Die internationalen Reaktionen auf die Giftgasangriffe des syrischen Regimes

Tweets und Cruise Missiles

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Konkret bedeute dies, so schrieben Anfang April Michael Weiss und Hassan Hassan im US-Nachrichtenportal The Daily Beast unter Berufung auf Quellen in Regierung und Militär, vor allem die Schaffung eines »de facto-Protektorats Amerikas« in Ostsyrien entlang der gesamten Grenze zum Irak. Damit wäre die von Tillerson als »nördlicher Bogen« bezeichnete Landverbindung zwischen dem Iran und dem Libanon unterbrochen. Das »Protektorat« würde ein Gebiet umfassen, in dem Reorganisierungsversuche des IS wahrscheinlich sind. Zudem würde so selbst im Fall einer Einigung der Türkei mit Russland und dem Iran verhindert, dass Assad die Kontrolle über das gesamte ­syrische Territorium zurückgewinnt; sein Rumpfstaat bliebe damit eine dauernde finanzielle Belastung für Russland und den Iran.

Der Plan ist schlüssig und entspricht der Strategie des US-Militärs, die aufgrund der Erfahrungen im Irak und in Afghanistan modifiziert wurde. Die Zahl der US-Bodentruppen soll möglichst gering gehalten, andererseits aber vermieden werden, dass durch einen voreiligen Rückzug besiegt geglaubte Kräfte wieder in die Offensive kommen können. Im nation building nicht sonderlich ambitioniert, berücksichtigt der Plan dennoch die politischen Verhältnisse und die Interessen potentieller Bündnispartner.

Hier aber wird es kompliziert. Die syrisch-kurdischen Milizen der YPG sind derzeit die mit Abstand zuverlässigsten und kampfstärksten Alliierten der USA – östlich des Euphrat, wo sie als Syrian Democratic Forces (SDF) mit arabischen Milizen verbündet sind. Westlich des Euphrat hingegen haben sich die YPG im Kampf gegen den tür­kischen Einmarsch auf die Seite des syrischen Regimes geschlagen. Man muss nicht lange rätseln, welchem Bündnispartner die YPG den Vorzug geben würden. Wenn Assad die Kontrolle über die kurdischen Gebiete wiedererlangt, würde er allenfalls eine Scheinautonomie gewähren, der wohl schnell eine Repres­sionswelle gegen YPG-Kader folgen würde. Die USA hingegen haben immerhin die kurdische Autonomie im Nord­irak vor dem Regime Saddam Husseins geschützt.

Allerdings haben es auch verständigere Präsidenten als der derzeit amtierenden allzu oft an ausreichender ­Unterstützung ihrer Verbündeten fehlen lassen, etwa der arabisch-sunnitischen »Stammeskämpfer« – de facto von lokalen Machthabern kommandierte, auf tatsächlichen oder mythischen verwandtschaftlichen Beziehungen basierende Milizen – im Irak, die im Kampf gegen al-Qaida halfen. Vergleichbare Gruppen gibt es auch in Syrien, und sie wären unentbehrlich für das »Protektorat«, da die YPG aus militärischen wie politischen Gründen nur die überwiegend kurdischen Gebiete im Norden kontrollieren können. Ideologisch überwiegend indifferent, würden die »Stammeskämpfer« ein Bündnis mit den USA einer Rückkehr der ­jihadistischen Herrschaft sicher vorziehen. Die launischen und widersprüch­lichen Twitter-Botschaften Trumps bestärken jedoch die Zweifel an der Verlässlichkeit der USA.

Ziehen sich die USA zurück, würden Russland, der Iran und die Türkei weiter an einer Aufteilung Syriens arbeiten.

Die von Weiss und Hassan skizzierte Strategie ist das Minimum dessen, was die USA unternehmen müssten, wenn sie den iranischen Einfluss zurückdrängen wollen. Weder europäische noch arabische Staaten sind in der Lage, in einem so entlegenen Gebiet zuverlässig die notwendige Luftwaffenunterstützung zu leisten, wenn es zur Konfrontation mit iranischen Truppen oder proiranischen Milizen kommt. Obwohl keine unmittelbare Hilfe für den Großteil der bedrohten syrischen Zivilbevölkerung, würde das »Protektorat« langfristig das Kräfte­verhältnis ändern. Das russische ­Bruttoinlandsprodukt entspricht etwa dem Spaniens, das iranische dem ­Österreichs; beide Staaten haben durch die Syrien-Intervention ihre militärischen Kräfte überdehnt. Putin mag sich nach einer Niederlage in Syrien pro­pagandistisch herauswinden können, im Iran aber würde ein erzwungener Rückzug des Regimes die Demokratiebewegung stärken.

Ziehen sich hingegen die USA zurück, würden Russland, der Iran und die Türkei weiter an einer Aufteilung Syriens arbeiten, die aus ihrer Sicht eine konfessionelle Trennung, also Depor­tationen und Zwangsumsiedlungen erfordert, die bereits begonnen haben – nur so ließen sich iranische und türkische Interessen in Einklang bringen. Die Folgen nicht allein für Syrien wären verheerend, unmittelbar bedroht wäre der Irak. Zudem will das iranische Regime Syrien als Basis für den Kampf gegen Israel nutzen – die im Februar abgefangene iranische Drohne war, wie das israelische Militär am Freitag vo­riger Woche bekanntgab, bewaffnet. In Israel geht man immer mehr davon aus, den Kampf gegen diese Bedrohung allein führen zu müssen.

Obama ignorierte die iranische Intervention in Syrien, weil er den Abschluss des Atomabkommens nicht gefährden wollte. Trump kritisiert das Atomabkommen und droht mit einem Ausstieg der USA, scheint aber ein ernsthaftes Engagement gegen den iranischen Vormarsch in Syrien abzulehnen – aus welchen Gründen auch immer, die Motive des US-Präsidenten bleiben unklar. Als Trump-Flüsterer versuchte sich ja bereits der israelische Ministerprä­sident Benjamin Netanyahu. Aber bislang hatte in dieser Rolle noch niemand dauerhaften Erfolg.