Ein Besuch beim gemischtgeschlechtlichen Bataillon »Caracal« der israelischen Armee in der Wüste Negev

Frauen an die Front

Seit der Staatsgründung leisten die meisten säkular eingestellten jüdischen Frauen in Israel ihren Wehrdienst. Seit der Gesetzesänderung im Jahre 2000 gibt es auch immer mehr Frauen in Kaderpositionen und Kampfeinheiten. Das Bataillon »Caracal« in der Wüste Negev ist eine der drei kämpfenden Infanterieeinheiten, in denen Männer und Frauen gemeinsam dienen.
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Hell scheint der Vollmond über die Wüste im südwestlichen Teil Israels. Plötzlich erscheinen zwischen den Sanddünen des Negev die ersten Soldatinnen und Soldaten des Bataillons »Caracal«. Sie kommen gerade von einem anstrengenden Nachtmarsch zu ihrer Basis zurück. Ihre Truppe gehört neben den Bataillonen »Löwen des Jordan« und »Gepard« zu den drei gemischtgeschlechtlichen Infanterieeinheiten der israelischen Armee (IDF). Der Frauen­anteil bei Caracal beträgt sogar über 70 Prozent.

»Los, los Soldaten,« ruft die 20jährige Offizierin Liora* ihnen hinterher. »Noch einige Meter und wir haben es geschafft.« Sie befehligt eine der vier Kompanien von Caracal, am Ende der viermonatigen Grundausbildung überreicht sie jedem und jeder persönlich das Abzeichen der Einheit. »Es ist wichtig zu beweisen, dass es keinen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gibt«, sagt Liora. Sie kommt aus Tel Aviv und war vor einigen Jahren israelische Jugendmeisterin im Surfen. Als Zweijährige war sie mit ihrer gesamten Familie aus Südafrika nach Israel eingewandert.

»Viele Soldatinnen sind in manchen Bereichen zäher und sogar oft physisch stärker als ihre männlichen Kameraden.« Liora*, Offizierin des Bataillons Caracal

Während ihre Soldatinnen und Soldaten völlig erschöpft wieder zu ihren Unterkünften in der Kaserne gehen, die für Frauen und Männer getrennt sind, erzählt die Offizierin, dass sie bei ihrem Bataillon die gleichen Auf­gaben zu erledigen habe wie ihre Kollegen bei der bekannten Golani-Brigade, die im Norden Israels stationiert ist: »Wir kümmern uns um die Soldaten, bereiten sie auf die Kurse und den Kampf vor, sorgen dafür, dass sie sicher nach Hause kommen und auch dafür, dass alles Logistische erledigt wird.« Stolz erzählt sie: »Frauen haben in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt, dass sie bei den Kampfeinheiten zu den besten Soldaten gehören. Viele sind in manchen Bereichen zäher und sogar oft physisch stärker als ihre männlichen Kameraden. Wenn wir von Caracal eine Mission bekommen, dann wird sie zu 100 Prozent erfüllt.«

Das Bataillon »Caracal« wurde nach der gleichnamigen Wildkatze benannt, bei denen sich die Geschlechtsteile von Männchen und Weibchen auf den ­ersten Blick sehr ähneln. Die der Nahal-Brigade unterstellte Infanterieeinheit wurde im Jahr 2000 gegründet, um ­Israels Grenze zu Ägypten zu schützen und gegen Drogenschmuggler und ­Terroristen vorzugehen. »Es ist eine wunderschöne Region hier am Rande zum Sinai«, sagt Liora. Aber es sei ein ­gefährliches Operationsgebiet, da es neben dem Grenzgebiet zu Ägypten auch den Gaza-Streifen mit einschließe.

Das Bataillon Caracal hat sich seit seiner Gründung als sehr effektiv erwiesen und konnte etliche Terror­anschläge vereiteln. Vor allem seit Israels Abzug aus dem Gaza-Streifen im Jahr 2005, der dann zwei Jahre später von der islamistischen Hamas übernommen wurde, war die Einheit immer wieder in von der Terrororganisation provozierte Grenzzwischenfälle verwickelt.

