Nach dem Generationswechsel an der Regierungsspitze fordern viele Menschen in Kuba baldige Reformen

Die Reform nach der Revolution

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Es wächst nicht recht

An den Verhältnissen in Kuba habe sich trotz Auswanderung kaum etwas geändert, ärgert sich Alexander Oriel Martínez, der in einer staatlichen Kultureinrichtung arbeitet. Vor ein paar Wochen wurden ihm und den Kollegen der Internetzugang und die Klima­anlage gestrichen. »Wie soll ich denn so arbeiten?« fragt der 40jährige und macht eine wegwerfende Handbewegung. Um Beschäftigte wie ihn zu halten, sind bessere Arbeitsbedingungen sowie Lohnerhöhungen nötig. Dafür bräuchte Kuba ­allerdings Wachstumsquoten von vier bis sechs Prozent und die überfällige Währungsreform, argumentieren Vidal und andere Ökonomen. Erst dann würde sich ökonomischer Erfolg einstellen, weil der Staat wirklich investieren könnte.
An Investitionen fehlt es in Kuba oft, nicht so sehr im Privatsektor, wohl aber im öffentlichen Sektor, so dass wenig Neues entsteht. 2017 gingen die Exporteinnahmen um rund 500 Millionen US-Dollar zurück – das Geld fehlte in der Staatskasse. Um zu sparen, wurde oft auf neue Investitionen verzichtet. Das kommt häufiger vor, weil die Wirtschaft nicht wie geplant wächst, im Zuckerrohrsektor genauso wenig wie bei der Produktion von Zitrusfrüchten oder in der Pharmazie. »In Kuba wächst nur der Privatsektor und der Marabú«, lautet ein bissiger Kommentar, der in den Straßen Havannas zu hören ist. Der Marabú ist ein dorniges Gestrüpp, das sich auf Ackerflächen breit macht, die nicht bestellt werden.

Bei einer Überlandbusfahrt bekommt man den Fluch der kubanischen Landwirtschaft schnell zu sehen. Rund 50 Prozent der Ackerfläche Kubas, fast drei Millionen Hektar, lagen zwischenzeitlich brach und boten dem Marabú optimale Wachstumsbedingungen. Seit 2008 versucht die Regierung, dem entgegenzuwirken. Damals entschied die Regierung von Raúl Castro, staatliches Land an Privat- und Neubauern zur Nutzung weiterzugeben. Damit hoffte man, sowohl die äußerst hohen Lebensmittelimporte zu verringern als auch den Marabú zurückzudrängen. Der Erfolg ist bislang mäßig.

Das habe seine Gründe, so der Ökonom Morales: »Uns fehlt ein eigenes kubanisches Wirtschaftsmodell, das Erfahrungen auf der Insel, aber auch im Ausland wie in Vietnam oder China berücksichtigt.« Der überzeugte Anhänger der kubanischen Revolution ist einer, der sich nicht scheut, den Mund aufzumachen. Er kritisiert die steigende Korruption und arbeitet in einer Kommission mit, die sich gegen Rassismus in Kuba engagiert. »Wir haben eine stark zentralisierte und bürokratische Wirtschaft, die sich teilweise selbst im Weg steht«, analysiert er die Situation.

Für Morales ist es nicht nachvollziehbar, warum es immer noch keine privaten Consultingagenturen gibt, die private und staatliche Unternehmen beraten – in ökonomischen wie juristischen Fragen. Dadurch könnten, so der 75jährige, der mehrere Jahre in den USA lebte, Arbeitsplätze für Qualifizierte geschaffen werden.

Unter Druck

Doch die Signale gehen in die andere Richtung, denn obwohl der Parteitag von 2011 in seinen Leitlinien festgelegt hat, dass die Wirtschaft dezentralisiert werden soll, geschieht das Gegenteil. Immer mehr Unternehmen werden von Militärangehörigen gemanagt. So wurde 2010 das Handelsunternehmen CIMEX unter militärisches Management gestellt, gleiches gilt für den Hafen von Havanna und derzeit rund 29 000 Hotelbetten in Kuba – darunter seit 2016 auch die der Habaguanex-Gruppe aus der Altstadt Havannas. Zu Gaesa, so der Name der Holding unter der Kontrolle der Armee, gehören etwa 50 Unternehmen – Tendenz steigend. Dadurch habe, so der unabhängige Journalist Iván García, die Armee eine Scharnierfunktion in der kubanischen Wirtschaft. »Sie kontrolliert heute erhebliche Teile der Deviseneinkünfte, folgerichtig muss sich Díaz-Canel mit den Militärangehörigen arrangieren«, sagt García.

Dadurch ist der Spielraum des neuen Präsidenten nicht sonderlich groß. Díaz-Canel versprach, die Revolution werde fortgesetzt und eine Rückkehr zum Kapitalismus sei nicht vorgesehen. Doch die Jugend interessiert sich immer weniger für Wahlen und Politik, viele wollen mehr Freiräume, echte Perspektiven und auch bessere Produkte in den staatlichen Läden. Das erhöht den Reformdruck. Auch ältere Kubaner wie Ramón Silverio erwarten viel vom neuen Präsidenten: »Wir brauchen endlich die Währungsreform und vernünftige Löhne«, fordert der 69jährige Schauspieler, Theaterdirektor und Leiter des Kulturzentrums »El Mejunje« von Santa Clara. Im »Mejunje« war auch schon Díaz-Canel zu Gast. Vor über 20 Jahren unterstützte er als Sekretär des PCC Silverio beim Aufbau des Kulturzentrums. Als dialogbereiten, diskussionswilligen Mann hat Silverio ihn in Erinnerung, das könnte im anstehenden Reformprozess helfen.

»Für mich ist entscheidend, dass eine neue Generation übernimmt, die näher an der Bevölkerung dran ist und endlich den Mut für Reformen findet«, sagt der Handwerker Ardila Ortiz. Dann nimmt er einen letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse und geht zurück zu seiner Baustelle, wo der Kollege schon auf ihn wartet. Noch ein paar Stunden haben sie, um das Dach fertig einzudecken. Dann kommt der Besitzer zur Abnahme.