Im Paragraphendschungel – Carles Puigdemont und der europäische Haftbefehl

Die Tücken der Auslieferung

Im Paragraphendschungel – eine Kolumne über das Recht im linken Alltag, Teil 12
Kolumne Von

Der katalanische Separatismus und der Konflikt der Separatisten mit der spanischen Zentralregierung werden in der deutschen Linken immer wieder diskutiert. Einig ist man sich ­dabei bisher nicht geworden. Die einen warnen vor einer völkischen Bewegung, die anderen wittern das revolutionäre Subjekt, viele ­stehen irgendwo dazwischen.

Seit kurzem beschäftigt das Thema auch das deutsche Strafrecht. Am 25. März wurde Carles Puigdemont auf einer Autobahnraststätte in Schleswig-Holstein festgenommen. Das Bundeskriminalamt hatte die dort zuständige Polizei darauf hingewiesen, dass der abgesetzte katalanische Ministerpräsident beabsichtige, aus Dänemark einzureisen, und dass die spanische Justiz einen sogenannten Europäischen Haftbefehl erlassen habe. Als nach der Festnahme ­öffentlich bekannt wurde, dass die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein Auslieferungshaft beantragt hatte, entbrannte nicht nur in den sozialen Medien eine Debatte. Kern der Auseinandersetzung war die Frage, ob die Bundesregierung die Auslieferung nicht verhindern müsse. Nur wenige, wie die ehemalige Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak (»Die Linke«), stellten die Frage, ob und in welcher Form die Bundesregierung das überhaupt dürfe. Die Antwort ist: Es ist gar nicht mal so kompliziert.

Im Jahr 2002 war man sich in der EU darüber einig, die bisher geltenden Vorschriften für Auslieferungen von Tatverdächtigen sowie verurteilten Straftätern zu vereinheitlichen und die Auslieferungsverfahren unter EU-Mitgliedern dadurch deutlich zu beschleunigen. Also fasste der Rat der Europäischen Union einen Rahmenbeschluss, der die Mitglieder verpflichtete, den EU-Haftbefehl in die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen zu integrieren.

Der Europäische Haftbefehl unterscheidet sich von einem Auslieferungsantrag eines Nicht-EU-Staats deutlich. Ergeht ein Europäischer Haftbefehl, ist eine Mitwirkung auf politischer Ebene nicht mehr erforderlich und auch nicht vorgesehen. Denn der Rahmen­beschluss wurde auf der Grundlage gefasst, dass im EU-Raum rechtsstaatliche Anforderungen ausreichend vereinheitlicht seien, so dass es dieser Mitwirkung nicht mehr bedürfe. Zudem gibt es einen Katalog von 32 Straftaten, bei denen im Unterschied zum herkömmlichen Auslieferungsverfahren nicht mehr geprüft wird, ob in dem Land, in dem sich die auszuliefernde Person befindet, die ihr vorgeworfene Tat ebenfalls strafbar ist. Hinzu kommen verbindliche Fristen und einheitliche Verfahrensgarantien.

In Deutschland verlief die Verwirklichung dieses Beschlusses nicht ganz reibungslos. Das Bundesverfassungsgericht kassierte 2005 das im Jahr zuvor erlassene Gesetz. Ein Terrorverdächtiger mit deutscher und syrischer Staatsangehörigkeit sollte damals nach Spanien ausgeliefert werden und hatte Verfassungsbeschwerde ­erhoben. Das Bundesverfassungsgericht rügte insbesondere die nicht ausreichende Beachtung des Auslieferungsverbots von ­Artikel 16 des Grundgesetzes, der hohe Anforderungen an die Auslieferung deutscher Staatsbürger setzt. Das Gesetz wurde daraufhin überarbeitet und 2006 neu verabschiedet.

Zurück zum Fall Puigdemont: Am 5. April setzte das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein den Haftbefehl gegen Auflagen außer Kraft. Puigdemont kam gegen Kaution frei. Er muss sich seither regelmäßig bei der Polizei melden und darf die Bundesrepublik nicht verlassen. Zugleich bestätigte das Gericht den Haftbefehl aus Spanien für eine der beantragten Straftaten, nämlich Untreue, lehnte ihn jedoch für den weiteren von Spanien genannten Straftatbestand der »Rebellion« ab.

Warum ist das wichtig? Hier kommt der Grundsatz der Spezialität ins Spiel: Wird eine Auslieferung bewilligt, darf die aufgrund eines EU-Haftbefehls auszuliefernde Person im Land, das um Auslieferung ersucht, nur wegen des im Auslieferungsbeschluss bestimmten konkreten Tatvorwurfs juristisch belangt werden. Das heißt, Spanien dürfte Puigdemont wegen Untreue anklagen, nicht aber wegen »Rebellion«, für die ein deutlich höheres Strafmaß festgesetzt ist. Ebenso erging es der spanischen Justiz mit Puigdemont in Belgien, weshalb sie den Haftbefehl seinerzeit zurückzog. Ähn­liches ist auch für den derzeitigen Haftbefehl zu erwarten.

Aber auch unabhängig vom Fall Puigdemont dürfte der EU-Haftbefehl in Zukunft in weiteren Fällen für Aufmerksamkeit sorgen. Die politische Rechte sorgt in etlichen Ländern der EU für eine autoritäre Politik, in manchen gibt es stramm autoritäre Regierungen. Das ist für den Vollzug von EU-Haftbefehlen ein Problem, ein aktuelles Beispiel gibt es bereits. Im März setzte der irische High Court, das oberste Gericht des Landes, den Vollzug eines EU-Haftbefehls aus. Der polnische Staatsangehörige Artur Celmer sollte an Polen ausgeliefert und dort wegen Drogenschmuggels verhaftet werden. In Polen hatte die rechte Regierung weitreichende Justizreformen durchgesetzt, die Kritiker als Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz werten. Das irische Gericht hatte daher Zweifel daran, ob Celmer überhaupt ein den irischen Grundsätzen genügendes rechtsstaatliches Verfahren garantiert wäre. In der Folge legte es den Haftbefehl dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vor. Auch in der justiziellen Zusammenarbeit knirscht es in der EU.