Gleichberechtigt kämpfen

Viele Gruppen in Israel lehnen den Wehrdienst für die gerade erst volljährigen Frauen jedoch ab, etwa die linksliberale »Koalition von Frauen für den Frieden,« die nicht nur gegen die israelische Politik in »Judäa und Samaria« (Westjordanland) protestiert, sondern auch gegen den patriarchalen Militarismus. Auch der Großteil der ultra­orthodoxen Juden lehnt die IDF ab, obwohl auch sie von dieser Armee ­beschützt werden. Einige radikale Rabbiner haben ihren Schülern den Wehrdienst in der IDF gar verboten.

»Wir sind alle sehr professionell und effektiv geschult, wenn es darauf ­ankommt«, erklärt Oberleutnant Yaniv*. Er ist 20 Jahre alt, kommt aus Haifa und hat kein Problem damit, gemeinsam mit Frauen in einer Kompanie zu dienen. Auch dass eine Frau seine Vorgesetzte ist, nimmt er ganz locker. »Die Ausbildung ist für alle sehr hart. Die Medien oder alle möglichen Rabbiner können gern hierherkommen und sehen, was die Truppe – egal ob Jungen oder Mädchen – gemeinsam im Feld leistet«, sagt der stellvertretende Bataillonskommandeur.

Dem pflichtet auch die 19jährige Stav* bei. Bei den Übungen zeichnete sie sich als beste Maschinengewehrschützin aus und übt diese Funktion nun aus. Dank der guten Kameradschaft und des Zusammengehörigkeitsgefühls sieht sie ebenfalls keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern bei ­Caracal. »Ich komme aus dem Kibbuz Lochamej HaGeta’ot, der im Norden des Landes von ehemaligen jüdischen Ghetto- und Partisanenkämpfern ­gegründet wurde«, erzählt sie. »Jetzt bin auch ich schon fast ein Jahr lang eine Kämpferin. Ich habe meinen Wehrdienst verlängert, weil ich das Gefühl habe, etwas beitragen zu können. Hier fand ich meine Stärke. Auch wenn es nicht einfach ist, man gewöhnt sich daran und es wird langsam zur Routine.«

Obwohl die Wehrpflicht in Israel für Männer wie Frauen gilt, wurden Frauen nach dem Ende des israelischen Un­abhängigkeitskriegs 1949 vorwiegend als Sekretärinnen, Ausbilderinnen oder Telefonistinnen eingesetzt, auch wenn einige beim Militärgeheimdienst dienten. Rechtlich sind die Geschlechter in der Armee jedoch gleichgestellt, so dass Frauen der Dienst mittlerweile in fast allen Teilstreitkräften, Waffengattungen und Einheiten grundsätzlich offensteht. Seit der Novelle der Militärgesetzgebung im Jahr 2000 dienen auch immer mehr Frauen in Kampfeinheiten. Vor allem bei der Infanterie und Artillerie, bei den Panzertruppen und sogar bei der Luftwaffe nimmt ihre Zahl von Jahr zu Jahr zu. »Nachdem der Armeedienst für Männer von 36 auf 30 Monate verkürzt wurde, gab es eine Lücke, und so war die IDF gezwungen, darüber nachzudenken, welche anderen Möglichkeiten den Frauen eröffnet werden können«, erklärt Oberstleutnant Limor Shavtai die damalige Situation. Sie war bis Februar 2016 im israelischen Militär als Beraterin für Frauenangelegenheiten des Stabschefs tätig und ist dort derzeit die stellver­tretende Gleichstellungsberaterin. »Viele der Hindernisse sind ­gesellschaftlich und kulturell bedingt und betreffen nicht die Fähigkeit der Frau«, fügt sie hinzu.

So kamen Frauen in den vergangenen Jahren im Gaza-Streifen und im Westjordanland zum Einsatz, Pilotinnen flogen über feindliche Länder. Sollte im Libanon erneut ein Krieg ausbrechen, würden auch Einheiten mit israelischen Soldatinnen dorthin gehen. Der häufigste Grund dafür, dass die jungen Soldatinnen in Kampfeinheiten dienen wollen, ist, dass sie etwas »Sinnvolles« während ihres Militärdienstes ­machen wollen. Denn im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen, die bei entsprechender Eignung in die Infanterieeinheiten eingezogen werden können, müssen sich Frauen für Kampf­positionen freiwillig melden. Ihr Wehrdienst wird dann von zwei auf fast drei Jahre verlängert.

