Die Biographien von Sally Kaufmann und Mordechai Tadmor

Im Kampf um Israel

Seite 4
Imprint Von

Die Autoren der Zeitung mischten sich mit ihren Beiträgen in die zeitgenössischen politischen Debatten ein. Die Jüdische Wochenzeitung ergriff dabei klar Partei für den Zionismus und bezog immer häufiger Stellung gegen den Nationalsozialismus. Es schrieben neben den Redakteuren auch berühmte Autoren wie Wolfgang von Weisel, Arnold Zweig, Theodor Lessing und Max Brod, aber auch nichtjüdische Autoren wie zum Beispiel Philipp Scheidemann und Heinz Pollack. Der Kasseler Historiker Dietfrid Krause-Vilmar schreibt über die Zeitung: »Politisch fällt die Nähe zur demokratischen Republik auf, die sich durch alle Jahrgänge (…) beobachten lässt.« Immer wieder wurden Aufrufe veröffentlicht und Leitartikel geschrieben, die die Leser eindringlich aufforderten, nicht nur zu den Wahlen zu gehen, sondern ihre Stimmen auch den demokratischen Parteien oder den republika­nischen Kandidaten zu geben.

In einem Artikel von 1927 anlässlich des Besuchs Chaim Weizmanns in Deutschland schreibt der Verfasser, bei dem es sich vermutlich um Kaufmann handelte: »Wir erachten es daher als Pflicht nicht nur der­jenigen Juden in Deutschland, die sich Zionisten nennen, sondern aller Juden, denen das Judentum Herzenssache ist und die den Bestand des Judentums für die weitere Zukunft sichern wollen, dass sie dem Appell Chaim Weizmanns Folge leisten und ihre Kräfte mit denen der Juden in der ganzen Welt vereinigen, um die Last des Palästinaaufbaus tragen zu helfen.« Auch vom 14. Zionistenkongress aus Wien berichtet die Zeitung enthusiastisch. Auch dieser Artikel kann mit einiger Sicherheit Sally Kaufmann zugeordnet werden: »Aus den (zionistischen) Ideen einzelner und den Forderungen, die eine kleine Zahl von Menschen vor 28 Jahren erhoben hat, sind inzwischen Realitäten geworden, die in der Welt der Tatsachen ihre Geltung ­gefunden haben. Die stärkste Realität ist das jüdische Palästina mit seinen wachsenden Städten, blühenden Kolonien, der auffallenden hebräischen Sprache und seinen arbeitenden Menschen. Diese Realitäten (…) sind die stärkste Grundlage für die weitere Existenz des jüdischen Volkes in der Gegenwart und (…) in der Zukunft.« Berichte über die Situation im damaligen britischen Mandats­gebiet Palästina und über die Bedeutung Eretz Israels für das Judentum nahmen großen Raum in der Zeitung ein. Der antijüdische Aufstand im Mandatsgebiet im Jahre 1929 und das in diesem Zusammenhang verübte Pogrom an den Juden in Hebron wurden mit großer Betroffenheit zur Kenntnis genommen. Auch die Umtriebe des Muftis von Jerusalem waren bei den Autoren in der Jüdischen Wochenzeitung immer wieder Thema. Die Haltung der KPD zu ­diesen antisemitischen Ausschreitungen wurde in einem kurzen Artikel deutlich kritisiert, der mit »Die Rote Fahne fordert die Kommunisten in Palästina auf, Schulter an Schulter mit den Arabern einen Vernichtungskampf gegen die Juden zu führen«, überschrieben war.

»Wir wussten, und das kam in unzähligen Gesprächen unter dem Wüstenhimmel zur Sprache: Dieser Krieg gegen Deutschland wird siegreich enden, und was
uns betrifft, so konnten wir nur hoffen, uns auf das Kommende gut vorzubereiten. Im Krieg gegen Nazideutschland sahen wir uns als Sieger. Unsere Sorgen galten der Zeit nach dem Krieg. Wir haben uns bekanntlich nicht geirrt.« Mordechai Tadmor

Besonderen Raum nehmen aber die vielen Berichte über die Angriffe von Nazis und ihren Sympathisanten in ganz Deutschland wie auch in Kassel und im Umland ein. Sie wurden laufend dokumentiert und thematisiert. 1926 druckte die Jüdische Wochenzeitung einen Artikel über den antisemitischen Antiquitätenhändler Edler von Dolsperg aus Kassel. Im Schaufenster seines Ladens am Ständeplatz hatte dieser einen illustrierten Bericht über die Ritualmordlegende ausgehängt. Es kam zur Anklage gegen den Händler. Dieser wurde von Roland Freisler, dem späteren Präsidenten des Volksgerichtshofs, verteidigt, der vor Gericht mit wüsten antisemitischen Beschimpfungen auftrat, die er auch explizit gegen Kaufmann, den ­Herausgeber der Jüdischen Wochenzeitung richtete. Weitere Auseinandersetzungen mit Freisler und den örtlichen Nazis führten dazu, dass Kaufmann unmittelbar gedroht wurde: »Diesen Juden, S. Kaufmann, Hohentorstr. 9, wollen wir uns merken«, hieß es in einer örtlichen ­Nazizeitung.

