Die israelische Gesellschaft lebt von der kulturellen und ethnischen Vielfalt

Das Gegenteil von Projektion

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Meine Familie und ich leben 100 Meter von der ultraorthodoxen Stadt Bnei Brak entfernt, der Stadt mit der weltweit sechsthöchsten Bevölkerungsdichte, in der nur ultraorthodoxe Juden wohnen. Hier werden außer orthodoxen Zeitungen keine Presseerzeugnisse verkauft und am Sabbat die Zufahrtsstraßen verbarrikadiert.

Wenn die Feinde Israels schlau wären, so ein Witz hier, würden sie Israel einfach zwei Jahre lang in Ruhe lassen. Tatsächlich schafft die äußere Gefahr Zusammenhalt. Ein Mensch meines ­Alters, der in Israel geboren und aufgewachsen ist, hat zwei Libanon-Kriege, Scud-Raketen aus dem Irak, zwei Intifadas und drei militärische Auseinandersetzungen mit der Hamas in Gaza erlebt. Die Schule meiner Tochter ist umzäunt und wird von einem bewaffneten Wachmann geschützt. Als sie im Kindergarten war, erlebte sie Raketenangriffe mit. Ich sehe die jungen Menschen in meiner Nachbarschaft nach der Schule zur Armee gehen und für Militäroperationen eingezogen werden.

Die einzigen meiner Freunde, die Kontakt zu Palästinensern haben, sind Siedler. Rabbi Hanan ist vom jüdischen Anspruch auf das biblische Kernland der Juden überzeugt. Gleichzeitig ist er überzeugt, dass sich seine palästinen­sischen Nachbarn so sehr an das Land klammern wie er. Mit dem Palästinenser Ali arrangiert Rabbi Hanan Treffen zwischen Siedlern und Palästinensern, um Ängste auf beiden Seiten abzubauen.

Zameret ist im Grenzgebiet zum Gaza-Streifen aufgewachsen und erinnert sich an die guten Beziehungen zwischen Juden und Palästinensern bis zur ersten Intifada. Sie gehörte zu den Befürwortern des Abzugs aus Gaza im Jahr 2005 und erlebte das Scheitern von »Land für Frieden«. Das Haus ihrer Nachbarn wurde von einer Rakete aus Gaza getroffen. Omer lebt seit 1967 auf dem Golan an der israelisch-syrischen Grenze. Seine Tochter war das erste ­israelische Kind, das auf den Golan-Höhen geboren wurde. Seit fünf Jahren hört Omer den Kriegslärm aus dem Nachbarland und bekommt mit, wie sich iranische Milizionäre der Grenze nähern. Er fühlt sich sicher, weil er an die militärische Überlegenheit der ­israelischen Streitkräfte glaubt.
Jonathan ist Christ aus dem Libanon und musste als Sohn eines Befehls­habers der südlibanesischen Armee vor der Hizbollah nach Israel fliehen. Er ist Sprecher des christlichen Rekrutierungsforums, das die Zahl christlicher Rekruten in der IDF in den letzten fünf Jahren vervielfachen konnte.

Ich durfte Sara Zoabi kennenlernen, eine kopftuchtragende Muslimin und israelische Patriotin, die gegen die Boykottkampagne BDS kämpft. Sara, die im Ramadan fastet, ist eine unbedingte Fürsprecherin des demokratischen Rechtsstaats Israel. Sie und andere zionistische Araber werden vor allem von rechten Israelis unterstützt, während ihnen von Seiten linker Israelis viel Misstrauen entgegenschlägt. Von vielen Muslimen bekommt sie Morddrohungen, von vielen aber auch Zuspruch.
Die multikulturelle und multiethnische Vielfalt macht es unmöglich, die ­Israelis zu bestimmen. Israel ist das Gegenteil jeder Projektion einer homo­genen Gesellschaft, als die es vor allem Gegner, aber auch unreflektierte Sympathisanten darstellen.