Der Film »Lady Bird« von Greta Gerwig

Keine Angst vorm Fliegen

Der Teenage-Tristesse im ärmeren Teil Kaliforniens entkommen: Mit der Coming-of-Age-Geschichte »Lady Bird« gelingt dem Star des Indie-Kinos, Greta Gerwig, ein beeindruckendes Regiedebüt.

Christine McPherson, ein Name, so durchschnittlich wie das Leben, das ein 17-jähriges Mädchen aus Sacramento eben so führt. Christine will aber etwas Besonderes sein und nennt sich selbst Lady Bird. Die Teenagerin besucht eine spießige katholische High School, ihre beste Freundin Julie wiegt ein paar Kilos zu viel, und ihr pinkfarbenes Tüllkleid, das sie zum Abschlussball trägt, ist ein kitschiger Alptraum. Sie wohnt, wie sie selbst sarkastisch sagt, auf der »falschen Seite der Eisenbahngleise«, was bedeutet, dass sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder im sozial schwächeren Teil Sacramentos zu Hause ist. Alle ein bisschen uncool hier in der kalifornischen Provinz.

Die Geschichte spielt im Jahr 2002, ein Jahr, das Lady Bird lakonisch kommentiert: »Das einzige Spannende an 2002 ist, dass es ein Palindrom ist.« So weit, so öde. Um der Tristesse zu entkommen, träumt Lady Bird von einem Studium in New York, doch das würde viel Geld kosten, das ihre Eltern nicht haben. Sie hofft auf ein Stipendium, doch die Mutter ist wenig begeistert, dass sich die Tochter an die Ostküste absetzen will. Ihren ersten Freund erwischt Lady Bird auf der Schultoilette mit einem anderen Jungen, der zweite Schwarm ist ein blasierter und selbstverliebter Schönling.

 

Bei allem Lob gibt es durchaus Kritikpunkte.Die Filme von und mit Gerwig sind stets in einem homogenen Kosmos angesiedelt, in der Welt junger, kreativer Menschen, die sich durchwursteln und den Zumutungen der kapitalistischen Leistungs­gesellschaft nicht immer ganz gewachsen sind.

 

»Lady Bird« ist der erste Film, bei dem die bisher als Darstellerin gefeierte Greta Gerwig selbst Regie führte, auch das Drehbuch hat die 34jäh­rige geschrieben. Thematisch bewegt sie sich auf bekanntem Terrain, ihre Hauptfigur wirkt wie eine Schwester all jener Figuren, die Gerwig in »Frances Ha«, »Greenberg« oder »Mistress America« verkörpert: Tollpatschig, aber liebenswert taumeln diese junge Frauen auf der Suche nach Selbstverwirklichung in einer bisweilen widrigen Umwelt von einem Desaster ins nächste, bewahren sich dabei aber stets einen unerschütterlichen Grundoptimismus.

Man hat das Gefühl, dass immer sehr viel von Gerwigs eigenen Erfahrungen in diesen Filmen steckt, und tatsächlich trägt auch »Lady Bird« einige autobiographische Züge, obwohl die Regisseurin in Interviews ausdrücklich darauf hinweist, dass der Plot fiktiv sei. Was jedoch ihrem eigenen Lebensweg entspricht: Gerwig stammt ebenfalls aus Sacramento, besuchte eine katholische Schule, ihre Mutter arbeitete als Krankenschwester wie Christines Mutter im Film. Dass Gerwig das Milieu, von dem sie erzählt, die Welt der Mittelklassefamilien der USA, gut kennt, prädestiniert sie für eine authentische Darstellung. Ihr Debütfilm zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er einen Ausschnitt der Lebensrealität eines durchschnittlichen US-amerikanischen Mädchens so erzählt, dass deren Geschichte tatsächlich etwas Allgemeingültiges erhält. Natürlich ist das Coming-of-Age-Drama ein häufig bemühtes Genre. Der Film erinnert etwa an Sofia Coppolas »Virgin Suicides«, ohne allerdings dessen traumwandlerische Poesie herstellen zu können. Gerwig sagte in einem Interview, dass sie ein weibliches Pendant zu den Figuren der beiden jugendlichen Helden aus Richard Linklaters »Boyhood« und François Truffauts »Sie küssten und sie schlugen ihn« schaffen wollte. Und das gelingt ihr durchaus.