Einsatz mit Tradition

Seit 2010 dient auch Elinor* bei Caracal. Sie ist die erste nichtjüdische Araberin in einer Kampfeinheit der israelischen Armee. »Wenn mir jemand sagen würde, in der IDF zu dienen bedeutet, Araber zu töten, dann würde ich die Person daran erinnern, dass es auf der Welt meistens Araber sind, die Araber töten«, sagt Elinor energisch. »Ich lebe in diesem Land und genieße als Christin alle Rechte und Pflichten. Mit meinem Wehrdienst wollte ich etwas zurückgeben. In unserem Dorf sehen das die meisten Menschen sehr positiv.«
»Ich habe mich für fast drei Jahre gemeldet«, sagt die 20jährige Noa*, die den Rang eines Leutnant bekleidet. »Nachdem ich eine sehr wichtige Person in meinem Leben während des letzten Gaza-Krieges 2014 verloren hatte, beschloss ich, ihre Rolle in der Armee fortzuführen.« Für Noa ist es sehr ­wichtig, als israelische Staatsbürgerin ­ihren Wehrdienst zu leisten und den ­jüdischen Staat zu beschützen: »Ich glaube, dass fast alle Juden auf der Welt spüren, dass Israel auch ihre Heimat ist.«

»Ich wusste, dass ich keinen Job machen wollte, bei dem man den ganzen Tag in einem Büro vor einem Bildschirm sitzen würde.« Stav*, Soldatin beim Bataillon Caracal

Dass Frauen sich in Israel an gefährlichen Kampfhandlungen beteiligen, ist aber nicht neu. Noch vor der Staatsgründung 1948 meldeten sich viele Frauen freiwillig für die paramilitärischen Untergrundorganisationen ­Etzel, Lechi und HaSchomer beziehungs­weise Hagana, um die jüdische Präsenz im heiligen Land zu verteidigen. In den damaligen Kampforganisationen lag die Frauenquote bei 20 Prozent. Aus ihnen gingen später die israelischen Streitkräfte hervor.

Als Israel 1948 direkt nach der Staatsgründung von mehreren arabischen Armeen angegriffen wurde, verabschiedete das Parlament ein Verteidigungsgesetz, das die allgemeine Wehrpflicht auch für Frauen festschrieb. Die Per­sonalknappheit hatte zur Folge, dass Frauen nicht nur unterstützende ­Auf­gaben wahrnahmen, sondern auch ­direkt am bewaffneten Kampf teil­nahmen. Gerade in der Palmach, der Elitekampftruppe der Hagana, die ­einen Frauenanteil von bis zu 30 Prozent erreichte, kämpften Frauen auch an vorderster Front. Zu ihnen gehörte die berühmte Soziologin und Sexualtherapeutin Ruth Westheimer, die während des israelischen Unabhängigkeitskrieges 1948 durch eine explodierende Granate schwer verletzt wurde.

Unter der Regierung von Israels erstem Ministerpräsidenten David Ben-Gurion beschloss das Parlament, die Knesset, Soldatinnen nicht mehr an Fronteinsätzen teilnehmen zu lassen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war offiziell die Überlegung, dass verwundete oder gefallene Frauen der Truppenmoral abträglich seien und dass Frauen in der Kriegsgefangenschaft höheren Risiken als ihre männlichen Kameraden ausgesetzt wären, namentlich vergewaltigt zu werden. Soldatinnen sollten daher nicht an vorderster Front kämpfen, wo das Risiko, dem Feind in die Hände zu fallen, am höchsten ist.

1994 klagte Alice Miller, eine Offizierin der Luftstreitkräfte, gegen das ­Verbot der Pilotinnenausbildung und bekam zwei Jahre später Recht. Die Luftstreitkräfte mussten nun Kandidatinnen akzeptieren, die die Voraus­setzungen erfüllen. Danach verabschiedete die Knesset einen Gesetzentwurf zur völligen Gleichstellung von Soldatinnen in allen Teilstreitkräften der ­israelischen Armee.
Männlichkeitsideal a.D.

