Lasst 100 Fäuste fliegen
»Was machst du hier? Du Zionist! Ich brech dir die Nase.« Die Sprüche, von denen die Betroffenen berichten, ähneln sich. Auffällig häufig fällt auch das Wort »ficken«. So äußern sich Mitglieder des sogenannten Jugendwiderstands. Das gesamte Ausmaß der Einschüchterungsversuche machte erstmals eine Dokumentation deutlich, die kürzlich von der Berliner Initiative gegen politische Gewalt zusammengestellt wurde und der Jungle World vorliegt. Die Adressaten der verbalen Ausfälle sind nicht nur öffentlich bekannte Antideutsche und andere politische Gegner, sondern auch solche, die aufgrund ihres Erscheinungsbilds dafür gehalten werden.
Der Hass auf »die Zionisten«, verbrämt als »Solidarität mit Palästina«, ist für die maoistische Kiezmiliz eines der wichtigsten Betätigungsfelder und wird von ihren Mitgliedern nicht nur zu den üblichen Anlässen wie dem »Revolutionären 1. Mai« offensiv auf die Straße getragen. In Teilen von Nordneukölln, aber auch im Ortsteil Wedding sowie in anderen Städten markieren sie ihr Revier großflächig mit eindeutigen Parolen wie »Tod dem Zionismus«, »9mm für Zionisten«, »Hunt Israel Supporters« und »Antideutsche boxen«. Die plakative Einschüchterung wird ergänzt durch ein martialisches Auftreten in den sozialen Medien. Neben Aufrufen, sich nicht durch Drogen vom Klassenkampf ablenken zu lassen, werben die Maoisten intensiv für die Ausübung von »Kampf- oder Kraftsport«. Getreu der vom »Großen Vorsitzenden« Mao verfassten »Studie zur Leibesertüchtigung« soll es dabei »roh und wild« zugehen. »Zerstöre nicht dich – zerstöre den Feind«, heißt es in einem Aufruf, »gegen Drogen und die Degeneration der Jugend im Imperialismus« solle man »hart kämpfen« und »einfach leben«.
Für Anfang Mai bewirbt der Jugendwiderstand die Teilnahme seines »Genossen Lennard« beim »Cologne Beatdown«, einer Großveranstaltung, bei der Kämpfe nach den Regeln des Kampfsports »K-1« und im klassischen Boxen stattfinden. Dort soll er »für die Idee des Arbeitersports« mit einem »klaren Kopf und flinken Fäusten« der Unterwanderung durch die »Faschisten« entgegentreten. Dass das ausgegebene Leitbild einer »drogenfreien und fitten Jugend« in seinem Antihedonismus selbst Parallelen zum Faschismus aufweist, fällt den vermeintlichen Vorkämpfern für das Proletariat offenbar nicht auf.
In der Silvesternacht 2016/17 wurde aus den Drohungen ernst. Eine Gruppe Trotzkisten berichtete über einen physischen Angriff von Mitgliedern des Jugendwiderstands. Während die Trotzkisten auf einer Neuköllner Straße feierten, beschimpften vorbeikommende Maoisten sie unter anderem als »Trotzkistenfotzen«. Wenig später griffen zehn vermummte Personen die trotzkistische Gruppe an. Sie beschimpften sie als »Hurensöhne«, riefen »Das ist unser Viertel« und prügelten auf sie ein. Das Ergebnis waren mehrere Verletzte und eine Spaltung des antiimperialistischen Lagers in der Hauptstadt.
Selbst innerhalb der maoistischen Szene isoliert sich der Jugendwiderstand immer mehr. Im Herbst veröffentlichte die Zeitschrift Klassenstandpunkt einen mehrere Seiten langen Text, der mit dem Urteil endet, es handele sich beim Jugendwiderstand um »rechte Liquidatoren«, deren Unwesen in der revolutionären Bewegung Verwirrung stifte. »Sie verbreiten ekelerregenden Chauvinismus und eine patriarchale Lumpenattitüde«, bemängeln die Autoren in dem Artikel und kritisieren, dass die Organisation sich als »eine illegal und klandestin arbeitende« inszeniere, während sie aber zugleich »ihre Leute in schlechten Hip-Hop-Videos öffentlich macht«.
Seit dieser Kritik aus den eigenen Reihen forciert der militante Flügel des Jugendwiderstands seine Einschüchterungsversuche gegen Personen, die er als politische Gegner einstuft. Von insgesamt drei Vorfällen berichtet die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus in ihrem Jahresbericht 2017. Die Initiative gegen politische Gewalt kommt auf insgesamt sechs Vorfälle im vergangenen Dreivierteljahr. Betroffene dieser Bedrohungen berichteten der NGO, dass sie in Neukölln »nicht mehr mit dem Stoffbeutel oder anderen Sachen« herumliefen, auf denen »ein positiver Bezug zu Israel oder dem Judentum zu erkennen ist«.
Anfang April schüchterten zwei mutmaßliche Führungskader des Jugendwiderstands mehrere Personen am Rand einer israelfeindlichen Demonstration ein. Während der Abschlusskundgebung am Kottbuser Tor verfolgten sie zwei Fotografen und bedrohten diese. Durch einen beherzten Sprung in das Auto des Journalisten Daniel Fallenstein konnten sich die Bedrohten retten.
Aber erst durch das Eingreifen der Polizei konnte eine sichere Abfahrt der Reporter gewährleistet werden. »Der Jugendwiderstand verbreitet Furcht unter seinen tatsächlichen und vermeintlichen Gegnern«, sagte Fallenstein der Jungle World. Eine gewisse Angst sei auch gerechtfertigt, »aber sie darf nicht dazu führen, dass Journalisten ihre Berichterstattung selbst zensieren«.
Für den 1. Mai kündigt der Jugendwiderstand seine jährliche Demonstration an. Im selbstausgerufenen »Antiimp-Kiez« wirbt er mit antizionistischen Parolen für die Teilnahme. Für viele Betroffene der Einschüchterungsversuche ist nicht nur an diesem Tag Nordneukölln eine No-Go-Area.