Die neuen Folgen der Serie »The Handmaid’s Tale«

Rote Roben, weiße Hauben

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So ist es die Aufgabe der relativ mächtigen Aunts (Tanten), die gebärfähigen Frauen zu Handmaids zu ­erziehen. Aunts sind mütterliche und äußerst harte Mentorinnen. Aunt ­Lydia (Ann Dowd) lehrt die Handmaids nicht nur, ihre Reduktion auf wandelnde Eierstockträgerinnen als Zeichen neuen Respekts vor dem weiblichen Geschlecht zu deuten, sondern auch, mit mitleidiger Verachtung auf die Ehefrauen herabzu­blicken, weil diese nicht fähig zu dem sind, was jenen zur einzigen Bestimmung geworden ist: zu gebären. Wo Indoktrination nicht durchdringt, behelfen sich die Aunts mit dem Elektroschocker.

Eine weitere Figur ist die konservative Feministin Serena Joy Waterford (Yvonne Strahovski). Sie war einst eine Vorkämpferin von Gilead. Da die Revolution jedoch gründlicher war als ihre Fürsprecherin, haben ihre Bücher kein Publikum mehr. Aus der reaktionären Politikerin wurde so eine Hausfrau. Offred ist die Magd ihres Mannes; sie zu schikanieren, ist Serenas Entschädigung für ihren Verlust an gesellschaftlicher Bedeutung.

Von diesen Frauen kann Offred keine Solidarität erwarten. Sie ist einsam, um sie herum ist es still. Auch unter den Handmaids gibt es kaum Freundschaft. Da sie uninformiert sind und Gefahr laufen, von der ­jeweils anderen bespitzelt zu werden, folgt ihr Austausch untereinander größtenteils einem öden Muster. Die meisten von ihnen fügen sich ein. Moira flieht nach Kanada, eine andere leistet Widerstand, der aber scheitert; sie wird gefasst und beschnitten und läuft schließlich Amok. Eine andere wird verrückt.
Weibliche Zusammenarbeit gelingt, so die bitterironische Pointe, nur in zwei Situationen: in der Vorbereitung der nächsten Geburt und wenn es darum geht, einen – vermeintlichen – Vergewaltiger zu lynchen. Die Geburtszeremonien sind ein verstörendes Spektakel, bei dem eine Ehefrau spielt, dass sie gebärt, während ihre Magd tatsächlich das Kind zur Welt bringt. Dies passiert im Kreis der anderen Mägde, eine seltsame Harmonie entsteht.

Während die Handmaids ihre monatliche Vergewaltigung still zu ertragen haben, befiehlt Aunt Lydia ihnen bei einer Versammlung auf einem Appellplatz die Tötung eines vermeintlichen Vergewaltigers. Ein stiller Reigen von Handmaids schlägt auf diesen ein. Das Ganze sieht aus wie eine einstudierte Choreographie. Der Mann spuckt Blut und geht zu Boden. Ist es bloß Gehorsam oder haben die Mägde Spaß? Während die Geburtszeremonien die Handmaids am gesellschaftlichen Glanz der ­Geburt teilhaben lassen, dienen die gemeinsamen Hinrichtungen der kollektiven Triebabfuhr.

Der Lynchmob der Handmaids steht für Atwoods Kritik am radikalen ­Feminismus, der den Mann pauschal zum Gegner erkläre. Die Darstellungen der Frauen von Gilead bricht mit dem Mythos von der netten und sanftmütigen Frau. In den Beziehungen der Frauen Gileads spiegelt sich Atwoods Wahrnehmung des Feminismus um 1968 wider. In Rangeleien feministischer Grüppchen untereinander, ihrem Separatismus und ­Radikalismus, sah sie die größte Gefahr für die feministische Sache. ­Atwood ging dabei sogar so weit, den radikalen Feminismus für eine mög­liche Regression der Gesellschaft verantwortlich zu machen.

Ähnliche Befürchtungen erneuerte sie kürzlich hinsichtlich der »Me too«-Debatte, die sie als Symptom eines zerrütteten Rechtsstaats deutet. Die Kampagne habe sich zwar als ein effektives Mittel erwiesen, sexuellen Missbrauch auch da zu thematisieren, wo er nicht justitiabel sei. Allerdings sieht Atwood die Gefahr, dass aus Beschuldigungen Urteile werden und aus Verdacht falsche Gewissheit. Die Profiteure eines zerfallenen Rechtsstaats würden nicht die Feministinnen sein, sondern Extremisten von rechts oder von links. »The Handmaid’s Tale« lässt sich vor diesem Hintergrund als Warnung nicht nur vor ­einer neuen rechten Konjunktur, sondern allgemeiner vor staatlicher oder kollektiver Bevormundung verstehen und als Mahnung, dass indi­viduelle Freiheit und Menschenrechte vor großen Ideen bisweilen in Schutz genommen werden müssen.

Das totalitäre Gilead vermag Freundschaften und Momente der Solidarität nicht gänzlich zu unterbinden. Meist bleiben letztere zwar auf kleine Gesten oder spontane ­Hilfestellungen beschränkt. Am Ende der ersten Staffel verweigern sich die Handmaids allerdings kollektiv der Weisung von Aunt Lydia. Diese hatte sie erneut auf den Appellplatz bestellt und von ihnen verlangt, eine andere Handmaid zu steinigen, weil diese ihr Kind entführt habe und damit drohte, sich und dem Kind das Leben zu nehmen. Die schwangere Offred stellt sich schützend vor ihre Leidensgenossin. Damit wird sie zur Anführerin der Handmaids.

Die erste Staffel endet damit, dass Offred abgeführt wird. Sie lässt, der Buchvorlage folgend, ihr Schicksal offen. Das Nachwort des Buchs besteht aus dem Vortrag eines Professors für Gilead-Studien auf einer Konferenz, die etwa 200 Jahre nach dem Ende Gileads stattfindet. Der Vortragende zeigt sich gegenüber den Gräueltaten Gileads akademisch distanziert und wertneutral, geradezu zynisch. Die Geschichte wird nicht mehr aus der Perspektive Offreds ­erzählt, sondern es wird über sie berichtet. Ihr Protokoll des Leidens ist zum Forschungsobjekt des Professors geworden. Ende April läuft die ­zweite Staffel in den USA an. Sie beginnt da, wo das Buch aufhört.