Insbesondere diese Angriffe auf seine Person waren das zentrale ­Motiv für Kaufmann, Kassel 1932 zu verlassen. Kaufmann schrieb in ­einer biographischen Notiz im Zusammenhang seines Antrags auf Entschädigung als Verfolgter des Naziregimes: »Da ich während dieser Zeit mehrfache Kontroversen mit Roland Freisler hatte und auch in mehrere Prozesse mit ihm ver­wickelt war, wurde meine Stellung durch die stetige Entwicklung des Nationalsozialismus bereits vor 1933 hier in Kassel nicht mehr ­haltbar.«

Die Gefahr, die vom Nationalsozialismus ausging, war für Kaufmann schon vor 1933 absehbar. Er fand sich wie viele andere Anhänger der Republik mehr und mehr isoliert und musste sich als Jude ausgestoßen fühlen. Dadurch verlor er seinen Wohlstand, Deutschland, Nordhessen und Kassel als seinen Bezugs- und Identifikationspunkt, eine Heimat, die er in Israel paradoxerweise nie fand. Der Sohn sagt über seinen Vater: »Sein Leben hörte auf, als er Kassel verließ. Er war Zionist und auch ­aktiv, aber ich glaube, es war mehr ideologisch als praktisch. Denn als er mit der Wirklichkeit im Jishuw konfrontiert wurde, brach für ihn eine Welt zusammen.« In Israel vergrub er sich in sein Bücherantiqua­riat, das er dort mit wenig Erfolg führte und starb nach schwerer Krankheit 1956.

Es blieb dem Sohn vorbehalten, das Vermächtnis seines Vaters umzusetzen. So wie er als »King George’s soldier« seinen Beitrag in der jüdischen Brigade zum Sieg über den deutschen Nazifaschismus beisteuerte und damit auch die Juden in ­Palästina gegen die deutschen Vernichtungspläne verteidigte, so kämpfte er als Offizier zunächst der Hagana im Unabhängigkeitskrieg, dann für die IDF von Beginn an für die Existenz und Sicherheit Israels. Mordechai Tadmors Einheit sicherte 1948 die existentiell wichtige Versorgungslinie nach Jerusalem, die sogenannte Burma Road. Wie sein Vater in publizistischer Hinsicht gegen Nazis und für eine sichere Heimstatt der Juden eintrat, so tat dies sein Sohn mit der Waffe in der Hand. Ihm war schnell klar geworden, dass von der arabischen Seite nichts Gutes zu erwarten war. Die größenwahnsinnigen Pläne des Muftis von Jerusalem und seiner Verbündeten waren ihm und seinen Kameraden schon in der jüdischen Brigade bewusst. »Wir wussten, und das kam in unzähligen Gesprächen unter dem Wüstenhimmel zur Sprache: Dieser Krieg gegen Deutschland wird siegreich enden, und was uns betrifft, so konnten wir nur hoffen, uns auf das Kommende gut vorzubereiten. Mit anderen Worten: Im Krieg gegen Nazideutschland sahen wir uns als Sieger. Unsere Sorgen galten der Zeit nach dem Krieg. Wir haben uns bekanntlich nicht geirrt.«

Tadmor lebt heute mit seiner Frau in Giv’atajim.»Ich bin auch Ehrenbürger der Stadt Giv’atajim, aber Freude macht mir das angesichts des gegenwärtigen Zustands der Stadt leider nicht«, seufzt Tadmor in einem der Gespräche. Auf die großen Zeiten der israelischen Arbeiterpartei, ­deren letzter bedeutender Vertreter, Shimon Peres, 2016 starb, und erst recht auf die heroische Zeit der Kibbuzbewegung blickt er mit Wehmut zurück. »Ich bin ein Linker, ein Sozialist«, sagt er. Von der derzeitigen Regierung hält er nichts: »Als ehemaliger Gassenjunge verfüge ich über die passende Terminologie, aber die möchte ich Ihnen nicht zumuten.«

 

Der Text ist ein Auszug aus einem Vortrag, den Jonas Dörge am 30. Mai für die Deutsch-Israelische Gesellschaft halten wird. Kleine Synagoge, An der Stadtmünze 4–5, Erfurt. Beginn 18.00 Uhr

Der vollständige Text findet sich unter: ­https://schwerersand.files.wordpress.com/2016/06/ausschnitt.pdf