Der sogenannte islamische Feminismus propagiert die »gefühlte Gleichheit« der Geschlechter

Schweigende Exegese

Der sogenannte islamische Feminismus bemüht sich um eine alternative Koranexegese und sucht in der Schrift nach Passagen, die die Ebenbürtigkeit von Frau und Mann im Islam belegen sollen. Über die realen, für Frauen bitteren Zustände in islamisch geprägten Ländern schweigt er sich aus, während er »westlichen Feminismus« angreift.

Den Feminismus gibt es nicht. Was man darunter verstehen kann, ist not­wendigerweise abhängig von wechselnden politischen und gesellschaft­lichen Konstellationen. Genausowenig gibt es den Islam, denn auch der Koran kann abhängig vom gesellschaftlichen Kontext unterschied­lich interpretiert werden. Das zeigt etwa der Fall der Frauenrechtlerin und Imamin Seyran Ateş, die in Berlin eine liberale Moschee gründete, in der Frauen und Männer zusammen beten können (Jungle World 26/2017). Dass um Interpretationen teilweise erbittert gekämpft wird, beweisen die zahlreichen Morddrohungen, die das LKA dazu veranlassten, Ateş rund um die Uhr zu schützen.

In der erhitzten Debatte über Frauen im Islam erregt der Begriff des »islamischen Feminismus« besondere Aufmerksamkeit. Auch er bleibt sicherlich umkämpft; vorerst hat Lana Sirri, Juniorprofessorin für Gender und Religion an der Universität Maas­tricht, allerdings einen Versuch seiner Bestimmung unternommen. Ihr Buch »Einführung in islamische Feminismen« erschien vergangenes Jahr.

Sirri hat Gender Studies in Berlin studiert und fiel schon unangenehm als Unterstützerin der gegen Israel gerichteten BDS-Kampagne auf. Ihre Vorträge zum islamischen Feminismus versammeln regelmäßig nicken­de Anhängerinnen, die sich darüber einig sind, dass der »westliche Feminismus« eine Zumutung für alle Musliminnen sei, gerade da, wo er die Aufgabe »indigener Praktiken« einfordere.

Das Vorwort des Bandes, verfasst von Kübra Gümüsay, verweist auf eine doppelte Frontstellung: Auf der einen Seite soll der Islam gegen den »weißen, westlichen« Feminismus verteidigt werden, auf der anderen eine eigene Koranexegese gegen das muslimische Patriarchat entwickelt werden.

Diese Exegese besteht für Sirri etwa darin, auf die starken Frauen­figuren hinzuweisen, die der Koran kennt, Frauen, die kluge Ratschläge geben oder die Handlungen des ­Propheten interpretieren. Ziel ist es, zu zeigen, dass es im Koran »um geschlechtliche Gerechtigkeit für alle« geht. Die Einführung, mit der Sirri beansprucht, das Feld des islamischen Feminismus abzustecken, lässt aber eigentümlich diffus, was Gerechtigkeit in diesem Kontext genau heißt. Die Konfrontation mit realen Widersprüchen und sozialen Herrschaftsverhältnissen wird vermieden, das Patriarchat kaum adressiert. Am Anfang von Sirris Einführung heißt es, es gehe darum, »Widerstand zu leisten gegen die islamische Tradition, die Unterschiede zwischen Frauen und Männern naturalisiert und es­sen­tialisiert«. Zugleich werden aber Kleidervorschriften verteidigt, die auf eben jener Naturalisierung der Geschlechterunterschiede beruhen. Anekdotisch wird darauf verwiesen, wie groß das Staunen im Westen darüber gewesen sei, dass es in Afghanis­tan Frauen gab, die auch nach dem Sturz der Taliban-Regierung nicht ihre Burka ablegen wollten. Die Burka wird so nicht als Symbol der Unterwerfung unter das patriarchale islamische Sittengesetz verstanden,
sondern als Widerstandssymbol.

Diese und andere Stellen im Buch werfen die Frage auf, wie sich das hier untergründig propagierte Frauenbild in der Sache von einem immer noch patriarchalen, aber irgendwie doch modernen Bild der islamischen Frau unterscheidet, wie es beispielsweise im Iran leitend ist. Wie die Exil-Iranerin Fathiyeh Naghibza­deh in einem Aufsatz rekons­truiert, wird das traditionelle islamische Ver­ständnis der Frau hier bereits in den siebziger Jahren von dem Bild der islamischen Frau abgelöst, die nicht in einer traditionellen Familienrolle aufgeht, sondern eine öffentliche Funktion wahrnehmen darf. Das gilt freilich nur, insofern sie dem »Weg Gottes« folgt und als Mitkämpferin des islamischen Mannes für den Islam eintritt. Naghibzadeh verweist auch darauf, dass diese neue Rolle verknüpft ist mit einer Gleichheit vor Gott, nicht aber vor dem Gesetz. Dieser Verweis auf die eigentliche Gleichheit von Mann und Frau vor Gott taucht prominent auch bei Sirri auf: Die Koranexegese der islamischen Feministinnen besagt, dass Mann und Frau aus einer Seele geschaffen worden seien. Was aus dieser Gleichheit folgt und was nicht, wird indes nicht angesprochen.

