mitschüler nicht standhielten: Von 22 schafften gerade einmal sechs das Abitur. »Wir haben immer auf die Staatsschüler herabgeblickt, mit denen wir nicht einmal spielten«, so Richter. »Uns erschienen sie grob und plump. Das Abi war für die allerdings nicht so ein großes Problem.«

Dass die Stärke der Waldorfschule nicht in der Vermittlung von Wissen und Bildung liegt, geht auch aus der ansonsten eher an eine Werbebroschüre erinnernden Studie »Bildungserfahrungen an Waldorfschulen« hervor, für die Heiner Barz, Sylva Liebenwein und Dirk Randoll verantwortlich zeichnen. Mindestens die Hälfte der Waldorfschüler erhalte bezahlte Nachhilfe, auf regulären Schulen seien es gerade einmal gut 24 Prozent. Dafür, so die Studie, gehe es auf der Waldorfschule freundlicher zu: Gewalttaten auf den Schulhöfen kämen seltener vor; Drogen indes würden von Waldorfschülern häufiger konsumiert.

Claudia weiß, dass spätestens am Ende der Schulkarriere ihres Sohns Thorben noch einmal hohe Kosten für Nachhilfe auf die Familien zukommen dürften. Geld, das die Familie bereit ist, auszugeben. Ihr Sohn soll eine glückliche Schulzeit haben, koste es, was es wolle.

Thorben wird wohl problemlos einen Platz an einer Waldorfschule bekommen. In Zukunft dürfte das jedoch schwieriger werden. Der steigende Lehrerbedarf hat dazu geführt, dass die verfügbaren Arbeitskräfte knapp geworden sind. Die Bundesländer haben im Wettbewerb um Lehrer dank höherer Gehälter und der Aussicht auf Verbeamtung erhebliche Vorteile gegenüber privaten Schulträgern. Es könnte also gut sein, dass den Privatschulen in wenigen Jahren zwar nicht die Schüler ausgehen, aber die Lehrer.

 

*Namen geändert