Eike Sanders, Autorin, im Gespräch über die rechte »Lebensschutz«-Bewegung

»Antifeminismus ist das zweite Standbein der AfD«

Eike Sanders ist Mitarbeiterin des »Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums« (Apabiz) in Berlin und hat zusammen mit Ulli Jentsch und Kirsten Achtelik das jüngst im Verbrecher-Verlag erschienene Buch »Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der ›Lebensschutz‹-Bewegung« verfasst. ­Darin befassen sich die Autorinnen mit der »Lebensschutz«-Bewegung«, die sich, parallel zum rechten Rollback, seit Jahren im Aufwind befindet. Der Kampf gegen Schwangerschaftsabbrüche ist nur eines der ­Themen dieser Bewegung.
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In der öffentlichen Debatte ist meist von »Abtreibungsgegnern« die Rede. Sie sprechen in Ihrem Buch von »Lebensschutz«-Bewegung. Wieso?
Für die »Lebensschutz«-Bewegung ist der Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche nur der Kristallisationspunkt verschiedener gesellschaftspolitischer Fragen, zu denen sie Stellung bezieht – und zwar auf reaktionäre Weise. Ihre Themenpalette ist jedoch breiter und umfasst viele, vor allem bioethische Fragen, zum Beispiel auch zu Sterbehilfe und Pränataldiagnostik. Wir haben diese Selbstbezeichnung deshalb übernommen, weil wir deutlich machen wollen, dass es sich hier tatsächlich um eine Art Bewegung mit einem gemeinsamen Weltbild handelt, die ein bestimmtes Gesellschaftsmodell anstrebt, und nicht bloß um ein paar Leute, die zufällig zusammengekommen sind und etwas gegen Schwangerschaftsabbrüche haben.

Ist diese Bewegung explizit rechts oder sogar extrem rechts?
Eine rechte, genauer: rechtskonservative Bewegung ist sie auf jeden Fall. Wenn wir uns die Parteipräferenzen der »Lebensschützer« und »Lebensschützerinnen« anschauen, soweit diese ersichtlich sind, dann sind das traditionell überwiegend Wählerinnen und Wähler von CDU und CSU. Das hat sich allerdings mit dem Aufkommen der AfD sicher ein Stück weit geändert. Und auch christlich-fundamentalistische Parteien wie die frühere »Partei Bibel­treuer Christen« oder die »Christliche Mitte«, die ich als extrem rechts einstufen würde, sind da vertreten.

Was wiederum das Weltbild betrifft, so gibt es da ganz klar Punkte, die die Bewegung in einen extrem rechten Diskurs eingliedern. Das betrifft vor allem die Vorstellung einer herbeihalluzinierten drohenden »Islamisierung« des »christlichen Abendlandes«, aber auch das schon länger existierende Feindbild der Säkularisierung und des Werteverfalls, der dann oft den Achtundsechzigern angelastet wird, sofern nicht gleich 500 Jahre früher bei der Aufklärung angesetzt wird. Sehr viel stärker geworden sind aber auch der Antifeminismus und der Kampf für die traditionelle heterosexuelle Familie beziehungsweise die »Ehe vor Gott«.

»Es geht den Mitgliedern dieser Bewegung um mehr als ›nur‹ das Verbot von Schwangerschafts­abbrüchen.«

AfD und Pegida, zu denen es ja ­zumindest partiell eine gewisse Nähe gibt, sind bekanntermaßen – um es mal vorsichtig zu formulieren – dem Rassismus nicht abgeneigt. Das evangelikale Christentum in Deutschland wächst derzeit ­insbesondere durch Migration von Gläubigen aus Lateinamerika und dem subsaharischen Afrika. Haben diese migrantischen Evangelikalen auch einen Platz in der »Lebens­schutz«-Bewegung?
Bis jetzt können wir das so nicht feststellen. Was wir aber feststellen können, ist, dass die Frage nach dem Umgang mit der sogenannten Flüchtlingskrise, aber auch mit der AfD, die Kirchen hierzulande spaltet. Da gibt es viele Konflikte und auch Widersprüche, die lange totgeschwiegen wurden, über die jetzt aber endlich relativ breit diskutiert wird. Dabei geht es vor allem um Fragen der christlichen Nächstenliebe, die ja durch die Immigration in die Gemeinden, aber auch durch die karitative Flüchtlingshilfe eine ganz praktische Dimension erhält. Glücklicherweise gibt es mittlerweile eine wachsende Zahl evangelischer, aber auch einige katholische Gemeinden, die sich explizit gegen die AfD und ­zugunsten der Geflüchteten positionieren.

In der »Lebensschutz«-Bewegung selbst sehen wir durchaus Tendenzen, sich zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung von der AfD stärker abzugrenzen. Bei dem Berliner »Marsch für das Leben« zum Beispiel konnte Beatrix von Storch vor zweieinhalb Jahren noch öffentlichkeitswirksam in der ersten Reihe mitlaufen. Heute sind die Veranstalterinnen und Veranstalter hingegen darauf bedacht, sich nicht von der AfD vereinnahmen zu lassen. Wie sich das unter der neuen Vorsitzenden des »Bundesverbands Lebensrecht«, Alexandra Linder, weiterentwickelt, bleibt abzuwarten.

Kürzlich waren im Bundestag die Fraktionen von CDU/CSU und AfD die einzigen, die eine Streichung des Paragraphen 219a pauschal ablehnten, der es Ärztinnen und Ärzten verbietet, über Abtreibung als Teil ihres Leistungskatalogs zu informieren. Wie nahe kommen sich diese Parteien in der »Lebens­schutz«-Bewegung? Hat diese eine Art Scharnierfunktion zwischen dem rechten Rand der Union und der AfD inne?

Das ist regional unterschiedlich. Wenn wir uns zum Beispiel Annaberg-Buchholz im Erzgebirge angucken, dann haben wir da ganz klar sächsische Verhältnisse. Die dortigen Schweigemärsche werden seit Jahren von Thomas Schneider organisiert, der jahrelang stellvertretender Landesvorsitzender der »Christdemokraten für das Leben« (CDL) war. Früher meldete er die Märsche im Namen der CDL an, heute tritt der Verein »Lebensrecht Sachsen«, dessen Vorsitzender Schneider ist, als Veranstalter auf. Zugleich teilt Schneider seit Jahren in sozialen Medien immer wieder Inhalte der AfD. Da lässt sich also wahrscheinlich wirklich von so einer Art Scharnierfunktion sprechen. Aber das ist halt auch Sachsen.