Ihre erste Regiearbeit bezeugt die bemerkenswerte künstlerische Weiterentwicklung Gerwigs, die eher zufällig zum Film kam. Als Darstellerin spielte sie Mitte der Nullerjahre in Low-Budget-Filmen des Mumblecore-Genres, die zwar bei anspruchsvollen Filmkritikern Anklang fanden, kommerziell aber eher wenig erfolgreich waren. Es dauerte ein paar Jahre, bis Regisseur Noah Baumbach, der auch ihr Lebensgefährte ist, sie schließlich 2010 in seiner Komödie »Greenberg« besetzte und damit ­einem größeren Publikum bekannt machte. Seitdem arbeiteten beide immer wieder zusammen, und man merkt auch »Lady Bird« an, dass sich Gerwig von Baumbachs Regiestil inspirieren ließ.

 

Die Besetzung der Titelrolle mit Saoirse Ronan ist ein Glücksfall für den Film. Mit schlampig rot gefärbten, strähnigen Haaren und einer biederen Schuluniform aus schwarzem Pullunder und grauem Faltenrock verkörpert Ronan die ideale Identifikationsfigur für Teenager, die mit ihrem Aussehen hadern. Die 24jährige zählt zweifellos zu den ­interessantesten jüngeren Schauspielerinnen des US-amerikanischen ­Kinos. Bekannt wurde sie vor vier Jahren mit Wes Andersons »Grand Budapest Hotel«. Dass sie rein äußerlich keineswegs dem glatten Schönheitsideal einer Hollywood-Schauspielerin entspricht, macht sie nicht nur glaubwürdig, sondern steht auch für ein neues Frauenbild. Ihr Können zeigt sich in der Art, wie sie das Neben­einander von Komik und Tragik ausspielt, das die Geschichte charakterisiert. Denn trotz aller Misere begegnet die Heldin dem Dasein mit lakonischer Gelassenheit, und das macht sie sympathisch. Der Konflikt, den Lady Bird mit ihrer Mutter Marion (Laurie Metcalf) austrägt, ist nachvollziehbar und kommt ohne Klischees aus.

Was den Film insgesamt auszeichnet, ist die subtile Sozial­kritik, die nicht in moralisches Predigen verfällt. Da ist Christines Vater (Tracy Letts), der seit Jahren an Depressionen leidet und schließlich seinen Job verliert. Oder ihr homo­sexueller Freund Danny (Lucas Hedges), der wegen seiner konservativen Familie Angst davor hat, zu seiner Orientierung zu stehen.

Bei allem Lob gibt es durchaus Kritikpunkte. Die Filme von und mit Gerwig sind stets in einem homo­genen Kosmos angesiedelt, in der Welt junger, kreativer Menschen, die sich durchwursteln und den Zumutungen der kapitalistischen Leistungsgesellschaft nicht immer ganz gewachsen sind. Als Zugeständnis an eine doch sehr amerikanische Lebenseinstellung gehen die Geschichten trotz aller Irrungen und Wirrungen stets glimpflich aus. Am Ende versöhnt sich die Tochter mit ihrer Mutter, es gibt ein gefühliges Telefonat, als Christine bereits in New York studiert, wo sie schließlich einen Collegeplatz bekommen hat – dieser Traum hat sich letztlich auch erfüllt –, und der Familienfrieden scheint wiederhergestellt. Gerwigs Haltung zum Kino besteht eben in erster Linie darin, dass sie unterhalten will, Schwermut verbreitet sie nur dosiert und stets folgt die positive Wendung auf dem Fuße.

Dass Gerwigs »Lady Bird« in jedem Fall einen Nerv getroffen hat, beweisen etliche Auszeichnungen. Bei den Golden Globes gewann der Film die Auszeichnung für die beste Komödie, Saoirse Ronan wurde als beste Darstellerin geehrte. Bei der diesjährigen Oscars-Verleihung war »Lady Bird« als bester Film sowie für die beste Regie, das beste Drehbuch und die beste Haupt- sowie ­Nebenrolle nominiert und galt vielen als Favorit. Gerwig, die auf der Shortlist für die beste Regie stand, ist damit die fünfte Frau in der Geschichte der Academy Acwards, der diese Ehre zuteil wurde. Dass der Film in keiner dieser Kategorien siegte, ist bedauerlich. Da der Gewinn des Oscars allein kein Kriterium für einen gelungenen Film ist, kann man sich in jedem Fall darüber freuen, dass ein Independent-Film wie »Lady Bird« zumindest im Mainstream-Kino der USA wahrgenommen wird.

 

Lady Bird (USA 2017). Buch und Regie: ­Greta Gerwig, Darsteller: Saoirse Ronan, Laurie Metcalf, Tracy Letts, Lucas Hedges. Fimstart: 19.April