Vietnam kritisiert die repressive Politik des kambodschanischen Ministerpräsidenten Hun Sen

Verbündeter auf Abwegen

Die repressive Politik des kambodschanischen Ministerpräsidenten Hun Sen wird nun auch von Vietnam kritisiert. Dessen Einparteien­regime geht es allerdings nicht um Demokratisierung.

Er scheint sich sicher zu fühlen. Hun Sen, seit 1985 Ministerpräsident Kambodschas und damit das am längsten amtierende Regierungsoberhaupt Südostasiens, ignoriert die Kritik sowohl der Vereinten Nationen als auch der USA und der EU am Verbot der größten Oppositionspartei, der Nationalen Rettungspartei (CNRP). Dieses soll Hun Sens regierender Kambodschanischen Volkspartei (CPP) den Sieg bei den Wahlen im Juli sichern.

Doch nun kritisiert ihn überraschend ein Verbündeter. Presseberichten zufolge legten hochrangige vietnamesische Politbüromitglieder Hun Sen Ende März bei einem Treffen gar den Rücktritt nahe. »Hun Sen wurde von den Vietnamesen sehr offen darauf hingewiesen, dass er zu lange an der Macht gewesen ist und es nun Zeit sei, zu ­gehen«, berichtet die Asia Times. Deren Quellen zufolge kritisierte die vietnamesische Regierung die Art und Weise, in der Hun Sen die Opposition demontiert hat, und äußerte die Sorge, dass die Wahlen in Kambodscha nicht frei und fair ablaufen könnten – von Repräsentanten eines Einparteienstaats wie Vietnam eine ungewöhnliche Aussage.

Hun Sen unterhält enge Beziehungen zu Vietnam, die bis in die siebziger Jahre zurückreichen. Damals ein Kommandant der Roten Khmer, floh Hun Sen 1977 mit einer kleinen Truppe über die Grenze nach Vietnam. Die Überläufer schlossen sich der vietnamesischen Armee an, die 1979 einmarschierte, das von Pol Pot geführte Regime stürzte und Kambodscha von dessen Terrorherrschaft befreite. Nach dieser Invasion gewährte Vietnam dem vom Krieg zerstörten Land dringend benötigte wirtschaftliche Hilfe und installierte eine aus seinen kambodschanischen Verbündeten bestehende Regierung, an deren Spitze seit 1985 Hun Sen steht.

Man darf also davon ausgehen, dass Demokratiedefizite in Kambodscha nicht die wirkliche Sorge der vietnamesischen Regierung sind. Diese ist vor allem verärgert wegen Hun Sens enger Verbindungen zu China und der Abschiebung vietnamesischer Staatsbürger aus Kambodscha.

Wegen der zweifelhaften Menschenrechtspolitik und des Verbots der CNRP drohen Hun Sen Sanktionen der EU und der USA. Von China, das seinen Einfluss in Kambodscha seit Jahren ausbaut und das Verbot der CNRP zum »Schutz der politischen Stabilität« guthieß, ist Kritik am Umgang mit der Opposition nicht zu erwarten. Kambodscha ist von Darlehen, Investitionen und Zuschüssen der Volksrepublik abhängig. Der Handel zwischen China und Kambodscha stieg in den vergangenen Jahren um fast 30 Prozent jährlich und erreichte 2016 ein Volumen von 4,8 Milliarden US-Dollar. Auch der chinesische Tourismus boomt, 2016 kamen 830 000 Touristinnen und Touristen nach Kam­bodscha, 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Chinesische Firmen sind stark vertreten in der Kleidungs- und Schuhindustrie, der wichtigsten Branche des Landes, aber auch im Bergbau und in der Landwirtschaft. Im Jahr 2016 kamen 30 Prozent der gesamten Investitionen aus China.

Deutlich wurde diese Abhängigkeit bereits beim Gipfel des Verbands ­Südostasiatischer Nationen (Asean) 2012, als sich Kambodscha weigerte, ein gemeinsames Kommuniqué zu unterzeichnen, das China wegen seines Vorgehens im Südchinesischen Meer kritisierte. Mehrere Asean-Mitglieder, darunter Vietnam, streiten dort mit China um den Anspruch auf Seegebiete. Es war das erste Mal in der Geschichte der Asean, dass ein Gipfel kein gemeinsames Kommuniqué verabschiedete. Zudem führten China und Kambodscha im März gemeinsame Militärübungen durch – ein Affront für Vietnam, das 1979 von China in einer Vergeltungsaktion für den Einmarsch in Kambodscha angegriffen worden war.

Der zweite Kritikpunkt Vietnams ist die Abschiebung vietnamesischer Bürgerinnen und Bürger, von denen einige seit Generationen in Kambodscha lebten. Im Januar berichteten kambodschanische Medien über ein verstärktes Vorgehen gegen »illegale Ausländer« – gemeint waren Vietnamesinnen und Vietnamesen. Viele von ihnen hatten sich nach dem vietnamesischen Einmarsch 1979 im Grenzgebiet niedergelassen – auch um den Verwüstungen durch den Vietnam-Krieg im eigenen Land zu entkommen. Viele Kambodschanerinnen und Kambodschaner betrachteten dies als Okkupation, rassistische Ressentiments gegen die »Besatzer« sind verbreitet. Hun Sen bedient sich seit einigen Jahren dieser Ressentiments.

Am 13. März sprach Hun Sen zum ersten Mal öffentlich über die Meinungsverschiedenheiten mit seinem alten Verbündeten. »Ich werde unseren Freund Vietnam fragen, ob sie mir und Kambodscha wirklich treu sind«, sagte der Ministerpräsident. Der Konflikt zwischen Vietnam und Kambodscha ist dabei wohl Teil eines größeren Wandels in Südostasien. Einige Staaten wie Vietnam bemühen sich um bessere Beziehungen zu den USA, Ende vorigen Jahres öffnete die erste McDonald’s-­Filiale in Hanoi. Andere Staaten ziehen die Annäherung an China vor.

Doch wie weit sich Vietnam und Kambodscha entfremden, ist unklar. Jede Maßnahme, die den lebhaften Grenzhandel beeinträchtigt, würde Vietnam ebenso hart treffen wie Kam­bodscha. Die vietnamesische Regierung kritisiert zwar den wachsenden Einfluss Chinas in Kambodscha, ergriff aber keinerlei konkrete Maßnahmen. Doch ohne Zweifel schwindet die Unterstützung der KP-Führung Vietnams für den alten Verbündeten Hun Sen.