Die Selbstinszenierung von sogenannten islamischen Feministinnen

Die Regression »reclaimen«

Warum die Selbstinszenierung von sogenannten islamischen Feministinnen, insbesondere ihr positiver Bezug auf das Kopftuch, kein Angriff auf die herrschenden Verhältnisse ist.

Seit seinem Aufkommen in den neunziger Jahren wird der universitäre Genderfeminismus Butler’scher Prägung mit identitätskritischen Posi­tionen in Verbindung gebracht. Diese Vorstellung hält sich hartnäckig, ist aber irrig. Denn tatsächlich ist im akademischen wie im aktivistischen ­Milieu längst eine identitäre Wende eingetreten, die mit besonderem Nachdruck vom Queerfeminismus vertreten wird. Er ist ein jüngeres Phänomen, dessen Protagonistinnen vorwiegend durch das Internet sozialisiert wurden und auch bevorzugt dort auftreten. Während die Erste und die Zweite Frauenbewegung einst die historische Wandelbarkeit der Beziehungen zwischen Männern und Frauen betont hatten, um der an­geblichen weiblichen Minderwertigkeit den vermeintlich natürlichen Charakter zu bestreiten, befassen sich die vorgenannten Strömungen schon gar nicht mehr mit der Vergangenheit. Der vorgetäuschte ­Rekurs auf Geschichte dient heute vorrangig einer grobschlächtigen Selbstlegitimation, um sich als spätes Opfer des »Patriarchats« oder des »Kolonialismus« zu imaginieren – Begriffe, die zwar grell wirken, in der Regel inhaltlich jedoch blass bleiben, weil sie selten definiert werden. Primär interessiert stattdessen die zumeist mit deutlich besserwisserischerer Attitüde vorgetragene eigene Erfahrung, was Selbst- und Fremdzuschreibungen anbelangt. Letztere werden bisweilen noch dann als ­»gewaltsam« dramatisiert, wenn es sich um stupide, aber beiläufige ­Bemerkungen, um Werbung oder um sonstige Zumutungen des Alltags handelt. Zugleich werden kulturelle Attribute zu unveräußerlichen ­Wesensmerkmalen erklärt, die einer besonderen Rücksicht und des Schutzes bedürften.

Weit vorne liegt dabei das Aufwerten des islamischen Glaubens als Einspruchsinstanz gegen die west­liche Welt oder die »Dominanz­kultur«. Die Vehemenz, mit der gender- und queerfeministische Kreise seit längerem eine Vereinbarkeit von Religiosität und Frauenemanzipation behaupten, ist auffällig. Denn der ­sogenannte »islamische Feminismus« generiert sein Selbstbild, das in der Regel als politisch dringlicher und längst überfälliger Akt präsentiert wird, vor allem aus dem Wunsch, sich von anderen Frauen absetzen zu wollen. Diese in alle Richtungen hin als subversiv vermarktete Identität wird weder gegen als liberale geltende, das Kopftuch allerdings für obligatorisch erklärende Gemeinden wie die Ahmadiyya gewendet, noch gegen die konservativen Islamverbände oder gegen das salafistische Lager. Adressaten des Einspruchs sind vielmehr andere Feministinnen. Es handelt sich deshalb in weiten Teilen um eine Frage der Distinktion. Man will abrechnen mit vorherigen Generationen von Frauenrechtlerinnen, und nicht eine Kritik an Zwangssystemen üben, die nicht ohne Grund unerwähnt bleiben.

Um zu verstehen, weshalb sich der Genderfeminismus und der Queer­feminismus derzeit so ahistorisch und positiv auf den Islam beziehen, ist vor allem daran zu erinnern, dass sich die bundesdeutsche Frauenbewegung Ende der siebziger Jahre umgehend alarmiert gezeigt hatte, als der politische Umsturz mit der Revolution im Iran religiös wurde. Dass zu den ersten Leidtragenden dieser Entwicklung Frauen zählten und die Aus­wirkungen des regionalen Ereignisses eines Tages auch die westliche Welt erfassen werde, darin waren sich die Emma, Courage wie die Schwarze ­Botin einig. Dass die drei Zeitschriften, die ein bürgerliches, ein eher linkes sowie ein elitär-avantgardistisches Publikum an Leserinnen ansprachen, in diesem Punkt übereinstimmten, bezeugt, dass sie bei allen Differenzen am universellen Gedanken der Frauenemanzipation festhielten. Die Journale übten eine schonungs­lose Kritik an dehumanisierender Bevormundung, die heute schlicht ­undenkbar wäre. 1978 berichtete etwa eine Courage-Autorin von einer Reise in den Nordjemen: »Frauen habe ich nicht gesehen, oder doch: gesichtslos aufrecht, körperlos, von Kopf bis Fuß in Schwarz verhüllt, Gesichter mit schwarzen Schleiern ­verdeckt. Ein seltenes, kontrastreiches Bild bedrückt mich am meisten: ein modern europäisch gekleideter Jemenite führt eines dieser gespenstischen Kleiderbündel an der Hand.« Mit dem Genderparadigma ging ein Perspektivwechsel einher, der solche Bemerkungen innerhalb weniger Jahrzehnte geradezu unaussprechbar werden ließ.