Beim 11-mm-Fußballfilmfestival in Berlin gab es Filme über den russischen Fußball

Vorkriegsegoisten und verliebte Hooligans

Das 11-mm-Festival zeigte zur Einstimmung auf die Weltmeisterschaft russische Fußballfilme.

Sie treffen sich zum Fußball, obwohl es ihnen kaum um Fußball geht. Sie sind Fans von Spartak Moskau, aber eigentlich ist Spartak mehr Rechtfertigung als große Liebe. Und sie gehen ins Stadion, obwohl ihnen viel mehr an der dritten Halbzeit liegt als an den beiden zuvor. Einer von zwei Filmen, die das Russische Haus jüngst in Berlin zeigte, handelt von Hooligans; der andere, ganz andere Film dreht sich auch um russischen Fußball, aber melancholisch, poetisch und sepiafarben.

Vor der Mitte Juni in Russland beginnenden WM erscheint nun die übliche Flut von mal mehr, mal weniger lesenswerten Werken und Berichten zum russischen Fußball – und beim 11-mm-Fußballfilmfestival Ende März in Berlin gab es einen sehenswerten Schwerpunkt mit rus­sischen Fußballfilmen.

»Kicking Off – Anstoß zur 3. Halbzeit« heißt der Thriller von 2013, der sich mit russischen Hooligans beschäftigt. Und das ganz gut macht, weil er die Szene porträtiert, ohne sie allzu sehr zu psychologisieren. Es geht um eine »Firma«, wie die Hool-Gruppen nach englischem Vorbild im grupppeneigenen Sprech heißen, die Spartak Moskau unterstützt; nicht wirklich engagiert im Stadion, sondern vor allem, wenn man sich mit den Lokalrivalen von Dynamo und deren Firma zu Schlägereien verabredet. Anführer der Gruppe ist »Teacher«, ein Universitätsprofessor, der tagsüber im Intellektuellen-Look russische Geschichte lehrt und abends bei der Wiesenklopperei die Sau rauslässt. Seine Mitstreiter führen bürgerliche Existenzen, vom Musiker bis zum Automechaniker ist praktisch alles vertreten. An den Wochenenden entfliehen sie den Müttern und Freundinnen in ihre Parallelwelt von Ehre, Treue und Männlichkeit. Und versuchen, sich dabei nicht verhaften zu lassen von der mindestens genauso gern prügelnden Polizei.

»Kicking Off« ist ein bisschen hollywoodesk, vermeidet aber zumindest ein gängiges Fehlurteil Außenstehender: dass Hooligans nur frustrierte Dumpfbacken seien, die ihr versautes Leben vergessen wollen. Der Abteilungsleiter, der Familienvater aus der Reihenhaussiedlung oder der im Büro sich angepasst gebende Azubi sind ja angeblich in der Szene gang und gäbe. Und die zumindest in Deutschland längst intern durchregulierten Ackerkämpfe sind für viele ein Hobby wie für andere eben Boxen oder Ringen. Gut also auch, dass der Film es weitgehend vermeidet, nach vermeintlichen Gründen zu suchen. Es gibt keine der üblichen küchenpsychologischen Erklärungsmuster mit brutalem Stiefvater oder Mobbing-Vergangenheit auf dem Pausenhof. Sie schlagen sich einfach, weil sie sich schlagen wollen.

Wie getreu die Details wirklich den Alltag russischer Hooligans abbilden, bleibt offen. Ganz gelingt es »Kicking Off« nicht, die gängigen Bilder zu vermeiden. Große Krieger, die »Reservoir Dogs«-mäßig in Zeitlupe aufeinander zugehen, und ziemlich ausdauernde Prügelsequenzen mit einem Soundtrack, der wohl die russische Variante von Hool-Musik im Stil der Band Kategorie C ist – in solchen Momenten hat man das Gefühl, so etwas bereits tausend Mal gesehen zu haben. Gut funktioniert der Film da, wo er die Protagonisten und ihre Widersprüche porträtiert.

