Karsten Rodemann, dem Betreiber des Videodrom, im Gespräch

Eine Auswahl, die sonst keiner hat

Der Off-Videothek Videodrom in Berlin-Kreuzberg droht aufgrund von niedrigen Verleihzahlen und steigender Miete das Aus. Ihr Betreiber Karsten Rodemann, auch bekannt als Graf Haufen, spricht über die Geschichte des Ladens, über neue Angebote wie Streamingdienste und die Notwendigkeit, Filmkunst zugänglich zu machen.
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Um 1984 hatte sich die VHS-Kassette als Standard in Haushalten gegen Betamax und S-VHS durchgesetzt. Wie sah der Videomarkt der frühen Achtziger aus?
Damals hatten die großen Produktionsfirmen und Verleiher noch Angst vor der Videotechnik und sahen im Heimvideomarkt große Konkurrenz zum Kino. Dementsprechend wurde Video erstmal ein Tummelplatz für Pornographie und Amateurfilm.

Dank günstiger Lizenzen waren auch B-Movies, europäische Action- und Kriegsfilme billig auf VHS zu haben und wurden zuhauf von Videothekenbetreibern gekauft. Haushaltswarengeschäfte oder Fotoläden hatten Regalecken mit Videos, die sie als Nebenerwerb verliehen. Die Nachfrage nach A-Ware stieg stetig. Als 1985 der Kopierschutz für VHS-Kassetten kam, trauten sich Majors wie Warner Bros., Fox oder Universal auch mit jüngeren Produktionen in die Videonische. Allmählich näherten sich Kino- und Videoveröffentlichungen einander an.

1984 habt ihr in der Zossener Straße in Kreuzberg das Videodrom eröffnet. Warum?
Das Videodrom entstand aus der Notwendigkeit heraus, neben all jenen, die nur am Wachstumsfaktor VHS Interesse hatten, als Filmliebhaber eine Basis für gelebte Filmkultur zu schaffen. Das Gros der Betreiber kaufte, was Händler anboten. Unser Ansatz war dagegen, kuratorisch zu arbeiten und eine Auswahl zu bieten, die sonst keiner hat.

Was habt ihr damals angeboten? Waren Pornos dabei?
Nein. Bis auf zwei, drei filmhistorisch wichtige Werke war Porno nie Thema. Wir hatten vier Grundpfeiler. Wichtig waren uns Originalfassungen. Das war hart, weil es auf dem deutschen Videomarkt nur Synchronfassungen gab und wir im Ausland suchen mussten. Dann folgten zweitens Kunst- und Experimentalfilme, drittens – dank MTV enorm gefragt – Musikvideos und viertens Arthouse- und Independentfilme.
Mit mir kam das Paracinema noch ins Videodrom: Horror und Splatter, Blacksploitation, Sexploitation, aber auch trashige Science-Fiction aus den frühen Sechzigern.

Wer sprang auf dieses Programm an? Wie sah die Westberliner Filmszene, sprich das Publikum des Videodroms damals aus?
Es waren viele kaputte Leute unterwegs. Künstler, Filmemacher, Musiker: In den ganz frühen Jahren waren die Einstürzenden Neubauten Kunden bei uns, Die Ärzte – damals noch Soilent Grün – und zwischendurch war auch Christiane F. mal hier. Der Mitbegründer vom Risiko, einer Undergroundkneipe in Schöneberg, hat bei uns die aktuellen Filme auf dem Fernseher über dem Tresen geguckt und dabei sein Bier getrunken, bevor er zur Arbeit in die Bar ging.

Als 1999 eine Razzia bei euch durchgeführt wurde, weil ihr Videos hattet, die auf dem Index standen, verplombte die Staatsanwaltschaft euren Laden. Ihr habt euch offensiv gewehrt und seid an die Presse gegangen. Christoph Schlingensief machte ein Statement auf Viva 2, Jörg Buttgereit – damals wie heute – stellte sich euch zur Seite.
Ja, sogar Volker Schlöndorff schickte Faxe zur Causa. In den USA beschlagnahmten Behörden »Die Blechtrommel« wegen Verdacht der Kinder­pornographie, er regte sich auf und fragte, warum deutsche Staatsanwälte dergleichen plötzlich auch machen. Der Widerstand war nötig. Die Stimmung gegen uns war aggressiv. Ein Staatsanwalt drohte, er sorge dafür, dass ich nie wieder geschäftlich einen Fuß auf den Boden bekäme. Das Videodrom fuhr wie ein D-Zug gegen die Wand: Der Umsatz von drei Wochen blieb aus, die Bank forderte den Kredit zurück. Die Behörden warfen uns Jugendgefährdung vor und stützen sich auf unseren Horrorschwerpunkt, den wir mal hatten, wobei wir längst mit angesehener Filmkultur unser Geld verdienten. Zur selben Zeit hatten wir mit unserem Bestand großen Anteil am Aufbau der deutschen Animeszene, die mit Jugendgefährdung ja rein gar nichts zu tun hatte.

Kürzlich verglich Buttgereit eure Arbeit mit der einer Staatsbibliothek und bat um ebensolche Würdigung und Förderung. Buttgereit war mal Vorführer im Xenon-­Kino. Wie habt ihr euch kennengelernt?
Jörg hat im Videodrom eine Szene für »Todesking« gedreht, wo ich auch als innocent bystander im Hintergrund rumstehe. Es war eine enge Verzahnung vieler Aktivitäten, die uns zusammenbrachte. Die Vorführer hingen bei uns ab, wir Videodrom-Leute hingen im Xenon oder Eiszeit-Kino rum. Letzteres ist ja aus einer Hausbesetzung heraus entstanden. Ich hatte das Filmmagazin »Splatting Image« mitgeleitet und wir haben dort unsere Filmnächte veranstaltet.