»Jardin du Boeuf«: Das neue Album von Les Trucs

Im Fleischgarten

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Mit dem neuen Körper beginnen neue Hoffnungen, ein wildes und ­gefährlich schönes Leben scheint jetzt möglich. Doch der Transformierte ist nicht der einzige, der die Veränderung bemerkt, das ist das Thema, das Les Trucs in dem Stück »Harmoniah« bearbeiten. Denn auch andere kriegen die Verwandlung mit, tatsächlich besteht die ganze Gesellschaft darauf, das Künstler-Monster auf Biegen und Brechen in die so­genannten geregelten Bahnen zurückzuschubsen. Ihre Forderung lautet: »Sitze aufrecht«. Pragmatisch soll es werden und seine Kraft nicht an falschen Stellen verschwenden: »Lass alles los / was du nicht brauchst«.

Du sollst nicht die Gesellschaft kritisieren, wenn es privat und beruflich bei dir nicht optimal läuft.

Denn »Es liegt an dir, dich gut zu fühlen«. Den sarkastischen Satz unterlegen Les Trucs mit Electronic Body Music. Der Zumutung, das einzusehen, lässt sich überall begegnen, man kann auch in einer Diskothek dazu die Hüften schwingen, und wer dort tanzt, übt damit womöglich schon den Gleichschritt ein. Wer lebt, läuft auf jeden Fall Gefahr, von einer Bass Drum namens Alltag zerstampft zu werden. »Harmoniah« steht bei Les Trucs entsprechend für strukturelle Gewalt, die mit sich im Reinen ist. Simon und Piel verpassen der dazugehörigen Musik einen hymnischen Donnergroove, als würden sie nicht nur Mary Shelley, sondern auch Frankie Goes to Hollywood ins Heute übersetzen wollen.

In dem Lied »Langsam wurde er Textil«, dessen Titel schon den kompletten Inhalt des Texts enthält, und dessen Musik wie ein Soundtrack für einen der dystopischen Filme von John Carpenter klingt, ist Gesellschaft schließlich die Kleidung, die nicht auf der Haut haltmacht, sondern sich zum Körperinneren durchfrisst. Kleider fressen Leute. Alle Menschen, denen auf diese Weise zugesetzt wird, heißen mit zweitem Vornamen so wie der Schauspieler, in dessen Fleischgarten sich Ridley Scotts Alien 1979 zur eigenen Neuerschaffung eingenistet hatte, und der die Beschädigtheit und seine Verletzung schon im Namen trug: John Hurt. Das »Bauchgefühl«, von dem Les Trucs dazu singen, bezeichnet den entsetzlichen Schmerz, der entsteht, wenn sich das Alien von innen durch die Bauchdecke nach außen frisst. Das Künstler-Monster bringt sich selbst zur Welt. Das ist der selbstbewusste Ansatz von Les Trucs, nach zehn Jahren Zusammenarbeit, nach vielen Kompositionen für Filme, Theaterstücke und zu etlichen weiteren Anlässen.

Les Trucs komponieren funkige Eckigkeit, sie stehen kühl und glamourös neben sich, und wissen, dass der Mensch aus Dissonanzen gebaut ist: »Es gibt keinen Einklang, mit dem, was du bist« besingt Simon dieses akustische Selbstverständnis. Das hört sich nicht wie die Sehnsucht nach Schönklang an, sondern wie die eindrucksvolle Forderung, sich selbst fremd zu bleiben. Und falls ihren Hörern etwas fehlen sollte, bieten Les Trucs eine coole Lösung an: »Ich appliziere, was du vermisst«. Das weckt viel Sympathie, und störrisch dazu tanzen lässt es sich auch.

 

Les Trucs: Jardin du Boeuf (Zeitstrafe)