 

So wie bei »Teacher«, dem Anführer und Professor, der im wahren Leben bei seinen Eltern wohnt und noch nie eine Freundin mit nach Hause gebracht hat. So wie bei Wolodja, einem nicht ganz so smarten, aber im Grunde liebenswerten Typen, der in der Gruppe den Macho geben will und außerhalb seine neue Freundin Taisia vergöttert. Taisia ist es auch, die stellvertretend für den Zuschauer immer wieder eine Frage stellt: Warum macht ihr das eigentlich? Im echten Leben, sagt einer, gebe es so viele Widersprüche und Komplikationen. Hier sei dagegen alles ganz einfach, schwarz und weiß. So einfach ist es natürlich nicht, und ­irgendwann bricht die bürgerliche Fassade zusammen. Selbst zum Zeitpunkt der großen Eskalation kann eigentlich keiner der Hools eine befriedigende

Antwort auf die Frage geben, warum sie tun, was sie tun.
Fußball in Russland ist auch das Thema des zweiten Films, aber auf sehr viel ruhigere, poetischere Weise. »Garpastum« porträtiert die Brüder Nikolai und Andrej, die im Sankt Petersburg zu Beginn des Ersten Weltkriegs den Fußball für sich entdeckt haben. Sie sind mehr oder minder auf sich allein gestellt; die Mutter ist gestorben, der Vater ist geistig verwirrt (der Auslöser, stellt sich später heraus, war das legendäre 16:0 von Deutschland gegen Russland, bei dem der Vater dummerweise alles Geld der Familie auf einen russischen Sieg gesetzt hatte). Auch die Jungs haben nicht viel außer Fußball im Kopf. Der Film zeichnet die Situation widersprüchlich. Onkel und Tante, bei ­denen die Brüder leben und sich versorgen lassen, werfen ihnen gern vor, nur an sich zu denken. Ist unsere Generation wirklich eine von selbstverliebten Egoisten, fragen sich auch die Jugendlichen immer wieder. Und was bedeutet das, wenn es stimmen sollte?

»Garpastum« ist ein kluger, reflektierter, optisch schöner Film. Die langsamen Bilder und die vielen Minuten, in denen kaum etwas passiert, strapazieren die Geduld des Zuschauers manchmal über Gebühr – ein bisschen mehr Handlung hätte gut getan. Aber das zähe Dahinziehen der Tage gibt ein Gefühl für das Leben, das die beiden Brüder führen. Im Hintergrund droht der Kriegsbeginn: Teamkameraden werden in die Armee eingezogen, Ausländer werden zum Feindbild, Flüchtlinge kommen, und beständig liegt das drückende Gefühl einer nahenden Katastrophe in der Luft. Es nahe eine neue Epoche, glaubt eine Protagonistin. Und vielleicht ist die neue Epoche unbemerkt schon da, während Nikolai und Andrej sich an dem festhalten, was immer Bestand hat: Straßenfußball.
Das Sankt Petersburg, das der Film zeigt, hat nichts zu tun mit der herausgeputzten schillernden Stadt von heute. Es ist eine Stadt der hölzernen Baracken und der Armut, der schlammigen Straßen voller Pfützen und der schmutzigen, vernachlässigten Kinder. In fast jeder Szene liegt Nebel in der Luft, es regnet dauernd. Die Atmosphäre ist die große Stärke von »Garpastum«: Der Film nimmt den Zuschauer mit in eine sepiafarben eingetauchte, matschige Welt, wo Fußball der einzige Lichtblick ist.

Nikolai und Andrej haben es da vergleichsweise gut: Sie sind reiche Kinder, die keine Sorgen haben außer der, dass ihnen ein geeigneter Fußballplatz fehlt. Einer ihrer Teamkameraden nimmt sie mit in das Ghetto, in dem er aufgewachsen ist. In einer rohen, zwielichtigen Welt, in der die beiden Brüder nicht zurechtkommen, handelt er mit einem Kaufmann, um ein Fußballfeld zu erstehen. Die Brüder wollen dort ein Stadion bauen. Aber erst kommt ­einiges dazwischen und dann der Krieg. Nikolai wird eingezogen. Als er zurückkehrt, trifft er in einer hungernden Stadt den Bruder Andrej wieder, der mittlerweile Frau und Kinder hat und immer noch ein Egoist ist. Sie haben sich voneinander entfernt, und auch die Welt um sie herum ist fremd geworden. Also tun sie das, was sie immer zusammenhielt: Sie spielen Fußball.


Garpastum, Russland 2005, 116 Minuten, Regie: Aleksei Alekseivich German Kicking Off – Anstoss zur 3. Halbzeit, ­Russland 2013, 100 Minuten, Regie: Anton Bormatov