Heute stehen ungefähr 92 Prozent der Positionen in der IDF Soldatinnen ­offen und viele junge Frauen begrüßen diese Möglichkeiten. »Leider leben wir in einer sehr gewalttätigen Region und würde Israel kein Militär zur Selbstverteidigung haben, dann würde es unser Land nicht mehr geben«, so Stav. ­Eigentlich wollte die junge Frau aus Jerusalem in einer Einheit des Militär­geheimdienstes dienen, während der Musterung entschied sie sich aber für das Bataillon Caracal: »Ich suchte nach einer Rolle, die mich sowohl intellektuell als auch physisch herausfordern sollte. Ich wusste, dass ich keinen Job machen wollte, bei dem man den ganzen Tag in einem Büro vor einem Bildschirm sitzen würde« – auch wenn jede Tätigkeit beim Militär wichtig sei. »Die Armee gibt dir Einblicke in dein Leben. Du wirst hier erwachsen. Es ist ein Reifeprozess. Man gibt dem Staat durch seine Zeit bei der Armee etwas zurück. Meine Familie ist sehr unterstützend und stolz auf mich«, sagt sie.

Für die Offizierin Liora ist es wichtig, dass »die Menschen Bilder von den Soldaten sehen. Die Menschen in Israel sollten wissen, dass hinter all den negativen Gerüchten Soldaten und Soldatinnen stehen, die eine Mission erfüllen, eine heilige Mission: Das Volk Israel und den Staat Israel zu verteidigen.«

Der Oberbefehlshaber des Bataillons Caracal, Oberstleutnant Ido Sa’ad, sieht keinen wirklichen Unterschied zwischen seiner derzeitigen gemischten Kompanie und rein männlichen Einheiten, in denen er früher diente: »Rein männliche und gemischtgeschlechtliche Kompanien unterscheiden sind nicht in den Fähigkeiten, sondern im Zweck dieser Einheiten.« Sa’ad ist schon seit 16 Jahren beim Militär, aufgrund seiner Erfahrungen, die er in mehreren Kriegen gemacht hat, etwa im Libanon oder in Gaza, kennt er sich mit Infanteriebataillonen bestens aus: »Die Nahal-Brigade zum Beispiel ist eine ›Manövriereinheit‹ der Armee, die in Kriegszeiten Grenzen überschreitet und an Bodenkampagnen teilnimmt, während Caracal entwickelt wurde, um ortsgebunden zu sein, also seine Region zu verteidigen.«

Generell bleibt die IDF, gemessen an ihren Kampftruppen, allerdings eine »Männerarmee«. Der Gleichberechtigungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Zu sehr wird der Krieg noch immer als männliche Domäne wahrgenommen, denn die Beschützer und Verteidiger des Staates sind meistens immer noch Männer. Auch die Gedenkstätten, in denen in jedem Kibbuz, jedem Ort und jeder Stadt der gefallenen Soldaten und Soldatinnen gedacht wird, ­heißen Yad le’banim, »Haus der Söhne«.

Auch wenn Frauen beim israelischen Militär die meisten Türen offenstehen, sind einige, etwa die zu den obersten Offiziersränge, noch immer verschlossen. Um in den Generalstab aufzusteigen, sollte man auf jeden Fall eine ­ganze Brigade angeführt haben und dies wird für weibliche Armeeange­hörige höchstwahrscheinlich auch in nächster Zeit unerreichbar bleiben.
Zudem ist sexuelle Belästigung von Frauen weiterhin ein Problem, auch wenn die Zahl der Fälle in den vergangenen Jahren stetig zurückging. Das Thema wird mittlerweile in den Medien ausführlich behandelt und viele Soldaten sind in den vergangenen Jahren wegen Übergriffen auf ihre Kameradinnen verurteilt worden. Sie werden in Israel besonders hart bestraft.

Die Entwicklung hin zur vollständigen Gleichberechtigung wird zwar noch ihre Zeit brauchen, ist durch die Emanzipation von Frauen in der IDF aber weit vorangeschritten. Das klassische soldatische Männlichkeitsideal ­bröckelt an allen Ecken und Enden.

* Name geändert