Insgesamt liegt der Fokus der Einführung also weniger auf der Realisierung oder Sicherung dieser Gleich­heit, als vielmehr darauf, Freiheit in dem zu suchen, was nicht verboten ist. Das zeigt sich auch, wenn Sirri triumphierend erklärt, lesbische und schwule Muslime könnten sich nun gestärkt durch die Kritik islamischer Feministinnen wieder dem Koran zuwenden. Analverkehr würde zwar »eindeutig behandelt«, aber mit­-tels einer Exegese, die sich auf das »Schwei­gen – auf das, was der Koran nicht sagt« richtet, werde sichtbar, dass sexuelle Handlungen zwischen Frauen oder Homosexualität ohne Penetration gar keine Erwähnung fin­den, demnach also auch nicht ver­boten seien. Einer ähnlichen Logik des Entbergens folgen die Interviews am Ende des Bandes. Die Personen, die dort sprechen, assoziieren ihre muslimische Identität zwar zunächst mit verschiedenen Verboten (kein Sport, kein Schwimm­unterricht, kein Schweinefleisch), berichten aber letztlich alle von einer »Freiheit durch Religion« und wie »schön«, ja sogar »wunderschön«, fast »magisch« die Zugehörigkeit zum Islam sei.

Hintergründig wirkt hier immer das Heilsversprechen von und die Sehnsucht nach einer widerspruchsfreien Gemeinschaft, in der eigentlich alle gleich sind. Die religiöse Iden­tität bildet dazu das nicht verhandelbare Fundament. Sie wird je nach Bedarf mal als quasi-naturhaft, mal als radikal offene Form beschrieben. Bei­spielsweise können sich nach der Meinung von Sirris Interviewpartnerinnen alle mit dem Islam identifizieren, die »atheistisch, religiös, kulturell sozialisiert oder gläubig sind«. Zugleich wird der Islam aber nicht als Teil einer veränderbaren kulturel­len Welt begriffen, sondern als etwas, das man als Individuum nicht wählt und wozu man sich auch nicht verhalten kann. Muslimisch zu sein, wird als ein Merkmal interpretiert, zu dem sich das Individuum nicht kritisch in Bezug setzen kann und das auch nicht kritisiert werden darf.

Hierin gründet auch der queer­feministische Schulterschluss von schwarzem und islamischem Fe­minismus in Opposition zum »westlichen« Feminismus. Die ­Behauptung, die dieser Allianz zugrunde liegt, lautet: Religion ist nicht Teil von Kultur, sondern ein unveränderbares Merkmal wie die Pigmentierung der Haut. Wenn Sirri also erklärt, dass aus der Perspektive des islamischen Feminismus Menschen in einem existentiellen, körperlichen Sinne eins mit ihrer Religion seien, läuft das darauf hinaus, dass jede Kritik an Religion automatisch Personen trifft und persönlich wird. Sie führt aus, dass deswegen viele Musliminnen Karikaturen und Satire über den Propheten als eine Beleidigung ihrer selbst empfänden.

Diese Form der vollen Identifizierung sieht der islamische Feminismus laut Sirri keineswegs kritisch, sondern er protegiert sie. Und das sollte doch zumindest all jenen problematisch erscheinen, die die ­Möglichkeit von Religionskritik in allen ihren Formen verteidigen wollen. Es zeigt einen wesentlichen Konflikt zwischen Aufklärung und Re­ligion auf, wenn letztere nicht auf Grundlage der ersteren kritisiert werden darf. Das gilt für den Islam wie für jede andere Religion. Wer kulturelle oder religiöse Werte als quasi-essentielle Eigenschaften ­behauptet, um sie gegen Kritik zu immunisieren, kann kein Demokrat sein.

Dass das doch ziemlich bemerkens­werte Projekt von Ateş in Sirris Buch keinerlei Erwähnung findet, bestärkt weiter den Eindruck, dass es dem Feminismus, den Sirri hier vorstellt, we­niger um einen politischen Kampf geht, sondern um die Setzung einer nur gefühlten Gleichheit. Sirri schafft es entsprechend auch, nicht ein einziges Mal über Regime in islamischen Ländern zu sprechen, die Homosexuelle steinigen, foltern und mit dem Tod bestrafen, führt aber einen eigenen Unterpunkt auf, um Israels Homo­sexuellenfeindlichkeit daran festzumachen, dass ein Fanatiker auf der Gay-Pride-Parade in Tel Aviv eine tödliche Attacke verübte. Dass so eine Parade überall sonst im Nahen Osten undenkbar wäre und Israel der einzige Staat in der Region ist, der LGBTQI umfassende Rechte gewährt, ist anscheinend irrelevant. Für einige Men­schen bedeutet aber genau das einen Unterschied zwischen Leben und Tod. Oder, um mit einem Wort von Fathiyeh Naghibzadeh zu schließen: Freiheit ist keine Metapher.